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„Ich war sozusagen die Feuerwehr“

Bei den Grünen hat es bereits nach der ersten großen Krisensitzung am Dienstag einen personellen Paukenschlag gegeben: Sowohl die bei der verlorenen Wahl als Spitzenkandidatin angetretene Ulrike Lunacek als auch Bundessprecherin Ingrid Felipe gaben am Dienstag ihren Rücktritt bekannt. Interimistischer Parteichef wird Vizeklubchef und Listenzweiter Werner Kogler.

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Nachdem Felipes Rückzug bereits zuvor bekannt wurde, bestätigte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Abend auch Lunacek Medienberichte über ihren Abschied aus der Politik. Betroffen ist nicht nur ihr Sitz im EU-Parlament. „Ich lege auch meine Funktionen im Bundesvorstand der Grünen zurück und lege eine Pause ein“, wie Lunacek dazu sagte. „Es braucht einen Neustart.“

Offen ließ Lunacek, ob zu einem späteren Zeitpunkt wieder eine Rückkehr auf das politische Parkett denkbar wäre. Die Pause sei keine leichte Entscheidung, aber notwendig, führte sie aus. Bereits im November soll der steirische Grünen-Politiker Thomas Waitz den Sitz von Lunacek im EU-Parlament übernehmen.

„Schlimmste Krise“ seit 31 Jahren

Ungeachtet des noch ausstehenden Endergebnisses glaubt Lunacek nicht mehr an ein Wahlkartenwunder. Der „Rauswurf ist schon fix“, so Lunacek, der zufolge es nun darum gehe, Verantwortung zu übernehmen. Der Grünen-Politikerin sprach in diesem Zusammenhang von der schlimmsten Parteikrise seit 31 Jahren - Österreich habe so etwas „noch nicht erlebt“. Gleichzeitig zeigte sich Lunacek aber auch davon überzeugt, dass es den Grünen gelingen werde, „wieder in den Nationalrat einzuziehen“.

In der ZIB2 verteidigte Lunacek die Doppelspitze, Felipe habe viel Arbeit nach innen geleistet. Man müsse nun die Fehler analysieren, die auch bereits lange vor dem Abgang von Peter Pilz passiert seien. Man werde wohl auch die Strukturen anschauen müssen.

Vassilakou will breitere Aufstellung

Wiens Grünen-Chefin Maria Vassilakou sagte im Anschluss beim „Runden Tisch“, dass sich die Partei breiter aufstellen müsse und auch eine junge Generation in der Partei aufbauen. Neben neuen Jungen brauche es aber auch erfahrene Personen wie sie selbst und daher wolle sie sich nun stark einbringen. Erste Feedbacks von Wählerinnen und Wähler würden zudem zeigen, dass bei diesen Querelen und Spaltungen hängen geblieben seien, aber auch ein Moralaposteltum und der Eindruck, dass die Grünen an den Menschen und dem, was sie bewegt, nicht nahe dran sind.

Diesen Eindruck bestätigte auch der ehemalige grüne Klubchef Andreas Wabl: Die Arbeit der Grünen sei nicht einsichtig genug gewesen, Inhalte wie das Wahlprogramm zu kompliziert, die Grünen in Summe wirkten abgehoben. Zudem habe oft ein Kampfeswille gefehlt. Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sagte weiters, die Grünen hätten verabsäumt, eine Basis auf Gemeindeebene aufzubauen, und hätten dadurch auch nicht genug Kontakt zu den Menschen gehabt. Stattdessen hätten sich die Grünen zu sehr auf die Arbeit im Bund konzentriert. Das Profil der Grünen sei zu verschwommen.

Ulrike Lunacek und Ingrid Felipe

APA/Robert Jäger

Lunacek und Felipe waren bei der Pressekonferenz sichtlich bewegt

Felipe will sich nun ganz auf ihre Arbeit als Tiroler Parteichefin konzentrieren, um wieder die „Trendwende“ zu schaffen. Dort findet nächstes Jahr eine Landtagswahl statt. Was die Zukunft der Bundesgrünen betrifft, gebe es derzeit „keine einfachen Antworten“, die Lage sei zu ernst. Sie und Lunacek würden aber jetzt die Verantwortung dafür übernehmen, „dass die Mission nicht gelungen ist“, die Grünen im Nationalrat zu halten. Es habe viele Fehler gegeben, das müsse man sich genau anschauen.

„Tirol ist nächste wichtige Wahl“

„Tirol ist die nächste wichtige Wahl und Tirol braucht meine volle Energie“, hatte Felipe bereits zuvor gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“ („TT") ihren Rückzug begründet. Sie helfe den Grünen sicher am allermeisten, „wenn wir in Tirol gut abschneiden“, so Felipe, die erst vor rund vier Monaten als Ersatz für Eva Glawischnig die Führung der Bundesgrünen übernahm.

„Wenn man als grüne Partei nicht mehr dem Nationalrat angehört, kann man nur sagen, die schwierige Mission ist gescheitert“, wird die scheidende Kurzzeit-Grünen-Chefin von der „TT“ zitiert. Auf die Frage, ob es ein Fehler war, die Grünen von Tirol aus zu führen, sagte Felipe: „Mittlerweile teile ich diese Einschätzung.“ Sie sei aber auch als Bundessprecherin nur eingesprungen, nachdem niemand diese Verantwortung übernehmen wollte. „Ich war sozusagen die Feuerwehr“, so Felipe, die den Grünen das Problem einer „Besserwisserei“ attestierte.

