Sibylle Berg und Kreisky: Wenn der Frust laut wird

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Akademiker, Angestellter bei einer IT-Firma verwurzelt im Mittelstand, verheiratet, ein Kind - und doch geht alles schief im Leben des Protagonisten in Sibylle Bergs Theaterstück „Viel gut essen“, das gestern am Wiener Rabenhoftheater Premiere gefeiert hat.

„Angst in Halbschuhen“

„Wer bin denn eigentlich ich“ ist eines der ersten Lieder, das der menschgewordene Frust, verkörpert von „Austrofred“ Franz Adrian Wenzel, unterstützt von seiner Band Kreisky, zum Besten gibt. Die Ehefrau verlässt ihn ausgerechnet für einen Mann aus Eritrea. Der Frust wächst: Scheidung, Schulden, Bauarbeiten am Feiertag, Homosexuelle als Nachbarn und eine neue Einflugschneise.

„Wir müssen Migrationshintergrund erfinden, damit wir was gegen Migranten sagen können“, empört er sich - über die 26-jährige Frau mit Migrationshintergrund, die ihm den Job wegnimmt, über die biologische afghanische Küche und über Menschen, die Smileys schicken, um ihren Humor zu bekräftigen. Und darüber, dass, wo nicht Wohnungen für Flüchtlinge, da Luxuswohnungen entstehen.

Insgesamt sechs Lieder bereichern Bergs Text, den sie gemeinsam mit Kreisky ins Österreichische übersetzt hat. „Angst in Halbschuhen“ etwa thematisiert die Panik als Angestellter, in „Ich“ werden existenzielle Fragen aufgeworfen. Kreisky (neben Wenzel Martin Max Offenhuber, Lelo Brossmann und Klaus Mitter an Gitarre, Bass und Schlagzeug) variieren zwischen dröhnend lauten Rock- und - als Ode an vergangene Zeiten - sanften Gitarrenklängen.

Sybille Bergs Theaterstück „Viel gut essen“

Nikolaus Ostermann

„Austrofred“ und die Stimme des Volkes

Wenzel gibt singend, schreiend und dann wieder sinnierend den frustrierten Protagonisten. Als „Austrofred“ für seine Künste als Entertainer bekannt, überzeugt er auch an diesem Abend als Showman und Schauspieler. Die rhythmischen Sprechchöre als Stimmen des Volkes (komponiert von Michael Mautner) singen beeindruckend humoristisch und harmonisch die drei Chorleute Maximilian Atteneder, Willi Landl und Bernd Supper.

Die deutsch-schweizierische Autorin Berg, eine der bissigsten Autorinnen der deutschen Gegenwartsliteratur, findet mit „Viel gut essen“ eine Sprache für den Frust. Sie ist prickelnd, modern, an Fäkalausdrücken nicht mangelnd und trifft ins Mark. Auf die Bühne gebracht von Petra Kreuzer und Matthias Jodl stimmt an diesem Abend jedes Timing der Schauspielsänger. Jede Pointe sitzt.

Jubel für das Ensemble

Man glaubt dem Protagonisten, dass er sich unverstanden fühlt von einer Welt, die ihn als Nazi bezichtigt, weil er sich, wie er jammert, an seine tradierten Rollenbilder klammert.

„Wir wollen eine Welt, die wir verstehen“, brüllt der Chor zu grellem Licht, „wir sind das Volk“, „ich habe Angst“: Mit diesen Worten endet der mitreißende und zugleich nachdenklich stimmende Abend, der helfen kann, den Rechtsruck zu verstehen. Vom Publikum gab es Standing Ovations für das gesamte Ensemble.