Verweis auf Artikel 155 der Verfassung
Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy will nach eigenen Angaben dafür sorgen, dass eine eventuelle Unabhängigkeitserklärung Kataloniens ins Leere läuft. „Die Regierung wird sicherstellen, dass jede Unabhängigkeitserklärung zu nichts führen wird“, sagte Rajoy der spanischen Zeitung „El Pais“ (Sonntag-Ausgabe).
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„Ich schließe nichts aus“, sagte Rajoy der Zeitung auf die Frage, ob die Zentralregierung in Madrid Artikel 155 der Verfassung anwenden könnte. Damit könnte Madrid die Regionalregierung entmachten und Katalonien die Teilautonomie entziehen. „Aber ich muss die Dinge zur rechten Zeit machen“, fügte Rajoy hinzu. „Ich möchte, dass die Drohung zur Unabhängigkeitserklärung so schnell wie möglich zurückgezogen wird.“
Artikel 155 erlaubt der Regierung alle „notwendigen Maßnahmen“, um eine Region zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen und gesetzlichen Verpflichtungen zu zwingen oder das Allgemeininteresse Spaniens zu schützen.

Omniscale/ORF.at
Rajoy sieht katalanische Regionalregierung am Zug
„Das Ideal wäre, wenn nicht drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen“, wird Rajoy von „El Pais“ zitiert. Mit Blick auf die katalanische Führung sagte er, es sei „noch immer Zeit“, zurückzurudern und eine harte Reaktion der Zentralregierung in Madrid zu verhindern. Rajoy wiederholte seine Weigerung, „über die Einheit des Landes zu verhandeln“. Madrid führe „keine Gespräche unter Drohungen“.
Verstoß gegen Verfassung
Die Loslösung Kataloniens vom Rest Spaniens würde einen Verstoß gegen die Verfassung darstellen. In Artikel 2 heißt es: „Die Verfassung stützt sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier, und anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, die Bestandteil der Nation sind, und auf die Solidarität zwischen ihnen.“
Es war Rajoys erstes Zeitungsinterview seit dem Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien vom Sonntag vergangener Woche. Dabei hatten nach Angaben der katalanischen Regionalregierung 90 Prozent der Teilnehmer für eine Abspaltung von Spanien gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei 43 Prozent.
Der frühere sozialistische Ministerpräsident Felipe Gonzalez sagte unterdessen, er hätte den katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont schon längst abgesetzt. „Ich hätte den Artikel 155 angewendet, um die Verfassung und das Statut (über Kataloniens Autonomie) zu verteidigen“, sagte der Sozialist am Samstag bei einem Besuch in Berlin. Das hätte schon geschehen müssen, als das vom Verfassungsgericht für illegal erklärte und am vergangenen Sonntag dennoch abgehaltene Referendum von der Regionalregierung angesetzt wurde, fügte der 75-Jährige hinzu, der das Land von 1982 bis 1996 regiert hatte.
„Einige Fehler gemacht“
Die spanische Zentralregierung hatte mit einem großen Polizeiaufgebot versucht, das vom Verfassungsgericht für rechtswidrig erklärte Referendum zu verhindern. Polizisten schlossen Wahllokale, beschlagnahmten Abstimmungsunterlagen und hinderten Menschen mit Schlagstöcken und Gummigeschoßen an der Stimmabgabe. Hunderte Menschen wurden verletzt.
Erst am Freitag entschuldigte sich ein Vertreter Madrids für die Polizeigewalt. Auch Rajoy sagte in dem Zeitungsinterview, es seien „einige Fehler gemacht“ worden. Der grundlegende Fehler sei aber von seinen Gegnern gemacht worden, welche die „nationale Souveränität“ in Gefahr gebracht hätten.
Großdemo in Barcelona
In Barcelona haben am Sonntag Hunderttausende gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien demonstriert. Zu der Demonstration aufgerufen hatte die gegen die Unabhängigkeit gerichtete katalanische Gruppe Societat Civil Catalana, das Motto lautet „Genug, lasst uns die Vernunft zurückgewinnen!“

APA/AP/Emilio Morenatti
Zehntausende forderten am Samstag in Barcelona den Dialog
Wegen der drohenden Abspaltung Kataloniens demonstrierten bereits am Samstag in ganz Spanien Zehntausende Menschen für die Einheit des Landes. Die Befürworter eines Dialogs und einer friedlichen Beilegung der derzeitigen Krise folgten dem Aufruf der Bürgerinitiative „Parlem? Hablemos?“ („Sprechen wir?“ auf Katalanisch und Kastilisch). In Madrid wurde parallel dazu auch ein „patriotischer Marsch“ abgehalten. Deren Teilnehmer schwenkten spanische Flaggen und beschimpften die katalanische Führung.
Unabhängigkeitserklärung am Dienstag?
Das katalanische Regionalparlament könnte am Dienstag die Unabhängigkeit ausrufen. Eine für Montag geplante Parlamentssitzung hatte das spanische Verfassungsgericht zwar verboten, um die Proklamation der Unabhängigkeit zu verhindern. Regionalpräsident Puigdemont will dennoch vor das Parlament treten. Allerdings verschob er seine Rede auf Dienstag.
Puigdemonts Vorgänger Artur Mas sagte indes der britischen Zeitung „Financial Times“, Katalonien sei noch nicht reif für die Unabhängigkeit. Jordi Cuixart, Vorsitzender der für Kataloniens Unabhängigkeit eintretenden Gruppe Omnium, sprach sich im katalanischen Radio für eine internationale Vermittlung der Krise aus. Diese lehnte der spanische Außenminister Alfonso Dastis ab. Eine internationale Vermittlung sei „nicht hilfreich“.
Wirtschaftlicher Druck
Indes steigt in der Causa auch der wirtschaftliche Druck. Angesichts der Ankündigung mehrerer Banken und Firmen, ihren Sitz aus Katalonien zu verlegen, äußerte sich der für Unternehmen in der katalanischen Regierung zuständige Santi Vila versöhnlich. Der als Vertrauter Puigdemonts geltende Politiker forderte einen „Waffenstillstand“ mit Madrid und fügte hinzu: „Das bedeutet, dass wir in den nächsten Stunden und Tagen keine Entscheidungen treffen werden, die irreparabel sein könnten.“

APA/AFP/Jorge Guerrero
Das Motto der Massendemos: „Reden wir?“
Sollte sich Katalonien tatsächlich von Spanien loslösen, sei das ohne Zweifel ein Problem für die Euro-Zone, sagte Außenminister Dastis. Es werde aber kein zweiter „Brexit“, da niemand Katalonien als unabhängigen Staat anerkennen würde. Die spanische Zentralregierung nahm aber auch aus wirtschaftlicher Sicht erste Vorkehrungen: Wie Madrid bereits am Freitag mitteilte, wird Unternehmen die Verlagerung des Firmensitzes aus Katalonien zu erleichtern. Demnach reicht für einen Ortswechsel künftig eine Entscheidung des Aufsichtsrats - eine Gesellschafterversammlung muss nicht mehr einberufen werden.
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