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Babis: „Keine Gefahr für Demokratie“

Der Umfragefavorit hat bei der Parlamentswahl in Tschechien das Rennen gemacht: Die Protestbewegung ANO des Populisten und Multimilliardärs Andrej Babis ging am Samstag als klarer Sieger aus der tschechischen Parlamentswahl hervor, während ihr Hauptrivale - die bisher regierenden Sozialdemokraten (CSSD) des Premiers Bohuslav Sobotka - ein schweres Debakel in Kauf nehmen müssen.

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Nach dem vorläufigen Endergebnis kam ANO auf 29,6 Prozent der Stimmen, teilte die Statistikbehörde CSU am Samstagabend nach Auszählung auch der letzten Briefwahlstimmen aus Übersee mit. Die konservative, EU-skeptische Bürgerpartei ODS schaffte es entgegen erster Teilergebnisse, die die Partei auf dem dritten Platz sahen, auf Platz zwei. ODS-Chef Jan Zahradil kam demnach auf rund 11,3 Prozent der Stimmen.

Andrej Babis

Reuters/David Cerny

Der Umfragefavorit Babis gewann die Wahl klar

Sozialdemokraten abgestraft

Überraschend auf Platz drei und vier lagen die linksgerichtete Piratenpartei und die rechtsextreme, islamfeindliche SPD des tschechisch-japanischen Unternehmers Tomio Okamura mit jeweils knapp unter elf Prozent. Die Kommunisten (KSCM) kamen auf rund acht Prozent.

Über acht Mio. wahlberechtigt

Rund 8,4 Millionen Tschechinnen und Tschechen waren aufgerufen, die 200 Sitze im Abgeordnetenhaus neu zu bestimmen. 30 Parteien und Bewegungen waren zur Wahl angetreten.

Den Sozialdemokraten nützte der erst kürzlich erfolgte Austausch ihres Spitzenkandidaten nicht. Unter dem Eindruck von ungünstigen Umfragen verzichtete Sobotka, dem wenig Charisma nachgesagt wird, auf die Führungsposition und überließ diese dem Außenminister Lubomir Zaoralek. Dieser schaffte es jedoch nicht, mehr Wähler zu überzeugen: Die Sozialdemokraten (CSSD), die bisher den Regierungschef gestellt hatten, stürzten auf knapp über sieben Prozent ab (2013: 20,5 Prozent).

Schwarzenberg schafft den Einzug

Die mitregierenden Christdemokraten (KDU-CSL) konnten 5,8 Prozent auf sich vereinen, die Bewegung Bürgermeister und Unabhängige (STAN) sowie die liberal-konservative TOP 09 von Karel Schwarzenberg schafften den Einzug ins Parlament mit jeweils etwas mehr als fünf Prozent knapp. Die Wahlbeteiligung lag laut Wahlbehörde bei knapp 61 Prozent.

Bohuslav Sobotka

APA/AFP/Radek Mica

CSSD-Ministerpräsident Bohuslav Sobotka war nicht mehr zur Wahl angetreten

Babis hofft auf schnelle Regierungsbildung

Babis hofft nach eigenem Bekunden auf eine schnelle Regierungsbildung. Er habe die Vorsitzenden aller Parteien per SMS zu Gesprächen eingeladen, sagte er am Samstagabend in Prag. Seinen Gegnern und den Medien warf der Milliardär im tschechischen Fernsehen eine „Desinformationskampagne“ vor. „Wir sind keine Gefahr für die Demokratie“, so Babis in Richtung seiner zahlreichen Kritiker. Seine Bewegung sei auch „nicht nach Osten orientiert“. Er sei bereit, für die tschechischen Interessen in Brüssel zu kämpfen, lehne aber die die EU-Mitgliedschaft nicht ab. Zugleich kritisierte Babis erneut die europäische Flüchtlingspolitik.

Schwierige Regierungsbildung

Die Regierungsbildung könnte schwierig werden, nachdem alle vor der Wahl gesagt haben, dass sie nicht mit Babis koalieren wollen, berichtet ORF-Korrespondent Ernst Gelegs.

