Themenüberblick

„Sexy 100 BPM“

Noch kein Künstler hat schneller die Marke von einer Milliarde Streams auf Spotify durchbrochen als der Norweger Kyrre Gorvell-Dahll, besser bekannt als Kygo. Der 24-Jährige gilt als einer der Vorreiter des Tropical House - eines Genres, das auf dem schmalen Grat zwischen Sexyness und Fahrstuhlmusik wandelt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Der junge Produzent und DJ steht exemplarisch für eine neue Generation von Musikern, die es ohne Hilfe eines Plattenlabels zu Ruhm bringen. 2013 begann Gorvell-Dahll, auf Soundcloud inoffizielle Remixes von Songs von Ellie Goulding, Passenger und Rihanna zu veröffentlichen. Bekanntheit erlangte vor allem sein Remix des Marvin-Gaye-Hits „Sexual Healing“, der es auf zehn Millionen Aufrufe brachte.

Ein Jahr später stellte der 24-Jährige einen ebenfalls unautorisierten Mix von Ed Sheerans Hit „I See Fire“ auf Soundcloud und YouTube online. Kygo hob das Tempo des „Hobbit“-Titelsongs leicht an, unterlegte Sheerans Gitarrenspiel mit sanften Melodien aus dem Synthesizer und einem leichtfüßigen Beat - und schuf so ein „handgefertigtes Stück für den leichten Genuss“, wie es der „New Yorker“ formulierte.

Musiker und Talentescout

50 Mio. Mal wurde Kygos Mix des „Hobbit“-Songs auf den beiden Plattformen aufgerufen. Zu den neu gewonnen Fans zählte auch der Produzentenstar Diplo, der den Norweger 2014 in einer BBC-Radiosendung mit den Worten vorstellte: „Sein Name ist Kygo - ihr kennt ihn wohl. Er hält es um die 100 BPM, er hält es sexy.“

Der norwegische DJ und Produzent Kyrre Gorvell-Dahll alias Kygo

APA/AFP/Odd Andersen

Kygo am Klavier

Der „New Yorker“ verglich Kygos Arbeitsweise mit jener eines „Artists and Repertoire“-Verantwortlichen bei einer Plattenfirma. Genau wie diese Talentescouts suche der Produzent das Netz nach Hits und potenziellen Hits ab. Die Songs schleift er anschließend mit langsamen Housebeats sowie Steeldrum- und Flötensounds aus der Konserve zu eingänglichen Ohrwürmern, ideal für lange Autofahrten und als Hintergrundmusik für das Work-out im Fitnessstudio.

Kein Freund der kleinen Bühnen

Kygo ist mittlerweile beim Label Ultra unter Vertrag, das zu Sony Music gehört. Im Mai erschien sein erstes Album „Cloud 9“. Obwohl der Tonträger auch auf Vinyl erhältlich ist, blieben Kygo und sein Team ihrer bisherigen „Online first“-Strategie treu. „Streaming ist der Schlüssel“, sagte Kygos Manager Myles Shear (22) gegenüber CNN, auch wenn die Musik gratis verfügbar sei.

Wobei Kygos Zuhörer offenbar bereit sind, online Geld für die Musik ihres Idols auszugeben. 60 Prozent der Nutzer, ein weitaus höherer Prozentsatz als bei vergleichbaren Künstlern, spiele seine Tracks mehrfach ab oder speichere sie, wie Spotify anlässlich Kygos Milliardenrekordes im Dezember 2015 mitteilte.

Der junge Mann am Klavier

Kleine Indoor-Gigs sind Kygos Sache nicht. Im Gegenteil: „Ich habe mich nie als jemand gesehen, der in Clubs auftritt“, sagte er dem „New Yorker“. Seine Zuhörer sieht er eher auf einer Wiese sitzen, ein Bier in der Hand.

Dem Publikum scheint die Art der Location egal. Kygo füllt große und kleine Häuser und ist auch gern gebuchter Gast auf Festivals. Auf der Bühne bedient Gorvell-Dahll nicht nur die Regler, manchmal setzt er sich auch ans Klavier, das er spielt, seit er sechs Jahre alt ist.

Kritik: „Musik für den Yoga-Retreat“

Kostenproben von Kygos Pianospiel gibt es auf YouTube zu sehen. Umstrittener ist sein Können als DJ. Das Webmagazin Onlythebeat.com beschrieb Kygos Fähigkeiten vor zwei Jahren als „wenig beeindruckend“. „Wenige Effekte und wenige Übergänge“ habe sein Set enthalten, schrieb das Magazin nach einem Doppelkonzert in Seattle (USA). „Wir wissen nicht, ob Kygo mixen kann oder nicht.“

Kritik der anderen Art kam von Marea Stamper, einer Veteranin der US-House-Szene. Sie stößt sich einerseits am Begriff „Tropical House“, den Kygo zwar nicht erfunden hat, gegen den er sich aber auch nie wirklich wehrte. „Es gibt eine Menge gute Houseplatten, die Latin- oder tropische Einflüsse aufweisen“, so Stamper gegenüber der „New York Times“.

Mit „Tropical House“ würden viele DJs aus der Szene andere Musik verbinden, als sie Kygo macht. House gebe es in vielen Ausformungen - aber nicht als „Entspannungsmusik mit elektronischen Beats“, sagte Stamper: „Das ist kein House, sondern der Soundtrack für den Yoga-Retreat.“

Links: