Mehr als 800 Verletzte
In Katalonien stehen nach dem Unabhängigkeitsreferendum alle Zeichen auf Konfrontation: 90 Prozent der Stimmen seien für die Ausrufung einer Republik Katalonien abgegeben worden, teilte die Regionalregierung in der Nacht auf Montag in Barcelona mit. Regierungschef Carles Puigdemont sagte, Katalonien habe mit dem Votum das Recht auf Unabhängigkeit von Spanien gewonnen.
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An der Befragung hätten gut 2,26 Millionen der insgesamt 5,3 Millionen Wahlberechtigten teilgenommen, so der Sprecher der Regionalregierung, Jordi Turull. Beim gewaltsamen Vorgehen der Polizei gegen Wähler wurden am Sonntag über 800 Menschen verletzt. Puigdemont berief für Montagvormittag eine Sondersitzung der Regierung ein. Das Treffen solle hinter verschlossenen Türen stattfinden, berichteten spanische Medien.
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sprach dem vom Verfassungsgericht in Madrid untersagten Referendum am Sonntagabend jede Gültigkeit ab. Er nannte die Abstimmung eine Inszenierung. „Es hat in Katalonien kein Referendum gegeben“, so der konservative Politiker. Die Verantwortung für die Gewalt liege „einzig und ausschließlich bei denen, die für den Bruch mit der Legalität und der Koexistenz geworben haben“. Tatsächlich sieht die spanische Verfassung, die nach dem Ende der Franco-Diktatur mit Zustimmung Kataloniens beschlossen wurde, keine Sezessionsmöglichkeit vor.
Wahlbeteiligung nur bei 42 Prozent
Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Regionalregierung nur bei rund 42 Prozent. In diesem Wert dürfte zum Ausdruck kommen, wie tief Katalonien in der Frage der Unabhängigkeit gespalten ist. Die Gegner einer Loslösung von Spanien hatten zum Boykott des Referendums aufgerufen, das von der Zentralregierung als verfassungsfeindlich betrachtet wird.

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Die Polizei ging mit Gummigeschoßen gegen Wähler vor
„Recht auf Unabhängigkeit verdient“
Bereits kurz vor Bekanntgabe der Ergebnisse hatte Puigdemont die Möglichkeit einer Loslösung von Spanien in Aussicht gestellt: „Mit diesem Tag der Hoffnung und auch des Leidens haben die Bürger von Katalonien, haben wir uns das Recht verdient, einen unabhängigen Staat zu haben“, sagte Puigdemont am Sonntagabend in einer Fernsehansprache. Das von seiner Regierung verabschiedete Gesetz sieht vor, dass eine Unabhängigkeitserklärung im Falle einer Mehrheit bei dem Referendum binnen 48 Stunden erfolgt. Puigdemont ließ zunächst aber offen, ob sich Katalonien bis Dienstag offiziell für unabhängig erklären wird.

APA/AFP/Jose Jordan
Viele Wähler fanden dennoch den Weg zur Abstimmung
Schlagstöcke und Gummigeschoße
Die Polizei war den ganzen Sonntag über mit einem Großaufgebot gegen das Referendum vorgegangen. Polizisten schlossen Wahllokale, beschlagnahmten Abstimmungsunterlagen und hinderten Menschen mitunter mit Schlagstöcken und Gummigeschoßen an der Stimmabgabe.
Für die Gewalt wurde in erster Linie die Guardia Civil verantwortlich gemacht. Sie ist seit der Unterdrückung der Region unter dem Franco-Regime in Katalonien äußerst unbeliebt. Die katalanische Regionalpolizei Mossos d’Esquadra, die in der Region verwurzelt und angesehen ist, war vor dem Referendum Madrid unterstellt worden. Dem Befehl, Schulen und andere Wahllokale abzuriegeln, kam sie in der Früh dennoch nicht nach und blieb passiv.
Nach katalanischen Angaben mussten sich am Sonntag mehr als 840 Menschen wegen der Polizeieinsätze medizinisch betreuen lassen. 92 von ihnen seien als verletzt eingestuft worden. Laut spanischem Innenministerium mussten auch 33 Polizisten medizinisch behandelt werden.
Aufruf zu Generalstreik
Nach dem Referendum riefen Dutzende Gewerkschaften und andere Organisationen für Dienstag zu einem Generalstreik auf. Wegen der „schweren Verletzung von Rechten und Freiheiten“ der Katalanen während des Volksentscheids solle die ganze Region an diesem Tag die Arbeit ruhen lassen, erklärten die Organisationen am Sonntagabend. Zu den Initiatoren des Generalstreiks zählen die beiden einflussreichen spanischen Gewerkschaften UGT und CCOO sowie die Bürgerrechtsorganisation Katalanische Nationale Versammlung.
Polizei geht hart gegen Abstimmungswillige vor
Bei Zusammenstößen zwischen der teilweise hart vorgehenden Polizei und Katalanen während des Unabhängigkeitsreferendums wurde am Sonntag Hunderte verletzt.
Internationale Besorgnis
Politiker in der EU äußerten sich besorgt über die Gewalt. SPD-Chef Martin Schulz schrieb auf Twitter, Madrid und Barcelona müssten „sofort deeskalieren und den Dialog suchen“. Der Chef der Sozialisten im Europaparlament, Gianni Pittella, sagte, das sei „ein trauriger Tag für Spanien und für ganz Europa“.
Der Präsident der Europäischen Linken, Gregor Gysi, kritisierte das Vorgehen des spanischen Staates: „Die spanische Regierung befördert mit Gewalt das, was sie verhindern will“, sagte er. Der belgische Premierminister Charles Michel twitterte: „Gewalt ist keine Antwort.“ Der Chef der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbin, warf der spanischen Polizei „schockierende Gewalt gegen die Bürger“ vor.

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Polizeieinsatz in Barcelona
Mahnende Worte aus Österreich
In Österreich meldeten sich am Sonntag Grüne und FPÖ zu Wort. Die grüne Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl, Ulrike Lunacek, ließ wissen: „So wie alle Demokraten in Europa bin ich von der gewalttätigen Zuspitzung der Situation in Katalonien auf das Tiefste schockiert.“ Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter im Europaparlament und FPÖ-Generalsekretär, sagte, angesichts der Gewalteskalation seien „jetzt die EU-Spitzen gefordert“, die Regierung in Madrid zur Ordnung und Mäßigung zu rufen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte bereits am Samstag in der Ö1-Interviewreihe „Im Journal zu Gast“ gesagt, er beobachte die Entwicklungen mit „Bauchweh und Sorge“.
ORF-Korrespondent Manola zum Unabhängigkeitsreferendum
Ministerpräsident Rajoy habe der spanischen Bevölkerung versprochen, die Abstimmung Kataloniens zu verhindern. Dieses Verspechen konnte er nicht einhalten.
Auch Internetzugänge gesperrt
Seit Wochen hatte Rajoy immer wieder versucht, die Befragung zu verhindern. Bei Dutzenden von Razzien wurden mindestens zwölf Millionen Wahlzettel sowie Millionen von Wahlplakaten und Broschüren beschlagnahmt. Viele Websites wurden gesperrt. Laut der Zeitung „El Pais“ gab es ab 8.30 Uhr in vielen Wahllokalen keinen Netzwerkzugang mehr. Damit gab es keinen Zugriff auf das Auszählungssystem und keine Möglichkeit, doppelte Stimmabgaben zu verhindern. Als Reaktion wurden Ausweise kontrolliert und die Identitäten auf Papier festgehalten. Trotz des Polizeieinsatzes wurde vielerorts abgestimmt. Die Regionalregierung teilte mit, 96 Prozent der 3.215 Wahllokale hätten am Sonntag normal funktioniert.
Protest des FC Barcelona
Aus Protest gegen die Gewalt beschloss der Fußballclub FC Barcelona, das Spiel gegen UD Las Palmas am Sonntag unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen. Der Antrag des Vereins, das Spiel abzusagen, wurde spanischen Medienberichten zufolge vom Verband abgelehnt.
Der FC Barcelona wärmte mit den Farben der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung auf. Superstar Lionel Messi und die anderen Spieler des Erstligisten kamen am Nachmittag in gelben T-Shirts mit roten Streifen aus der Kabine - angelehnt an die „Senyera“, die traditionelle Flagge der Separatisten. Vor Spielbeginn wechselten die Spieler dann aber in ihre normalen blau-roten Trikots.
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