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Wer hat’s erfunden?

Österreich braucht Veränderung - darüber herrscht rund um die Regierungsbildung weitaus Einigkeit. Doch was die Veränderungen genau beinhalten sollen, das ist nach wie vor unklar. Hinweise darauf finden sich aber im Vergleich mit anderen Ländern: So liebäugeln die wahrscheinlichen Regierungsparteien etwa mit der Migrationspolitik Australiens, mit Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild, mit der Körperschaftssteuer in Estland und dem Pensionssystem in Schweden.

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Es ist fraglich, wie viele der Ideen aus den unterschiedlichen Staaten in den nächsten Monaten tatsächlich in Österreich implementiert werden können – und ob eine Politik nach Schablone funktioniert. Die Liste der Paradebeispiele ist jedenfalls lang.

Australien als Vorbild für Einwanderung

Eines der prominentesten Exempel im Pool der Vorbilder stammt von Wahlsieger Sebastian Kurz (ÖVP), der sich bereits lange vor seiner Kandidatur für die Nationalratswahl für eine „Insel-Lösung“ in der Migrationspolitik ausgesprochen hatte – und er bleibt dabei: So findet sich beispielsweise im Wahlprogramm der ÖVP in puncto Migrationspolitik, dass das „Vorbild (…) vom Prinzip her Australien sein (kann), das auf einen Mix aus Hilfe vor Ort, Sicherung der Außengrenzen und Resettlement-Programme setzt“ – wenn auch nur teilweise, so die ÖVP. Doch Australiens Vereinbarungen mit Nauru und Papua-Neuguinea, die Bootsflüchtlinge in Camps im Auftrag von Australien unterbringen, sind weltweit höchst umstritten und zudem teuer für den Staat.

Demonstration für Flüchtlinge in Nauru

Reuters/David Gray

Australier protestieren gegen die prekären Bedingungen für Bootsflüchtlinge auf Nauru

Umstrittene Abkommen mit asiatischen Inseln

Der Preis pro Person und Jahr liegt laut der NGO Human Rights Watch (HRW) im Bereich von umgerechnet 240.000 Euro. Hinzu kommen zahlreiche weitere bürokratische Kosten. Außerdem erklärte Nauru, man erwarte mit der Zeit eine Verlegung der Flüchtlinge. HRW bezeichnet die Insel als „Zwangsexil“ mit enormen physischen und psychischen Belastungen für die geflohenen Menschen. Zahlreiche NGOs dokumentierten Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigungen.

Im September stimmte ein australischer Richter sogar einer Rekordentschädigung von insgesamt knapp 47 Millionen Euro für eine Gruppe von 1.900 Bootsflüchtlingen zu. Die Regierung und Anwälte hatten sich im Juni auf diesen Vergleich geeinigt. Das Geld soll Flüchtlingen ausgezahlt werden, die eigentlich nach Australien wollten, dann aber gegen ihren Willen nach Papua-Neuguinea gebracht wurden. Dort hätten sie seelischen und körperlichen Schaden genommen, erklärten die Kläger.

HRW: „Fehlgeleitetes Modell“

Warum man Australien nicht mit Österreich vergleichen könne, zeigt eine Analyse von HRW: In den letzten Jahren flüchteten viel mehr Menschen nach Europa als nach Australien – man habe es also mit ganz anderen Voraussetzungen zu tun - weshalb die australische Lösung ein „fehlgeleitetes Modell“ sei, das man nicht mit Europa vergleichen könne.

In der ÖVP will man jedenfalls selbst entscheiden, wen man als „Flüchtling bzw. als Zuwanderer“ in die EU holt. In der Vergangenheit sprach sich aber nicht nur die ÖVP für eine Migrationspolitik a la Australien aus, sondern auch NEOS und die FPÖ. So plädierte Irmgard Griss (NEOS) zuvor für ein Zuwanderungssystem nach dem Vorbild Kanadas oder Australiens, damit Menschen mit in Österreich benötigter Qualifikation einwandern können. Einwanderer brauche man nur dort, wo auch Bedarf ist – so auch der gängige Tenor der FPÖ.

Körperschaftssteuer – genau wie in Estland

Im Programm der ÖVP werden außerdem Veränderungen im Steuerrecht gefordert: Unternehmensgewinne von Kapitalgesellschaften sollen nur dann besteuert werden, wenn sie tatsächlich auch ausgeschüttet werden. Das stelle einen wichtigen Anreiz für Aktiengesellschaften und GmbHs dar, erwirtschafteten Gewinn nicht als Kapital auszuschütten, sondern sofort wieder ins Unternehmen zu investieren.

