Wahljahr voller Turbulenzen
Mit der Wahl am Sonntag ist er endgültig vorbei: ein Wahlkampf, den viele Österreicherinnen und Österreicher wohl schnell wieder vergessen wollen. Das Wahlwerben versank zum Ende hin fast gänzlich im Schlamm, den die Facebook-Affäre rund um die SPÖ hochschwappen ließ. Der „Super-GAU“ Ende September war zwar der traurige Höhepunkt - begonnen hat das turbulente Wahljahr aber schon viel früher.
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Wer die Geschichte dieses Wahlkampfs erzählen möchte, muss zumindest bis in den Jänner zurückgehen. Mit der Hofburg-Wahl hatte Österreich gerade eine der längsten Wahlentscheidungen der Geschichte hinter sich. Und doch warf bereits der nächste Wahlkampf seinen Schatten voraus.
Grundsatzrede mit Geschmack von Wahlkampf
Etwas mehr als ein halbes Jahr war Bundeskanzler und SPÖ-Obmann Christian Kern im Amt, als er im Jänner 2017 seinen „Plan A“ präsentierte. Großes Publikum, runde Bühne, ein Kanzler, der fast zwei Stunden lang frei redete und sein „Programm für Wohlstand, Sicherheit und gute Laune“ präsentierte. Das sei schon mehr als eine Grundsatzrede gewesen, munkelten manche Kommentatoren und sahen den Kanzler bereits im Wahlkampfmodus.

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An der Inszenierung ließ es Kern im Jänner bei der Präsentation seines „Plans A“ nicht fehlen
Kern wies solche Vermutungen von sich, versicherte, arbeiten zu wollen. Sein Konterpart beim Koalitionspartner ÖVP, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, versprach selbiges. Ende Jänner stand dennoch eine Neuwahl zumindest im Raum. Erst nach langem Ringen setzten alle Minister ihre Unterschrift unter ein neu überarbeitetes Arbeitsprogramm der Regierung.
Übernahme fast wie aus dem Lehrbuch
In der ÖVP bedeutete die Einigung in der Koalition allerdings kein Ende der internen Querelen. Immer wieder wurde aus den eigenen Reihen gegen Parteichef Mitterlehner geschossen. Anfang Mai verging kaum ein Tag ohne neue Berichte zur Obmanndebatte in der Volkspartei. Bis Mitterlehner am 10. Mai einen Schlussstrich zog - und seinen Rücktritt bekanntgab.
Mag sein, dass Mitterlehners Schritt die eigene Partei überrumpelt hatte. Seinen seit Langem kolportierten Nachfolger brachte er damit - falls überhaupt - aber nur kurz aus dem Tritt. Nur vier Tage später übernahm Außenminister Sebastian Kurz als designierter Parteichef die Führung der Partei – ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen. In kurzer Zeit verpassten er und sein Team der Volkspartei ein neues Outfit – inklusive neuer Farbe, neuem Logo und einem „neu“ vor dem Parteinamen.
SPÖ am falschen Fuß erwischt
Weitaus kälter erwischte der Rückzug des bisherigen ÖVP-Chefs den Koalitionspartner. Noch am Tag von Mitterlehners Rücktritt bot Kern der ÖVP und namentlich Kurz eine „Reformpartnerschaft“ an. Ein Angebot, das der Außenminister freilich kategorisch ausschloss. Auch den Gefallen, den Vizekanzlerposten zu übernehmen, tat Kurz der Kanzlerpartei nicht. Stattdessen sollte für die letzten Monate der Regierung der parteifreie Justizminister Wolfgang Brandstetter den Vize übernehmen.
Kurz’ Kalkül ging auf: War die ÖVP in den Umfragen bisher deutlich abgeschlagen auf Platz drei gelegen, schnellten die Werte der Partei mit einem Mal um rund zehn Prozent nach oben. Von Mitte Mai weg hielt die Volkspartei mit klarem Abstand die Spitzenposition. Die internen Parteikonflikte schienen, wenn schon nicht beseitigt, so zumindest auf unbestimmte Zeit zugedeckt.

