Lewis Hamilton, vierfacher Formel-1-Weltmeister, hat sich 2013 nicht nur einen Jet in Rot-Metallic für 27 Millionen US-Dollar (23 Mio. Euro) gegönnt, er hat sich bei der Gelegenheit auch eine ordentliche Mehrwertsteuerrückerstattung geholt. Behilflich waren ihm dabei - so die Paradise-Papers - Anwälte der Kanzlei Appleby und clevere Buchhalter der internationalen Beratungsfirma Ernst & Young.
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Hamiltons Finanzberater entwarfen für ihn einen komplexen Plan, wie er die Mehrwertsteuer für seinen aus Übersee in die EU importierten Jet erheblich mindern könnte. Eine der Voraussetzungen dafür: Hamilton muss bei seinem ersten Flug nach Europa auf der Isle of Man zwischenlanden. Die Insel im Besitz der britischen Krone ist speziell bei Superreichen für ihr laxes Steuerrecht bekannt.
„Ein kurzer Aufenthalt wird notwendig sein“, schildert Appleby in einer detaillierten schriftlichen Erläuterung der Steuervermeidungsstrategie. „Für gewöhnlich dauert es weniger als zwei Stunden.“ Der vierfache Formel-1-Weltmeister scheint die Herausforderung angenommen zu haben. Laut einem Flugplan, der seinerzeit an Appleby geschickt wurde, sollte Hamilton auf seinem ersten Abstecher nach Europa im Jänner 2013 mit seinem neuen Flugzeug auf der Isle of Man zwischenlanden.
Millionenschwere Rückerstattung
Ob Hamilton diese Reise tatsächlich angetreten hat, konnten die BBC und die britische Zeitung „The Guardian“, Partner des Recherchenetzwerks ICIJ, nicht feststellen. Aber in den Unterlagen von Appleby steht, dass ihm am Ende dank der cleveren Berater immerhin 5,2 Millionen US-Dollar (4,5 Mio. Euro) Mehrwertsteuer zurückerstattet wurde.
Das geht aus den Paradise-Papers hervor, die interne Unterlagen von Appleby und des 2016 davon abgespaltenen Treuhandunternehmens Estera umfassen. Dem „Guardian“ teilten Hamiltons Anwälte auf Anfrage mit, dass der Rennfahrer sich bei der Betreuung seiner Geschäfte auf Profis verlasse und dass dabei keinerlei Täuschung oder unangemessene Geheimhaltung stattgefunden habe.
Netzwerk der Diskretion
Die Hamilton-Episode wirft ein Schlaglicht auf ein diskretes Netzwerk aus Anwälten, Bankern, Buchhaltern, Finanzberatern und anderen Experten, die sich in den Grauzonen des internationalen Steuerrechts bestens auskennen.
Für Alex Cobham, Leiter der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network, welche die Aktivitäten von Appleby und Co. kritisch verfolgt, sind all die Luxusflugzeuge und Jachten, die steuersparend von Offshore-Gesellschaften gehalten werden, ein Symbol für die wachsende Ungleichheit. Diese Offshore-Strukturen seien nur dazu da, „Schwächen im internationalen Steuersystem durch Verschleierung von Eigentumsverhältnissen auszubeuten“, so Cobham.
Rund 1.000 registrierte Jets
Die Isle of Man ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt in der Welt der Offshore-Profis. Die Insel, eine Kronbesitzung (crown dependency) des britischen Königshauses, hat eine „Partnerschaft“ mit dem Vereinigten Königreich, pflegt aber eine eigene, davon unabhängige Innenpolitik, die ihre Kundschaft mit niedrigen Firmensteuersätzen und Diskretion anzulocken versteht.
ORF und „Falter“ beteiligt
In Österreich waren „Falter“ und ORF an den Paradise-Papers-Recherchen beteiligt. Beim ORF recherchierten Ulla Kramar-Schmid, Kaspar Fink, Jakob Weichenberger, Stefan Daubrawa, Petra Pichler, Bernt Koschuh und Günter Hack. Die Paradise-Papers ergänzen und vertiefen die Einblicke in die Offshore-Industrie und ihre Strukturen, die die Panama-Papers im vergangenen Jahr enthüllt hatten. Auch damals waren ORF und „Falter“ Teil des internationalen Rechercheteams.
Tatsächlich verfügte die Isle of Man bis 2007 nicht einmal über ein eigenes Luftfahrtamt, aber heute pflegt man dort das größte Offshore-Flugzeugregister der Welt, mit immerhin rund 1.000 gemeldeten Maschinen – und jede davon trägt zum Wachstum der lokalen Finanzdienstleister bei, der wichtigsten Arbeitgeber auf der Insel.
Beliebt bei Privatjetbesitzern
Die Isle of Man ist deshalb bei Flugzeugbesitzern so beliebt, weil die dortigen Behörden die Rückerstattung der Mehrwertsteuer eher locker handhaben und die Steuersparkonstrukte von Beraterfirmen wie Appleby nicht hinterfragt werden. Alleine Appleby war laut Paradise-Papers für die Gründung von Firmen verantwortlich, denen mindestens 48 Maschinen mit einem Durchschnittspreis von jeweils 33,9 Millionen US-Dollar (29 Mio. Euro) gehören.
