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Umgewidmete Entwicklungshilfe

Die Eindämmung der Migration aus afrikanischen Staaten ist in den vergangenen Jahren zu einer Priorität in der EU geworden. Profiteure dieser Entwicklung sind autokratische Regime, wie ein neues Buch zweier deutscher Journalisten zeigt. Detailreich rechnen Simone Schlindwein und Christian Jakob in „Diktatoren als Türsteher Europas“ nach, wie Entwicklungshilfe umgewidmet und an Bedingungen geknüpft wird.

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In Brüssel wird oft betont, wie wichtig die Bekämpfung der Fluchtursachen in afrikanischen Ländern sei. In der Praxis scheint es, als ob die EU lediglich ihren Grenzschutz nach Afrika verlagert und die strukturellen Ursachen für Migration weiterhin ausblendet.

Zudem wird europäische Hilfe laut den Autoren zunehmend zum Druckmittel gegenüber einer Reihe der ärmsten Länder der Welt: Unverblümter und umfassender als früher wird Geld dorthin geleitet, wo die Grenzschutzprioritäten Europas liegen, wie Schlindwein und Jakobs Recherchen zeigen. Die entsprechenden Abkommen mit den afrikanischen Staaten erweisen sich zudem oft als lukratives Geschäft für europäische Rüstungs- und Sicherheitskonzerne.

Subventionsprogramme für Waffenhersteller

Die Hochrüstung der Grenzen mit Hightech-Geräten ist teuer, kaum ein afrikanischer Staat kann sie sich leisten. Schlindwein und Jakob kommen in ihrem Buch zu dem Schluss, dass die EU-Mitgliedsstaaten mittels der Grenzsicherung in Afrika europäischen Rüstungskonzernen profitable Aufträge sichern.

Die neuen Grenzanlagen seien somit quasi auch ein Subventionsprogramm für Europas Waffenschmieden wie Airbus, Thales und BAE Systems. Vertreten werden diese von der mächtigen Lobbygruppe European Organisation for Security (EOS). Dank dieser mit europäischen Steuergeldern finanzierten Programme prognostizieren die Autoren einen Anstieg des weltweiten Gesamtumsatzes mit Grenzschutztechnologie von 15 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf bis zu 29 Milliarden im Jahr 2022 - ein gewaltiger Markt.

Doch gleichzeitig scheint die EU mit ihrer Handelspolitik die Fluchtgründe in Afrika weiter zu verschärfen. Handelsabkommen zwingen afrikanische Staaten dazu, ihre Märkte für europäische Produkte zu öffnen, obwohl weithin bekannt ist, dass diese Politik im großen Stil Arbeitsplätze vernichtet - vor allem in der Landwirtschaft.

Daten laufen in Khartum zusammen

Für ihre neue Migrationspolitik gegenüber Afrika hat die EU ausgerechnet den Sudan als ein zentrales Partnerland ausgewählt. Der drittgrößte Staat des Kontinents ist ein Haupttransitland für Flüchtlinge vom Horn von Afrika. Dabei ist Präsident Omar al-Baschir, der sich im Jahr 1989 an die Macht putschte, der einzige Staatschef weltweit, gegen den ein internationaler Haftbefehl läuft.

Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir

APA/AFP/Ashraf Shazly

Al-Baschir putschte sich 1989 an die Macht

Dennoch werden laut den Autoren an der Polizeischule in der sudanesischen Hauptstadt Khartum auf Kosten der EU Informationen über Migrationsbewegungen gesammelt und mit anderen Staaten Ostafrikas ausgetauscht.

Der Innenminister des Landes habe eine Wunschliste mit Gerätschaften, die für einen Stopp der Migration notwendig seien, an die EU geschickt, so die Autoren: Ausrüstung, Internierungszellen, Zäune und Kampfhubschrauber für die Grenzpolizei. Eritreische Flüchtlinge, die im Sommer 2016 aus ihrer Heimat über die Grenze in den Sudan flohen, berichteten, dass sie hochgerüstete Spezialeinheiten gesehen hätten, die mit deutschen Armeelastwagen Patrouille fuhren.

Aufwertung eines Diktators

Eritrea gilt als das „Nordkorea Afrikas“ - monatlich fliehen rund 5.000 Menschen aus dem Land. Dabei kommen die meisten von ihnen nicht nach Europa, sondern bleiben in den Nachbarländern. Der Hauptgrund für die Massenflucht der eritreischen Jugend ist der Wehrdienst, zu dem alle Männer und Frauen nach ihrem Schulabschluss eingezogen werden. Laut eritreischer Verfassung sollte er zwei Jahre dauern, tatsächlich kann aber ein halbes Leben daraus werden. Viele der Soldatinnen und Soldaten leisten unter sklavenähnlichen Bedingungen Schwerstarbeit.

Durch die Politik der EU hat Isaias Afwerki, der Diktator Eritreas, nun wieder internationale Reputation gewonnen: Nach einem Jahrzehnt der politischen Isolation ist sein Regime in den Khartum-Prozess eingebunden, mit dem die EU Länder Ostafrikas für die Kooperation gewinnen will.

Frontex in Afrika

In der EU gibt es 44 Agenturen für bestimmte Politikbereiche. Keine ist so schnell gewachsen und so üppig ausgestattet wie die Grenzschutzagentur Frontex. Bei der Gründung 2006 in Warschau verfügte sie über 45 Mitarbeiter und einen Jahresetat von zwölf Millionen Euro. 2016 konnte Frontex 254 Millionen Euro ausgeben, 2020 sollen es 320 Millionen sein. Der größte Teil der Kosten wird von der EU-Kommission getragen. Im Zuge der Ausweitung des europäischen Grenzregimes nach Afrika plant Frontex nun, vermehrt mit afrikanischen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten.

Cover des Buches "Diktatoren als Türsteher Europas" von Christian Jakob und Simone Schlindwein

Ch. Links Verlag

Buchhinweis

Christian Jakob, Simone Schlindwein: Diktatoren als Türsteher Europas - Wie die EU ihre Grenzen nach Afrika verlagert. Christoph Links Verlag, 320 Seiten, 18,50 Euro.

Dafür gründete die Grenzschutzagentur den europäisch-afrikanischen Geheimdienstbund Africa-Frontex Intelligence Community (AFIC). 21 afrikanische Staaten sind dabei, die Diktaturen Eritrea und Sudan haben „Beobachter“-Status. Dabei gilt natürlich auch in Afrika: Je weniger ein Staat sich um Grund- und Menschenrechte kümmert, desto wichtiger ist der Geheimdienst als Stütze der Macht. Besonders beunruhigend ist, dass der jüngste Demokratieindex, der von der Zeitschrift „Economist“ berechnet wird, fast allen Staaten des AFIC ein schlechtes Zeugnis ausstellt.

Neben den systematischen und detailreichen Auflistungen der Grenzschutzabkommen und der Finanzflüsse in afrikanische Staaten stellen Schlindwein und Jakob auch grundsätzliche Fragen über die Arbeit von Frontex: Wie könne es überhaupt möglich sein, dass eine Behörde, die europäische Grenzen bewachen soll, deutsche Polizisten, rumänische Zöllner und finnische Passfälschungsexperten um die halbe Welt schickt? Auf welcher rechtlichen Grundlage setzt die EU diese weit außerhalb ihres Hoheitsgebietes ein?

Weniger stehlen statt mehr geben

Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) entgehen den afrikanischen Staaten pro Jahr rund 175 Milliarden Euro an Steuereinnahmen - das ist schätzungsweise dreimal so viel, wie an Entwicklungshilfe in die Länder des Kontinents fließen. Die Steuerverluste kommen zu einem großen Teil durch internationale Konzerne zustande. Diese Zahlen illustrieren das oft zitierte Plädoyer, dass es nicht darum gehe, den armen Ländern mehr zu geben, sondern weniger zu stehlen.

Doch Europa will den billigen Zugang zu Afrikas Rohstoffen nicht aufgeben: Gäbe es kein günstiges Uran aus dem Niger, einem bitterarmen Sahel-Staat, der den vorletzten Platz des Human Development Index belegt, würden in Frankreich die Lichter ausgehen. Der französische Erdölkonzern Total wiederum mischt in der Politik des erdölreichen Staates Gabun mit, wo die Despoten des Clans um Omar Bongo, dem sein Sohn Ali Bongo als Präsident nachfolgte, seit dem Jahr 1967 ohne Unterbrechung an der Macht sind.

Neues Verhältnis zwischen Afrika und Europa

Schlindwein und Jakob drängen darauf, dass das Verhältnis zwischen Afrika und Europa auf eine neue Basis gestellt wird. Denn mit der aktuellen Migrationsabwehr, so die beiden Autoren, unternimmt die EU eine gewaltige und kostenintensive Anstrengung, die globale Ungleichheit beizubehalten und die Wohlstandsinsel Europa militärisch zu verteidigen. Das werde auf die Dauer nicht gelingen, vor allem angesichts der drohenden Auswirkungen des Klimawandels auf Afrika.

Erzwungene Migration lässt sich laut den Journalisten nur durch ein Ende des Raubbaus an den natürlichen Ressourcen des Kontinents eindämmen. Die aktuell anlaufende Zusammenarbeit mit Diktatoren eigne sich eher dazu, die Probleme weiter zu verschärfen.

Das Buch droht stellenweise in der Fülle von Daten und Fakten unterzugehen. Dennoch scheint eine dermaßen akribische Recherche notwendig zu sein, um die Dimensionen der Ausweitung des aktuellen Grenzregimes und deren möglichen zukünftigen Konsequenzen zu verstehen.

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