Paradebeispiel für die Idee ist Estland, wo es dieses Modell seit dem Jahr 2000 gibt. Allerdings gab die estnische Notenbank zu bedenken, dass Unternehmen bisher hauptsächlich ihre Schulden durch die Steuerentlastung ausgleichen und verhältnismäßig wenig Geld ins Unternehmen rückinvestieren. Dass Estland Firmen – insbesondere digitale Start-ups – mit dieser Strategie aber nach und nach ins Steuerparadies lockt, ist international unumstritten.

Pensionsautomatik nach schwedischem Vorbild

Bei NEOS sind hingegen die Skandinavier sehr beliebt – insbesondere was das Pensionssystem betrifft. Im schwedischen Modell wird auf ein Pensionskonto eingezahlt. Die Pensionshöhe errechnet sich nach der eingezahlten Summe und der Restlebenserwartung bei Beendigung des Erwerbslebens. Als Regelpensionsalter gilt 65, es bleibt jedoch jedem überlassen, wie lange er tatsächlich arbeitet. In dieser Pensionsautomatik, die auf Lebenserwartung setzt, sieht NEOS eine Sicherung des Pensionssystems. Auch die ÖVP zeigt sich nicht abgeneigt.

Kritiker sehen das anders. Die Pensionsbeiträge seien in Schweden viel höher, so etwas wie eine Witwenpension gibt es nicht. Und die unterschiedliche Lebenswertung unterschiedlicher sozialer Gruppen würde zu Ungerechtigkeiten führen. Schließlich, so wohl der Hauptkritikpunkt, seien zweite und dritte Säule, also Betriebspensionen und private Vorsorge in Schweden stärker etabliert. Eine einfache Übernahme des Systems würde die Pensionen deutlich sinken lassen.

Zahlen für Kohlendioxid

Ebenfalls von NEOS stammt der Vorschlag einer CO2-Steuer - erneut nach schwedischem Vorbild. Die Abgabe sollte aufkommensneutral sein und andere Umweltsteuern wie die NoVA, die Mineralölsteuer, die Kfz-Steuer, die Motorversicherungssteuer und die Erdgasabgabe ersetzen. Für den schwedischen Staatshaushalt zahlt sich die CO2-Steuer aus: In zehn Jahren konnten die Treibhausemissionen um zwölf Prozent gesenkt werden - und das Bruttoinlandsprodukt verdoppelte sich.

Direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild

Ein dauerhaftes Musterbeispiel in Sachen Volksentscheid ist die Schweiz. In Österreich gab es hingegen bisher nur zwei Volksabstimmungen - über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf und über den Beitritt zur EU. Dennoch scheinen Volksabstimmungen zumindest als Ankündigung im österreichischen Wahlkampf einen Aufschwung zu erleben. Sowohl ÖVP als auch FPÖ und auch die SPÖ ziehen mehr direkte Demokratie mittels Befragung der Bürger in Erwägung.

Die ÖVP schlägt dabei eine Art „Testlauf“ vor, in dem experimentiert werden kann, ob Volksabstimmungen sinnvoll sind. Die FPÖ plädierte bereits im Wahlprogramm auf „Fairness“: Erfolgreiche Volksbegehren sollen in verpflichtende Abstimmungen münden. Die SPÖ kann sich eine Volksabstimmung über die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern vorstellen - man erhofft sich eine Reform der „Geldvernichtungsmaschine Bürokratie“.

Direkte Demokratie und ihre Schattenseiten

Doch die Schweiz gilt bei Weitem nicht als Paradebeispiel der Demokratie: Das Frauenwahlrecht wurde erst 1971 eingeführt - zwar im ersten Land weltweit per Volksabstimmung, allerdings als letztes in Europa. Im Kanton Appenzell Innerrhoden dauerte es gar bis 1990. Ab wann also stößt direkte Demokratie an ihre Grenzen? Österreich ist nicht die Schweiz, kritisierte etwa die Schweizer Korrespondentin der „Neuen Zürcher Zeitung“ Meret Baumann in der ORF-Sendung „im Zentrum“ vergangenen Sonntag. Die Schweizer seien die direkte Demokratie gewöhnt, es sei allerdings schwierig, das System einfach auf Österreich überzustülpen, wo Volksabstimmungen die Ausnahme sind.

Darüber hinaus brachte die direkte Demokratie der Schweiz auch Gesetze hervor, die international kritisiert wurden - so etwa das Minarettverbot: 2009 gab es eine Volksabstimmung, deren Ergebnis zur Folge hatte, dass keine neuen Minarette gebaut werden dürfen. Die Entscheidung spaltete das Land und wurde von Gegnern als Negativbeispiel für Religionsfreiheit und Gleichberechtigung genannt.

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