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Der Intellektuelle und das Biest

Hinter seiner zivilisierten Maske sei der Mensch auch nur ein Tier - diese These hat Ruben Östlund schon in früheren Werken wie „Turist“ („Höhere Gewalt“) vertreten. In seinem fünften Film „The Square“ geht der schwedische Regisseur nun einen Schritt weiter und konfrontiert sein eigenes Milieu, Stockholms linksliberale Kulturszene, mit der rohen Gewalt eines menschlichen „Affen“.

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Christian (Claes Bang) ist Chefkurator des Stockholmer Nationalmuseums. Er hat es beruflich weit gebracht und strahlt das auch aus: Zur lässigen Haartolle trägt er eine markante, rote Designerbrille. In die Arbeit fährt er einen Tesla mit Elektroantrieb und Schalensitzen aus Leder. Und wenn Christian eine Eröffnungsrede hält, lauschen Kultur-VIPs und grauhaarige Mäzene gleichermaßen andächtig seinen Worten. Zumindest nach außen wirkt der 40-Jährige wie ein Erfolgsmensch, der im Leben alles richtig gemacht hat - doch hinter der souveränen Fassade mangelt es ihm an Rückgrat.

Prototyp des zahnlosen Linken

Ruben Östlunds Satire „The Square“ beschreibt nun über zweieinhalb Stunden den langsamen Niedergang dieses durchaus sympathischen Ausstellungsmachers. Dabei entwirft der Film zugleich das Porträt eines Mannes, der zwischen Gewissensfragen zerrieben wird, noch bevor er handelt, und das Sittenbild einer Gesellschaft, die derart „zivilisiert“ ist, dass sie verlernt hat, den eigenen Instinkten zu vertrauen.

Filmszene aus "The Square"

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Kurator Christian (Claes Bang) zeigt seinen Töchtern die Lichtinstallation „The Square“

Besonders augenfällig wird dieser Subtext in einer zentralen, fast unerträglich brutalen Szene: Kurator Christian hat ein Galadinner organisiert, bei dem ein berühmter Performer als Menschenaffe auftritt. Derart plastisch verkörpert der muskulöse Oleg (gespielt von US-Stuntman Terry Notary, der als bester Affendarsteller der Welt gilt) die Bestie, dass er den Gästen bald Angst einjagt. Doch niemand traut sich, ihn zu stoppen. Auch nicht, als der Performer auf die fein gedeckten Tische springt, als er Männer provoziert und Frauen begrapscht. Wer will sich schon vor den anderen als Kunstbanause outen?

Ein „Affe“ führt die Menschen vor

Der „Affe“, der brachial seinen Instinkten folgt, wird bei Östlund zum Gegenbild der linken Elite. Eben gerade deshalb kann das „Tier“ die Gäste des Dinners ungestraft terrorisieren, weil es die verdrängten Anteile ihrer eigenen Persönlichkeit verkörpert: Vulgarität, Gier und Wut, jene Eigenschaften, die die liberalen Großstädter sich unter großer Anstrengung abgewöhnt zu haben glauben.

Filmszene aus "The Square"

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Das Museum ist die Umgebung, in der Christian sich wohlfühlt. Weniger souverän agiert er in der Fußgängerzone

Und auch Christians privater Niedergang beginnt mit einer Erfahrung, auf die er nicht angemessen reagieren kann. In der Fußgängerzone fällt er auf das Spiel von Trickdieben herein. Während er glaubt, einer jungen Frau zu helfen, wird er von ihr und ihren Komplizen beraubt. Der smarte Museumsmann als Opfer? Christians Weltbild gerät ins Wanken.

Opfer, das waren bisher die anderen, die, die Christian in seinen politisch engagierten Ausstellungen thematisierte: Bettler, Migranten, Sozialhilfeempfänger. Allein, ohne Handy und Geld, wirkt nun der Kulturmacher selbst hilflos wie ein Kind, das einsehen muss, dass es allein in der Welt ist, oder genauer: Er ähnelt jenem Waisenkind, mit dem eine zynische PR-Kampagne des Museums auf YouTube um Clicks buhlt.

„Richtiges Handeln“ als Kunstprojekt

Das Kunstprojekt, an dem Christian im Film arbeitet, heißt wie der Film selbst: „The Square“ (ein fiktives Kunstwerk der real existierenden Künstlerin Lola Arias). Es handelt sich um ein weiß beleuchtetes Rechteck auf einem öffentlichen Platz, einen Ort, auf dem Passanten ihr Handeln reflektieren sollen.

Filmszene aus "The Square"

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Gesellschaftliche Spielregeln sind für Kunstmacher Christian zunächst noch ein abstraktes Experimentierfeld

Ein ziemlich kopflastiges Experiment, dem Christian große Aufmerksamkeit widmet, während er im realen Leben übersieht, dass er andere beleidigt und degradiert. Etwa einen Buben aus einem heruntergekommenen Sozialbau, den er zu Unrecht des Diebstahls beschuldigt. Überhaupt scheint es in Östlunds Film so, als seien dessen linksintellektuelle Protagonisten eher in der Möglichkeitsform zu Hause als im Alltag: Theoretisieren können sie besser als handeln.

Wer will, kann „The Square“ entsprechend auch als Pauschalkritik an einer Linken lesen, die es sich in ihren eigenen Haltungen bequem gemacht hat: Vorwürfe, dass der Regisseur selbst ein Rechter, ja ein Rassist sei, wurden im eigenen Land 2011 tatsächlich einmal laut, als Östlund in seinem dritten Film, „Play“, eine kriminelle Bande ausschließlich schwarzer Jugendlicher porträtierte. In Interviews zeigt sich der Regisseur allerdings äußerst sensibel auf Fragen der Hautfarbe und des Geschlechts - als Sohn einer Feministin sei er früh mit diesen Diskursen vertraut gemacht worden.

Der Regisseur, der Haneke ausstach

In Österreich einen Monat nach den Wahlen startet „The Square“ jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt. Der Film hat genügend Tiefe, um verschiedene Deutungen zuzulassen: Als Aufforderung an die Linke, sich wieder Zähne und Klauen zuzulegen, ist er ebenso lesbar wie als Kritik am Selbstbild des modernen, westlichen Mannes (so interpretiert ihn beispielsweise der Rezensent des „Spiegel“).

Am besten funktioniert „The Square“ aber als Gesellschaftsanalyse im breiteren Sinn. Als Werk, dessen Figuren für einen gewissen Zeitgeist und dessen Haltungen stehen. In diesem Metier tritt auch Michael Haneke an, den Östlund heuer im Rennen um die Goldene Palme von Cannes überraschend ausstach. Beide Regisseure bauen in ihren Filmen moralische Versuchsanordnungen. Und ja, es ist wahr: dem Schweden gelang das diesmal besser.

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