Auf Anfrage des „Guardian“ enthüllte die Regierung der Isle of Man, dass sich die Mehrwertsteuerrückerstattungen für 231 auf der Insel registrierte Jets auf insgesamt mehr als eine Milliarde US-Dollar (0,86 Mrd. Euro) beliefen. Ohne die Strukturen auf der Isle of Man wäre ein großer Teil dieses Geldes den EU-Staaten zugute gekommen, in die die Flugzeuge sonst importiert worden wären.
Hintertür zur EU
Ausgewählten Superreichen gewährt man auf der Isle of Man Steuererleichterungen, die nicht öffentlich gemacht werden. Größere Staaten könnten solche Standortvorteile auch bieten, aber der politische Druck auf sie wäre zu groß. So musste das Vereinigte Königreich erst 2011 eine Regelung verschärfen, die es Käufern von Flugzeugen mit einem Gewicht von über acht Tonnen ermöglicht hatte, sich die Mehrwertsteuer zu sparen. Das wiederum eröffnete den Finanzdienstleistern auf der Isle of Man neue Verdienstmöglichkeiten, denn die Insel genießt über ihre Beziehungen zum Vereinigten Königreich Zugang zum riesigen Markt der EU.
Manche der Finanzkonstrukte auf der Isle of Man scheinen aber gegen die EU-Regeln über die Rückerstattung der Mehrwertsteuer zu verstoßen. So meinen Experten wie Maria Martinez von der britischen Hilfsorganisation Oxfam: „Die riechen einfach komisch.“ Die EU fordert beispielsweise, dass es sich bei den Gesellschaften, die die Flugzeuge betreiben, um echte Unternehmen handeln muss, nicht nur um Briefkastenfirmen.
Druck auf Inselregierung steigt
Die Inselregierung sieht ihre Rolle in alldem nicht als problematisch an. Ihr Chef, Chief Minister Howard Quayle, gab nach einer Anfrage des ICIJ am 23. Oktober eine Pressekonferenz, auf der er sagte: „Wir haben keine Beweise für Fehlverhalten gefunden und auch keinen Grund dafür, dass unser Zoll ungerechtfertigterweise Mehrwertsteuer zurückerstattet haben könnte. Die Isle of Man heißt Steuerflüchtlinge nicht willkommen.“ Quayle gab aber auch zu Protokoll, dass er die britischen Finanzbehörden dazu eingeladen habe, das Geschäft mit den Flugzeugregistrierungen auf seiner Insel zu untersuchen.
Flo Weiss unter cc by-sa 4.0
Lewis Hamiltons Jet mit seiner alten britischen Kennung G-LCDH
Hamiltons Konstrukt
Die Struktur, die Appleby für Hamiltons Flugzeug entworfen hat, zeigt, wie locker die Behörden der Isle of Man die Vorschriften der EU interpretieren. Appleby trat mit einem Vorschlag an das Management des Formel-1-Champions heran: „Durch die Zusammenarbeit mit den Mehrwertsteuerspezialisten von Ernst & Young LLC und die Nutzung von deren speziellen Mehrwertsteuerrückstellungskonten und einer passenden Struktur sollte es nicht notwendig sein, die Mittel für die Mehrwertsteuer aufzustellen.“
In den Paradise-Papers finden sich zahlreiche Mailwechsel, in denen Angestellte von Ernst & Young, Appleby und anderen Beratern darüber rätseln, wie mit den EU-Regeln umgegangen werden soll, die vorschreiben, dass die Mehrwertsteuer nur an „echte“ Firmen rückerstattet werden darf, die ihre Flugzeuge für Geschäftszwecke nutzen.
„Stealth Aviation“
Appleby gründete auf der Isle of Man eine Firma namens Stealth (IOM) Limited, die das Flugzeug von einer Firma namens Stealth Aviation Limited auf den Britischen Jungferninseln leaste, die Hamilton gehört. Die Stealth (IOM) Limited importierte dann das Flugzeug auf die Isle of Man und damit in die EU. Dann vermietete die Briefkastenfirma das Flugzeug weiter an die TAG Aviation Limited, eine Jet-Betreiberfirma in England.
Das Problem dabei: die besagte EU-Durchführungsverordnung zur Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, die deutlich festlegt, dass es sich bei der Gesellschaft, die das Flugzeug importiert, um eine „echte“ Firma handeln muss. Nur eine „feste Niederlassung“, die „einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden“, darf eine Mehrwertsteuerrückerstattung einfordern.
„Feste Niederlassung“
Nun hat die Stealth (IOM) Limited keinen einzigen Angestellten, nicht einmal ein eigenes Büro. Sucht man in der Inselhauptstadt Douglas die Athol Street Nummer 33-37 auf, so stößt man auf ein Bürogebäude, in dem die dortige Appleby-Niederlassung über 1.100 Firmen und Trusts eine Heimat bietet. Die Stealth (IOM) Limited läuft unter der Adresse der Appleby-Briefkastenfirma General Controllers Limited, ihr einziger Direktor ist lediglich ein Platzhalter für die wahren Eigentümer.