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Neuer Obmann, neue Generalsekretärin, neue Farbe: Umbau der ÖVP unter Sebastian Kurz
Auch die inhaltliche Positionierung funktionierte. Mit dem Thema Migration, von Kurz zur großen Metaerzählung gemacht, schlug der ÖVP-Spitzenkandidat erfolgreich in eine über Jahre von der FPÖ behauene Kerbe. Ein Stück für Stück präsentiertes Wahlprogramm und eine Vielzahl an politischen Quereinsteigern sicherte überdies die mediale Präsenz. Die SPÖ, die versuchte, klassisch sozialdemokratische Themen wie Verteilungsgerechtigkeit zu propagieren, schien dagegen nur bedingt anzukommen.
Beauftragung mit Folgen
Dazu kam: So rund die Vorwahlkampfmaschine der ÖVP lief, so sehr stotterte der Kampagnenmotor der SPÖ. Über das Pizza-Video Kerns im April konnten sich noch die Geister scheiden – es bescherte der Partei zumindest eine breite Aufmerksamkeit im Netz. Doch spätestens mit Frühsommer wurde der Weg Richtung Wahl holprig. Keine zwei Monate nach seiner Bestellung trat Ende Juli SPÖ-Kampagnenleiter Stefan Sengl zurück. Bis heute sind die genauen Gründe für den Rückzug offen. Es gilt aber als offenes Geheimnis, dass das Wahlkampfteam der SPÖ mit groben internen Differenzen zu kämpfen hatte. Bereits Anfang Juni kursierten Medienberichte über Handgreiflichkeiten zwischen ranghohen Mitarbeitern.
Bereits damals fiel immer wieder ein Name: Tal Silberstein. Der Politberater hatte bereits mehrere Wahlkämpfe für die SPÖ mitorganisiert, war innerhalb der Partei aber keineswegs unumstritten. Und tatsächlich sollte seine neuerliche Beauftragung für die SPÖ zum Bumerang werden. Der erste herbe Rückschlag ereilte die Partei, als Silberstein Mitte August in Israel wegen Korruptionsvorwürfen vorübergehend festgenommen wurde. Die SPÖ beendete daraufhin offiziell die Zusammenarbeit mit dem Berater, beteuerte, alle Kontakte gekappt zu haben. Das dicke Ende sollte aber noch Wochen auf sich warten lassen.
Parteiflug durch Turbulenzen
Mit Turbulenzen hatten im Frühjahr allerdings auch andere zu kämpfen. Nur acht Tage nach Mitterlehners Rücktritt verloren die Grünen ihre eigene Parteichefin. Eva Glawischnig legte am 18. Mai alle politischen Ämter zurück. Dem Schritt war unter anderem ein schwerer Streit mit der grünen Jugendorganisation vorausgegangen, der im Rausschmiss der Jungen Grünen aus der Bundespartei endete.

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Ulrike Lulnacek und Ingrid Felipe sprangen in die Lücke, die Eva Glawischnig an der Parteispitze hinterließ
Die – in Anbetracht des heranrückenden Wahlkampfs – unter Zeitdruck geführte Nachfolgesuche mündete in einer Doppelspitze: Die Tiroler Landespolitikerin Ingrid Felipe übernahm die Parteiführung. Die EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek ging als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf. Doch auch der wurde für die Partei über Strecken zu einem Hindernislauf.
Pilz knabbert an grüner Basis
Am grünen Bundeskongress Ende Juni verlor Peter Pilz die Wahl um Platz vier auf der Bundesliste. Er zog sich daraufhin nicht nur aus der Partei zurück, sondern gründete kurze Zeit später sein eigenes Parteiprojekt. Mit an Bord: der bisherige Kultursprecher und der bisherige Budgetsprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl und Bruno Rossmann. Auch die SPÖ-Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber wechselte in Pilz’ Lager.

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Ende Juli war fix: Pilz geht mit einer eigenen Liste in die Wahl
Zwar versicherte Pilz wiederholt, den Grünen keine Stimmen abspenstig zu machen. Glaubt man den Meinungsforschern, knabberte die Grünen-Abspaltung aber genau an eben dieser Basis. In den Umfragen standen denn beide auch zumeist bei je rund fünf Prozent.
Griss-Effekt offen
Eine Verbreiterung der eigenen Basis machte sich NEOS zu Beginn des Wahlkampfs zum Ziel. Möglich machen sollte das unter anderem Irmgard Griss: Anfang Juli präsentierte Parteichef Matthias Strolz die ehemalige Höchstrichterin und Präsidentschaftskandidatin als Listenzweite.