Der scheidende tschechische Ministerpräsident Sobotka betonte am Freitag bei seinem wohl letzten EU-Gipfel in Brüssel die Wichtigkeit der Europäischen Union für sein Land. Die EU-Mitgliedschaft sei „höchstprofitabel für Tschechien“, sagte der Sozialdemokrat und fügte im Hinblick auf die Zukunft hinzu: „Und deshalb brauchen wir eine geeinte EU.“

Populistisch und EU-skeptisch

Babis gilt als populistisch und EU-skeptisch. So hatte er sich etwa nach der deutschen Bundestagswahl über den Erfolg der rechtspopulistischen AfD gefreut. Die AfD sei der wahre Wahlsieger in Deutschland, so Babis wörtlich: „Sie konnten durch die Themen Flüchtlinge und Sicherheit deutlich an Stimmen gewinnen.“

Politologen wiesen im Vorfeld der Wahl darauf hin, dass die EU-Skepsis von Babis möglicherweise vor allem Wahlkampfzwecken diene. Babis sei weniger Ideologe als Pragmatiker, sagte etwa die Politologin Vladimira Dvorakova. Schon allein aufgrund seiner Wirtschaftstätigkeit sei er an guten Beziehungen interessiert.

Zweitreichster Mann Tschechiens

Der Ex-Finanzminister ist laut „Forbes“-Rangliste zweitreichster Mann Tschechiens. Sein Konzern Agrofert ist ein riesiges Lebensmittel- und Agrarunternehmen, zu dem etwa 250 Unternehmen in 18 Ländern zählen. Zu Babis’ Imperium gehören auch die Tageszeitungen „Mlada fronta Dnes“ und „Lidove noviny“, der Rundfunksender Impuls, der die höchste Hörerquote des Landes hat, und einige Gratisblätter mit großer Auflage.

Wahl traditionell an zwei Tagen

Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus finden in Tschechien traditionell an zwei Tagen statt. Die Wahllokale öffneten am Freitag um 14.00 und schlossen um 22.00 Uhr. Am Samstag wurde die Wahl von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr fortgesetzt.

Ende 2016 verabschiedete das tschechische Parlament ein inoffiziell „Lex Babis“ genanntes Unvereinbarkeitsgesetz. Es schließt Regierungsmitglieder, die Unternehmer sind, von öffentlichen Aufträgen aus und verbietet ihnen, Medien zu besitzen oder zu betreiben. Babis lagerte daraufhin sein Vermögen vorübergehend in einen Treuhandfonds aus.

Korruptionskämpfer unter Korruptionsverdacht

„Aus Zwang“, schreibt Babis in seinem Buch „Wovon ich träume, wenn ich ausnahmsweise schlafe“, sei er vor sechs Jahren in die Politik gegangen - er hätte nicht mehr mit ansehen können, „von wem und wie dieses Land gesteuert wird“. Der Staat müsse schlanker, die Korruption entschiedener bekämpft werden. Doch der Chef der seit 2014 mitregierenden ANO ist selbst mit Vorwürfen wie Medienbeeinflussung und angeblichem Betrug konfrontiert.

Grafik zum Ergebnis der tschechischen Parlamentswahlen

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/idnez.cz

Anfang September hob das Parlament Babis’ Immunität auf, seit kurzem wird er offiziell strafrechtlich verfolgt. Bei den Ermittlungen geht es um sein Wellnessressort Capi hnizdo (Storchennest) bei Prag. Es besteht der Verdacht, dass das Projekt zu Unrecht mit Mitteln für klein- und mittelständische Unternehmen mit 1,9 Millionen Euro aus der EU-Kasse gefördert wurde.

Zeman kritisierte Ermittlungen gegen Babis

Obwohl Babis im Frühjahr unter dem Druck dieser Affäre als Finanzminister zurücktreten musste, schadete ihm der Skandal offenbar kaum. Genauso wie die Vorwürfe, einst mit der kommunistischen Geheimpolizei zusammengearbeitet zu haben. Es soll in der Zeit gewesen sein, als er als Delegierter eines tschechoslowakischen Außenhandelsunternehmens in Marokko tätig war. Als „erfunden“ betrachtet Babis, vor 1989 KP-Mitglied, die Vorwürfe.

