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Popkulturphänomen Transgender

Transgender-Personen sind in der Mitte der Entertainmentindustrie angelangt. Caitlyn Jenner und Laverne Cox wurden zu Ikonen einer neuen Bewegung, die sich seit Donald Trumps Präsidentschaft einem Backlash stellen muss. Ein neuer Film zeigt die Diskriminierungen, denen Transpersonen im Alltag ausgesetzt sind.

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Der 24. April 2015 war ein historischer Moment für die Community. An diesem Tag outete sich Bruce Jenner vor 17 Millionen Zuschauern und Zuschauerinnen zur Primetime des US-Fernsehens als Transfrau. Der Nationalheld Jenner, legendärer Goldmedaillengewinner bei Olympia 1976, US-Zehnkämpfer, internationales Sexsymbol, Patriarch des Kardashian-Clans und bekennender Republikaner in Personalunion, wollte in Zukunft Caitlyn sein.

Schlachtruf „Call her Caitlyn“

Caitlyn kam aufs Cover der „Vanity Fair“, von Annie Leibovitz kunstvoll in Szene gesetzt und mit dem Titel „Call me Caitlyn“ (dt: nenn mich Caitlyn) versehen. „Call her Caitlyn“ wurde zum Slogan und ging als Schlachtruf der neuen Transbewegung um die Welt. Selbst aus dem Weißen Haus kamen Glückwünsche.

Den Durchbruch hatte zuvor freilich schon Laverne Cox geschafft. Mit dem Netflix-Hit „Orange is the new Black“ von 2013 sorgte sie für die Sensation der steilen Serie rund um ein Frauengefängnis: Sie erhielt 2014 als erste offen lebende Transgender-Frau einen Emmy in einer Schauspielkategorie und schaffte es als erste Transgender aufs Cover des „Time“-Magazins, das auf dem Titel „Die neue Bürgerrechtsbewegung“ ausrief.

„Trump, ruf mich an!“

Cox wurde zu einer der prominentesten Sprachrohre dieser Bewegung. „Man hat mir oft gesagt, dass ich niemals eine Mainstream-Karriere schaffen könne, weil ich trans bin und schwarz. Ich hab’s geschafft. Und es fühlt sich richtig gut an!“, sagte sie „Time“ zu ihrem Emmy-Erfolg.

Warum der für sie nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Aktivistin relevant sei, erklärt sie so: „Ich bin eine Patriotin, ich liebe dieses Land. Besonders für die, - zumindest theoretische, - Möglichkeit, dass es hier jeder schaffen kann, ungeachtet von Rasse, Klasse, Religion oder Geschlecht seiner Geburt.“ Um diesem Ideal zu entsprechen, sei es wichtig, dass alle Gruppen der Gesellschaft in den Mainstream-Medien repräsentiert seien. „Unser aller Geschichten“ sollten erzählt werden.

Daniela Vega als Marina. Szenenbild aus „Eine fantastische Frau“

Polyfilm

Szenenbild aus „Eine fantastische Frau“

Auch Jenner sieht sich als Transgender-Promi der Community gegenüber in der Pflicht. In ihrer US-Reality-Show „I am Cait“ wird ihre eigene Verwandlung nach 65 Jahren als Bruce zu Caitlyn dokumentiert. Als Aktivistin beklagt sie den neuen Backlash in den USA. Trump machte Schluss mit Obamas liberaler Politik. Konkret ließ er per Erlass eine Regelung Obamas von 2016 stoppen, die Transgendern freistellte, welche Toiletten und Umkleideräume sie in staatlichen Schulen und Universitäten benutzen. Jenner schickte einen Protest-Tweet an Mr. President: „Also, Donald Trump. Von Republikanerin zu Republikaner. Das ist ein Desaster. Du hast versprochen, die LGBTQ-Community zu schützen. Ruf mich an!“

Netflix und Co. als neue Avantgarde

Ohnehin wird sich Trump schwertun, die Uhren rückwärts zu drehen. In den letzten fünf Jahren boomte das Transgender-Thema in der Popkultur wie nie. Auf den Laufstegen der Modewelt sind die Transmodels ebenso erfolgreich wie in TV und Film. Zuletzt traten bei „Germany’s Next Topmodel“ heuer mit Giuliana und Melina erstmals zwei von ihnen an.