Geheimer Tagungsort

Der sich abzeichnende Abschied aus dem Parlament samt der damit einhergehenden Personaldebatte war am Dienstag zentrales Thema der ersten Krisensitzung des Bundesvorstands nach der Wahl. Ungeachtet einer mit dem Titel „Personelles“ für den frühen Abend angekündigten Pressekonferenz zeigten sich die Teilnehmer des Bundesvorstands zu Sitzungsbeginn noch wortkarg und waren um größtmögliche Distanz bemüht, worauf etwa ein geheim gehaltener Tagungsort verwies. Nach dessen Durchsickern wurde dieser verlegt.

Klubchef Albert Steinhauser meinte noch am ersten Ort: „Es gibt nichts zu sagen, weil wir erst tagen.“ Noch wortkarger gab sich Lunacek. Sie forderte die Journalisten bei ihrem Eintreffen lediglich dazu auf, Respekt zu zeigen. Im Ö1-Mittagsjournal hatte Steinhauser zuvor von „brutalen“ Konsequenzen des Wahlverlusts gesprochen, denn nicht nur die Abgeordneten, sondern auch 90 Mitarbeiter müssten ihre Arbeit einstellen.

Nur noch 36.000 Stimmen offen

Wie nach Auszählung der Briefwahlstimmen in der Nacht auf Dienstag bekanntgegeben wurde, liegen die Grünen nun bei 3,76 Prozent. Sie konnten zwar um 0,44 Prozentpunkte zulegen, aber das war bei 3,32 Prozent aus der Urnenwahl zu wenig, um die Vierprozenthürde zu nehmen. Bei laut Innenministerium 36.893 noch offenen Wahlkarten haben sie innerhalb der vom ORF-Hochrechner SORA ausgegebenen Schwankungsbreite - zumindest theoretisch - zwar weiterhin Chancen, das Ergebnis wird sich dadurch aber voraussichtlich wohl nur noch marginal verändern.

Hochrechnungsgrafik

ORF/SORA

Denn am Montag wurden bereits 758.588 per Post oder bei den Bezirkswahlbehörden im eigenen Wahlkreis abgegebene Briefwahlstimmen ausgezählt. 753.616 davon waren gültig, das waren beinahe 15 Prozent der bisher ausgewerteten gültigen Stimmen. Am Donnerstag werden noch jene 36.893 Wahlkarten ausgezählt, die am Sonntag in fremden Wahlkreisen abgegeben wurden - und zwar nicht nur „klassisch“ als Wahlkarte, sondern heuer erstmals auch als Briefwahl (also ausgefüllt und unterschrieben).

Steinhauser meldete sich bereits am Montag im Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort: „Zehn tolle Jahre im Parlament sind vorbei. Dass ich nicht weitermachen darf, trifft mich hart, aber ich kann’s nicht ändern.“

110 Mitarbeiter vor Kündigung

Laut APA-Informationen haben die Grünen unterdessen bereits mit der Abwicklung der Bundespartei begonnen. Am Montag wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass ihnen mit Ende der am 8. November endenden Gesetzgebungsperiode die Kündigung droht.

Insgesamt sind rund 110 Mitarbeiter betroffen. Rund 90 dürfte es den Angaben zufolge im Parlamentsklub der Grünen treffen, knapp 20 in der Bundespartei. Die Grünen müssen in den nächsten Wochen bis zur konstituierenden Sitzung des Parlaments auch ihre Klubbüros rund um das Parlament räumen. 31 Jahre waren die Grünen seit ihrem Einzug 1986 im Nationalrat vertreten.

Grafik zeigt die Entwicklung der Grünen seit 1986

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Großteil von Klubförderung betroffen

Mit einem Auszug aus dem Parlament ist auch der Verlust der Klubförderung verbunden. Bei den Grünen waren das zuletzt 3,4 Millionen Euro. Den Grünen droht, auch mit Blick auf Millionenschulden aus dem Wahlkampf, somit auch ein finanzielles Debakel. Fünf Mio. Euro Schulden hat die Bundespartei, so Felipe bei der Pressekonferenz am Dienstag. Es werde mit den Landesorganisationen bereits an einem Plan gearbeitet, um diese Schulden „solidarisch“ zu tilgen.

Wie die Parlamentsdirektion am Dienstag sagte, wird zumindest die Bundesratsfraktion auch künftig Fördermittel erhalten. Allerdings werden sie deutlich geringer ausfallen als die aktuelle Klubförderung, weil die nur den Nationalratsklubs zustehenden Sockelbeträge wegfallen. Laut Felipe soll in der Sitzung des erweiterten Bundesvorstands am Freitag über die weitere Finanzierungsfrage diskutiert werden. Ebenso sind die weiteren möglichen Strukturen der Bundesgrünen Thema.

Vier Bundesräte und drei EU-Abgeordnete

Die Grünen verfügen im Bundesrat über vier Abgeordnete (je einer aus Wien, Salzburg, Tirol und Oberösterreich) und Fraktionsstatus. Letzteres bedurfte eines Mehrheitsbeschlusses der Länderkammer, weil für eine Fraktion eigentlich fünf Mandatare nötig wären. Außerdem gibt es drei grüne EU-Abgeordnete.

Nach Angaben des Politikwissenschaftlers Hubert Sickinger kommen für die Bundesratsförderung zwei Beträge infrage: jedenfalls der für jeden Bundesrats- und EU-Mandatar zustehende Zusatzbetrag von jeweils rund 26.400 Euro (in Summe also 185.000 Euro). Unklar ist aus seiner Sicht, ob den Grünen zusätzlich auch die Bundesratsfraktionsförderung von 174.280 Euro zusteht.

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