NDR
Bürogebäude von Appleby und der 2016 abgespaltenen Treuhandfirma Estera auf der Isle of Man
Obwohl es ziemlich klar ist, dass die Firma, die Hamiltons Flugzeug importiert hat, nur auf dem Papier existiert, haben die Behörden der Isle of Man den Plan inklusive Steuerrückerstattung vorab genehmigt. Hamiltons Flugzeug musste für die Rückerstattung lediglich einmal auf der Isle of Man zwischenlanden, um die Ausfertigung der notwendigen Dokumente zu ermöglichen. Weder das Flugzeug noch Hamilton selbst musste die Insel jemals wieder besuchen, obwohl die Firma, die den Jet importiert hat, dort registriert ist.
„Keine Briefkastenfirma“
2016, also nach der Einrichtung der Strukturen für Hamiltons Jet, hat Appleby das Geschäft mit den Flugzeugen und Treuhandgesellschaften an die Manager dieser Sparte verkauft, die es unter dem Namen Estera weiterführten.
Hamiltons Anwälte sagten auf Anfrage des ICIJ, dass es sich bei der Stealth (IOM) Limited nicht um eine Briefkastenfirma handle. Die Gesellschaft sei als Leasingfirma gegründet worden und verleihe das Flugzeug langfristig zu marktüblichen Preisen. Sie wiesen auch darauf hin, dass die Firma alle notwendigen Unterlagen an die Behörden der Isle of Man übermittelt hätten, die daraufhin ihre Genehmigung erteilt hätten. Die Konstruktion sei nicht zum Steuersparen angelegt worden, außerdem sei sie legal. Außerdem sei es nicht richtig, dass Hamilton gar keine Mehrwertsteuer auf das ganze Paket entrichtet habe.
Keine Überwachungspflicht
Ernst & Young vertreten ebenfalls den Standpunkt, dass die Hamilton-Konstruktion legal sei und den üblichen Geschäftsgepflogenheiten entspreche. Die Firma sagte dem ICIJ in einer Stellungahme, es gehe nicht darum, wo die Leasinggesellschaft ihren Sitz habe, sondern wo das Flugzeug verwendet werde. Ernst & Young berate seine Kunden in Bezug darauf, unter welchen Umständen bei Flügen in der EU die Mehrwertsteuer fällig werde. Man sei aber nicht dazu verpflichtet, die Verwendung der Flugzeuge im täglichen Betrieb genau zu überwachen.
Die Firma, die das Flugzeug importiere, habe ein Anrecht auf Anrechnung der Mehrwertsteuer, falls das Flugzeug vom Eigentümer ausschließlich oder hauptsächlich für Geschäftszwecke genutzt werde. Ob irgendeine Hamilton zuzurechnende Firma für die Flüge innerhalb der EU die Mehrwertsteuer abgeführt hat, konnte im Rahmen der ICIJ-Recherchen nicht festgestellt werden.
Privat genutzter Jet
Die EU-Vorschriften verbieten eigentlich Mehrwertsteuerrückerstattungen beim Kauf privat verwendeter Jets. Hamilton jedoch hat eine Rückerstattung erhalten, obwohl er geplant hatte, sein Flugzeug ungefähr zu einem Drittel der Zeit zu nicht geschäftlichen Zwecken zu verwenden, wie es in Vertragsentwürfen heißt, die sich in den Paradise-Papers finden. Auch in seinen Social-Media-Kanälen zeigt Hamilton regelmäßig, wie er den Jet zu privaten Zwecken nutzt.
Ein Video auf seinem YouTube-Account zeigt ihn mit seinem Hund Coco und einigen seiner Freunde an Bord der Maschine, darauf folgen Clips, die ihn beim Mountainbiken in Colorado und auf einem Festival auf Barbados zeigen. Hamiltons Anwälte sagen, dass Hamilton für die privaten Ausflüge mit der Maschine bezahlt habe.
Registriert in Österreich
Die Behörden der Isle of Man versicherten dem „Guardian“, dass man im Oktober 2016 damit begonnen habe, die Angaben der Flugzeugeigentümer und deren Konstrukte auf der Insel zu überprüfen. Der Druck auf die dortigen Behörden dürfte bald steigen. Erst am 1. November thematisierte Labour-Chef Jeremy Corbyn im britischen Unterhaus die Steuerschlupflöcher auf der Isle of Man: „957 Businessjets sind auf der Isle of Man registriert, das scheint mir etwas zu viel zu sein - und zwar für jede Insel.“
Hamiltons Jet, seit seiner Ankunft in Europa unter der britischen Kennung G-LCDH unterwegs, ist seit dem 27. April 2017 in Österreich unter der Kennung OE-IXI angemeldet. Die technische Betreuung der Maschine hat die Firma Laudamotion in Schwechat übernommen, die Hamiltons Freund Niki Lauda gehört.