Staatspräsident Milos Zeman kritisierte die Ermittlungen gegen Babis und signalisierte bereits vor dem Wahlausgang seine Bereitschaft, ihn zum Ministerpräsidenten zu ernennen und mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Spekuliert wurde aber auch über eine Ersatzvariante, dass ein anderer ANO-Politiker zum Premier ernannt würde, etwa der Babis-loyale bisherige Vizepremier und Umweltminister Richard Brabec.

Land „wie eine Firma führen“

Babis selbst erklärte am Freitag bei der Stimmabgabe in einem Vorort von Prag, dass die Wahl „bedeutsam für die Zukunft der Tschechischen Republik“ sei. „Wir wollen das korrupte Klientelsystem besiegen.“ Babis hatte sich zum Ziel gesetzt, das Land „wie eine Firma zu führen“.

Andrej Babis mit seiner Frau Monika

APA/AFP/Michal Cizek

Babis mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Monika Babisova, die er im Sommer heiratete - im eigenen Luxusressort

Kritiker warnen vor dem Einfluss des Medienmoguls und größten privaten Arbeitgebers des Landes. Babis kumuliere „politische, wirtschaftliche und mediale Macht“, wie der sozialdemokratische Senator Jiri Dienstbier sagte. Dank der Kontrolle über wesentliche Medien schalte er demokratische Kontrollmechanismen aus. Auch Ex-Außenminister Schwarzenberg sorgte sich um die Demokratie. Es bestehe die „Gefahr, dass ein Oligarch dieses Land beherrscht“ und das Land „zu einer politischen Division seines Konzerns macht“, sagte Schwarzenberg im Vorfeld er Wahl.

„Im Grunde kein Demokrat“

Babis sei ein Unternehmerpopulist vom Schlag eines Silvio Berlusconi oder Donald Trump, so der Politologe Jiri Pehe, einst Berater bei Ex-Präsident Vaclav Havel. „Wenn es um seine Beziehung zur Demokratie geht, dann ist er im Grunde kein Demokrat“, urteilte er. Babis habe das Parlament als Schwafelverein bezeichnet, den Senat als zweite Kammer wolle er auflösen.

Tatsächlich sei ANO auch keine Bewegung, „sondern nur Babis mit einer Gruppe Komparsen. Er kann machen, was immer er will“, so Pehe. Ein Grund für den Zuspruch zur ANO sei die Enttäuschung vieler Tschechen über die traditionellen Parteien. Diese waren „in der Vergangenheit in viel Korruption involviert“.

„Viele Menschen haben Arbeit, aber sind arm“

Obwohl die tschechische Wirtschaft floriert, kommt dieser Aufschwung im Lebensbereich der meisten Bürger nicht an. Tschechien erwirtschafte etwa 80 Prozent des durchschnittlichen Bruttosozialprodukts der EU, die Einkommen machten allerdings nur rund 40 Prozent aus, sagte die Politologin Dvorakova.

„Viele Menschen haben Arbeit, aber sind arm.“ Dabei läuft in Konjunktur in Tschechien auf Hochtouren. Analysten rechnen mit einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent für das Jahr 2017, die Arbeitslosigkeit ist laut Eurostat mit einer Rate von 2,9 Prozent die niedrigste im EU-Raum.

„Krise der repräsentativen Demokratie“

Der Politologe Dieter Segert spricht von einer „Krise der repräsentativen Demokratie“, wie sie im gesamten osteuropäischen Raum zu beobachten sei. Grund dafür sei, dass die Erwartungen, die nach der Wende 1989 in den postkommunistischen Ländern geweckt wurden, nicht erfüllt worden seinen. Obwohl die wirtschaftliche Entwicklung in Tschechien durchaus gut ist - das Land hat die niedrigste Arbeitslosenrate in der gesamten EU - hätten sich die Menschen eine raschere Angleichung an den Lebensstandard und vor allem das Lohnniveau Westeuropas erwartet, so der Politikwissenschaftler an der Universität Wien.

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