„Pragmatik im Ausland“
Durch den sich anbahnenden Wechsel im Bundeskanzleramt wird es in vielen Bereichen Änderungen der politischen Ausrichtung geben - das betrifft womöglich auch Österreichs Haltung in Fragen zur Europapolitik. Jedenfalls steht die Regierung mitsamt ihrer Ausrichtung im kommenden Jahr besonders in der Auslage, wenn Österreich den Vorsitz im EU-Rat übernimmt.
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Es werden also die bis dahin längst angelobten Minister sein, die den Auftritt Österreichs in Brüssel bestimmen. Die zurzeit noch möglich erscheinenden Koalitionen beschränken sich faktisch auf zwei Varianten - Schwarz-Blau oder Rot-Blau, wenn auch weit weniger wahrscheinlich. Aus Sicht der EU sei man über beide Varianten „nicht sehr erfreut“, so Daniel Gros vom Brüsseler Thinktank Center for European Policy Studies (CEPS) im Gespräch mit ORF.at in Brüssel.
„Österreich nicht der einzige Problemkandidat“
Doch gerade im Hinblick auf die Ratspräsidentschaft Österreichs im kommenden Jahr rechnet Gros trotz möglicher europapolitischer Veränderungen mit keinem großen Aufsehen durch die neue Regierung, selbst wenn sie innenpolitisch auf eine schlankere Union pocht oder in Teilen vielleicht per Volksabstimmungen gar Stimmung gegen die EU macht: „Markige Sprüche im Inland, Pragmatismus im Ausland“, prognostizierte Gros. Es könne schon sein, dass „Bemerkungen losgelassen werden“. Das komme aber in Brüssel nicht an, „außer vielleicht bei ein paar EU-Parlamentariern, die sich aufregen“, so Gros. Generell verfüge Österreich über einen „soliden diplomatischen Dienst“ und ausreichend Routine.
Nationale Stimmungsmache über Volksabstimmungen oder Referenden seien in Europa „generell ein Problem“, so Janis Emmanouilidis vom European Policy Centre (EPC) im ORF.at-Interview in Brüssel. Es gehe nicht um die eigentliche Sache, man wolle vielfach nur die „Rote Karte zeigen“. Wenn man Volksabstimmungen oder Referenden auf Europapolitik ausrichte, bringe das Gefahren mit sich. Das habe sich beim „Brexit“-Votum gezeigt. Österreich sei in Sachen etwaiger Volksabstimmungen aber mit Sicherheit „nicht der einzige Problemkandidat“, so Emmanouilidis.
„Bremser“ und „Sorgenkinder“
Generell müsse man mit der Prognose möglicher Handlungen einer neuen Regierung aber abwarten, so Emmanouilidis - diese würden sich wohl auch daran orientieren, wie sich die EU nun weiterentwickle und wie sehr Deutschland und Frankreich die angekündigten „Ambitionen“ überhaupt vorantreiben. Erst wenn das klar sei, stelle sich die Frage, „ob die österreichische Regierung bereit ist, die Vorhaben zu unterstützen“, so Emmanouilidis gegenüber ORF.at.
Das werde auch auf die Teilbereiche ankommen - etwa die Haltung zu Währungsunion, Migration, Sicherheit und Verteidigung. „Bei einigen Punkten wird Wien vielleicht unter den Bremsern sein, bei anderen wird sie bereit sein, zur Hand zu gehen“, glaubt Emmanouilidis. Im Hinblick auf die Ratspräsidentschaft mache man sich in Brüssel „natürlich Sorgen“, man habe aber „viele Sorgenkinder“, auf Polen und Ungarn könne mit Tschechien nach den Wahlen womöglich schon das nächste folgen.
„Handeln nach Großwetterlage“
Österreich habe eine „gewisse Vermittlungsfunktion mit Osteuropa“, das möchte man in Brüssel nicht verlieren. Eine wirkliche Annäherung zur Visegrad-Gruppe (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen) sei „Fantasie“, die Staaten seien „schon untereinander gespalten“, so Emmanouilidis. Dass sich ein möglicher Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) voll hinter eine Position aus Budapest oder Warschau stellt, hält er für wenig wahrscheinlich, „da wäre er schlecht beraten“. Das Einnehmen bestimmter Standpunkte werde wohl eher „selektiv nach Themenlage“ oder der „politischen Großwetterlage“ entsprechend geschehen.
Einen Visegrad-Beitritt sieht Experte Gros allein schon aus finanziellen Gründen praktisch ausgeschlossen, außerdem gäbe es dort ganz andere Interessen, als Österreich sie verfolge. Diese Staaten würden sich für Personenfreizügigkeit aussprechen und hätten als NATO-Mitglieder verteidigungspolitisch völlig andere Ausrichtungen. Bei der von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer Rede zur Lage der Union vorgeschlagenen Schengen-Ausweitung gab es schon bei anderen Staaten kritische Reaktionen - eine schwarz-blaue Regierung würde negativ damit umgehen, sie wäre aber in Europa nicht alleine, glaubt Emmanouilidis.
Für Koalitionspartner „enorm schwierig“
Ziel von ÖVP oder SPÖ werde es sein, die FPÖ nach außen hin unter Kontrolle zu halten, doch es werde „enorm schwierig“, glaubt der Experte. Die FPÖ genieße einen „enormen Rückhalt“ in der Bevölkerung, man könne die Partei nicht an den Rand drängen. Die FPÖ sei eine etablierte Kraft, „eine konsolidierte Partei“, die über eine Wählerschaft verfüge, auf die sie sich verlassen könne. So eine Partei könne man nicht einfach unter Druck setzen. Und letztlich habe das auch die Große Koalition nicht zu Wege gebracht.
Links:
Valentin Simettinger, ORF.at, aus Brüssel