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Strolz gewann Griss als Mitstreiterin für die Nationalratswahl
Sie fand zugleich Eingang in den etwas ausufernden Listennamen: „NEOS - Das Neue Österreich gemeinsam mit Irmgard Griss, Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Verantwortung“. Ob das Kalkül aufgeht, ist fraglich. In den Umfragen kam die Partei kaum über sechs Prozent hinaus.
Gegenseitige Dirty-Campaigning-Vorwürfe
Worauf NEOS aber in den letzten Tagen vor der Wahl genauso wie die Grünen hoffen konnte: dass der Schmutzkübel, der Ende September explodierte, Wählerinnen und Wähler von SPÖ und ÖVP zu den kleineren Parteien treibt. Bereits den ganzen Sommer über hatten sich SPÖ und ÖVP gegenseitig des Dirty Campaignings bezichtigt. Vor allem die Volkspartei ließ fast jede Woche mit dem Appell aufhorchen, die SPÖ möge aufhören, den ÖVP-Spitzenkandidaten „anzupatzen“.
Die Kritik drehte sich um zwei Facebook-Seiten. Die eine gab sich als radikale Fanseite von ÖVP-Chef Sebastian Kurz aus, die andere schoss mit teils rassistischen, teils antisemitischen Postings gegen den ÖVP-Obmann. Bereits im Frühsommer hatte die Volkspartei den Noch-Regierungspartner dahinter vermutet. Die SPÖ hatte allerdings jede Beteiligung dementiert.
„Super-GAU“ zwei Wochen vor der Wahl
Zwei Wochen vor der Wahl passierte schließlich, was Politologen unmittelbar danach als „Super-GAU“ bezeichneten: „Presse“ und „profil“ berichteten Ende September simultan, dass hinter beiden Facebook-Seiten ein vom damaligen SPÖ-Berater Silberstein beauftragtes Team stehe. Die SPÖ tauschte noch am Tag des Bekanntwerdens der Affäre ihren Wahlkampfleiter und Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler aus.
Sein Nachfolger Christoph Matznetter versuchte sich im Krisenmanagement, legte Teile des Vertrags mit Silberstein offen, blieb aber der SPÖ-Linie treu: Die Parteispitze habe nichts von den Aktivitäten gewusst. Ein involvierter SPÖ-Mitarbeiter wurde suspendiert. Teil der Verteidigungsstrategie war zugleich der Gegenangriff. Die SPÖ sah sich auch selbst als Opfer: zum einen weil man von Silberstein hintergangen worden sei; zum anderen, weil die Kampagne der SPÖ „verkauft worden ist“, wie Kern sich immer wieder beklagte.
ÖVP bleibt nicht unbefleckt
Nur wenige Tage nach den Enthüllungen geriet dann auch die ÖVP in die Schlagzeilen. PR-Berater Peter Puller, früher für ÖVP und NEOS tätig, hatte die Facebook-Seiten im Auftrag Silbersteins betrieben. Er gab nun an, dass ihm der Pressesprecher des Außenministeriums und Kurz-Vertraute Gerald Fleischmann bereits im Sommer angeboten habe, überzulaufen. 100.000 Euro sollen laut Puller auf dem Tisch gelegen sein.
Nun war es an der ÖVP, heftig zu dementieren. Der vorläufige Höhepunkt des Streits: gegenseitige Anzeigen der Parteien vor Gericht. Wer bisher moniert hatte, dass Themen im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätten, wurde nun vollends bestätigt. Über Tage dominierten allein die schmutzigen Methoden und gegenseitigen Vorwürfe die Berichterstattung.
Lachender Dritter?
Noch ist offen, welche Auswirkung die Affäre wirklich nach sich zieht. Meinungsforscher halten jedoch einen lachenden Dritten für möglich: die FPÖ. Über weite Strecken des Wahlkampfs schienen die Partei und ihr Spitzenkandidat Heinz-Christian nicht so recht Tritt zu fassen. Der – auch medial inszenierte – Zweikampf zwischen Kern und Kurz ließ manchmal wenig Platz für den FPÖ-Kandidaten. Monatelang war die Partei in den Umfragen auf Platz eins gelegen. Mit dem Antreten Kurz’ war die Spitzenposition Geschichte – und schnell auch der von Strache gestellte Kanzleranspruch.

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Ende August nahm der Wahlkampf der FPÖ Fahrt auf
Erst verhältnismäßig spät schienen die Freiheitlichen ihren Fokus zu finden. Ende August präsentierten sie zuerst ihr Wirtschaftsprogramm, zwei Tage später startete der Intensivwahlkampf unter dem Schlagwort „Fairness“. Erklärtes Ziel: eine erneute Koalition zwischen SPÖ und ÖVP zu verhindern. Eine solche hat der nunmehrige Wahlkampf sicher nicht wahrscheinlicher gemacht. Und die beiden bisherigen Regierungspartner werfen dem jeweils anderen ohnehin seit Wochen vor, eine Koalition mit der FPÖ zu planen.
Links:
Martin Steinmüller-Schwarz, ORF.at