Auch diese Befreiungsbewegung wird von einer Popkultur flankiert, die sich im Wandel befindet. Während sich die Mainstream-Filmindustrie auf konservative, kommerziell erfolgversprechende Projekte verlässt, wird TV immer experimentierfreudiger. Die Streaminganbieter fungieren heute als neue Plattformen gewagter Stoffe, als Foren für gesellschaftspolitisch relevante, spannende Diskurse.

Diversität in Serien salonfähig

Kein Wunder, dass es TV-Stars wie Jenner und Cox zu Ikonen der Transgender-Welt schafften. Die Serienwelt macht Diversität salonfähig. Der erfolgreiche Emmy-Gewinner „Modern Family“ etwa transportiert völlig neue Familienmodelle. Das schwule Pärchen in der Comedy-Serie adoptiert im Verlauf von bisher acht Staffeln zwei Kinder.

Die wunderbare Welt der Amazon-Serie „Transparent“, ersonnen von Jill Soloway, öffnete das Bewusstsein vieler Menschen für die Transgender-Themen. Jeffrey Tambor brilliert darin als Maura. Ein pensionierter Professor - seine Kinder sind längst erwachsen - entdeckt in fortgeschrittenem Alter, dass er seine weibliche Seite dauerhaft leben möchte. Das Werk wurde bei den Emmys mit einem multiplen Preisregen bedacht. Ende September startete die Erfolgsserie in ihre vierte Saison.

Pionierinnen als tragische Heldinnen

In Hollywood ließen die Brüder Wachowski, Regisseure der Kultsaga „Matrix“, ihr Geschlecht hinter sich. Beide outeten sich als Transgender und leben heute als Lilly und Lana. Eine wahre Geschichte, die von Lily Elbe, erzählte wiederum der Film „The Danish Girl“ 2015. Eddie Redmayne spielt darin eine der ersten prominenten Transsexuellen, die sich 1930 in Deutschland einer Operation zur Geschlechtsangleichung unterzog. Nach dem vierten Eingriff verstarb die Malerin, ob aufgrund der Transplantation einer Gebärmutter, ist umstritten.

Wie schwer es Transfrauen im Showgeschäft einst hatten, zeigt das Schicksal von April Ashley, Jahrgang 1935. Aus dem Travestie-Theater „Le Carrousel“ in Paris heraus startete sie nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation 1960 als Model und Schauspielerin durch. Von Elvis und Omar Sharif angebetet, von Picasso als Muse erwählt. Ein Fremdouting beendete ihre Filmkarriere schnell wieder, doch als Aktivistin ist sie bis heute nicht zu stoppen.

„Voreingenommene Spießbürger“

Welchen Diskriminierungen Transgender im Alltag heute noch ausgesetzt sind, zeigt „Eine fantastische Frau“ ab dieser Woche in den heimischen Kinos. Das Melodram erzählt die Geschichte der Transfrau Marina, die Regisseur Sebastian Lelio authentisch mit Daniela Vega besetzt. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten kämpft Marina, den Anfeindungen durch dessen Familie zum Trotz, mutig um ihr Recht auf Trauer und ihren Platz in der Welt.

„Ich kämpfe gegen die Voreingenommenheit des Spießbürgers, der in mir ein Phänomen, eine Abnormität sucht. Wie ich jetzt bin, so bin ich eine ganz gewöhnliche Frau.“ Ein Zitat der Pionierin Lily Elbe von zeitloser Gültigkeit.

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