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„Allgegenwärtige Bedrohung“

Forscher schlagen Alarm: Weltweit sterben einer internationalen Studie zufolge Millionen Menschen an Umweltverschmutzung. Für das Jahr 2015 führte eine neue internationale Studie etwa neun Millionen Todesfälle wegen Schadstoffen in der Luft, im Wasser oder im Boden an.

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Das ist laut der Studie dreimal mehr als durch Aids, Tuberkulose und Malaria zusammen und 15-mal mehr als durch Kriege und andere Formen der Gewalt. Die mit Abstand gravierendsten Folgen habe die Luftverschmutzung durch Industrie- und Autoabgase, aber auch - in Innenräumen - durch das Verbrennen von Holz oder Kohle zum Heizen und Kochen, heißt es in der am Freitag im medizinischen Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichten Studie.

Kohlekraftwerk in China

Reuters/Damir Sagolj

Arbeiterwohnungen in unmittelbarer Nähe eines Kohlekraftwerks in Peking

„Verschmutzung ist viel mehr als eine Herausforderung für die Umwelt - es ist eine schwerwiegende und allgegenwärtige Bedrohung, die viele Aspekte der menschlichen Gesundheit betrifft“, sagte Studienautor Philip Landrigan, Professor an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York.

Schmutziges Wasser als zweitgrößte Gefahr

Luftverschmutzung war der Untersuchung zufolge 2015 für den Tod von weltweit 6,5 Millionen Menschen verantwortlich - durch Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Lungenkrebs und Atemwegserkrankungen. An zweiter Stelle folgte die Verschmutzung von Wasser. Geschätzte 1,8 Millionen Menschen starben, weil sie sich durch verschmutztes Wasser Parasiten und Erkrankungen im Verdauungsapparat zugezogen hatten.

47 Experten an Studie beteiligt

Die „Lancet“-Studie wurde von der EU, der UNO, verschiedenen Ministerien und Behörden in Europa und den USA, der Icahn School of Medicine at Mount Sinai und der NGO Pure Earth finanziert. 47 Wissenschaftler, Umwelt- und Gesundheitsexperten wirkten mit.

Schadstoffe am Arbeitsplatz und Bleivergiftungen trugen zusammen zu weiteren 1,3 Millionen Todesfällen bei. Die Belastung am Arbeitsplatz durch giftige und krebserregende Substanzen führte zu 800.000 Todesfällen. Da sehr viele Schadstoffe noch unbekannt oder nicht ausreichend untersucht sind, gehen die Forscher davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher liegen.

Rapider Ausbau der Industrie

Vor allem Menschen aus armen Ländern sind Umweltgiften oft direkt ausgesetzt - durch rückständige Methoden in Industrie und Landwirtschaft und fehlende Schutzmaßnahmen. Insgesamt entfielen die weitaus meisten Todesfälle - 92 Prozent - auf Entwicklungs- und Schwellenländer. Vor allem in Staaten, in denen die Industrie rapide ausgebaut wurde und wird, sind die Auswirkungen dramatisch. So hängt etwa in Indien und Bangladesch jeder vierte, in China und Kenia jeder fünfte Todesfall mit Umweltverschmutzung zusammen.

Kohlekraftwerk in China

Reuters/Damir Sagolj

Industrieanlage in China: Menschen aus Staaten mit rasch voranschreitender Industrialisierung sind besonders gefährdet

„Die Ärmsten und Ohnmächtigsten“

„Verschmutzung und die damit verbundenen Krankheiten betreffen meist die Ärmsten und Ohnmächtigsten der Welt, und die Opfer sind oft die Verwundbaren und Stimmlosen“, sagte Koautor Karti Sandilya von der Umweltorganisation Pure Earth. Die Studie nennt als Beispiel Roma-Flüchtlingslager im Kosovo auf einem Areal, wo giftige Abfälle eines Bleibergwerks gelagert wurden.

Nicht aus allen Ländern gibt es allerdings Daten, wie die Studienautoren einräumen. Trotzdem zeige der Bericht auch, dass kein Land verschont bleibe, heißt es in einem „Lancet“-Kommentar. Industrialisierung, Verstädterung und Globalisierung würden die Verschmutzung antreiben.

Enorme finanzielle Einbußen errechnet

Die Studienautoren versuchten auch die wirtschaftlichen Folgen abzuschätzen. Sie beziffern die finanziellen Einbußen etwa durch entfallene Arbeitskraft und Gesundheitsausgaben mit weltweit rund 4,6 Billionen Dollar - das sind etwa 6,2 Prozent der globalen Wirtschaft. Tatsächlich sieht auch die Weltbank den Kampf gegen die globale Umweltverschutzung seit dem Frühjahr als eines ihrer Hauptziele an.

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