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Ein Held auf einem Esel

Ein Jahrzehnt lang war kein neuer Spielfilm von Emir Kusturica in den österreichischen Kinos zu sehen. Nun meldet sich der Regisseur mit dem Kriegsdrama „On the Milky Road“ zurück. Geht man vom medialen Kusturica-Bild der letzten Jahre aus, hätte das Publikum wohl einen höchst politischen Film erwarten können – geworden ist es ein politisch nicht zuordenbares poetisches Liebesmärchen.

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Neun Jahre sind für einen Regisseur wie Kusturica eine lange Pause zwischen zwei Spielfilmen, auch in Anbetracht der Tatsache, dass immer wieder über angebliche Projekte des Regisseurs - etwa ein Dostojewski-Biopic - berichtet wurde. Ohne Beschäftigung war Kusturica allerdings nicht: Neben Tourneen mit seiner Band schrieb er zwei Bücher, die vor allem seine umstrittenen politischen Aussagen erklären und seine Sicht auf die Welt untermauern. Auffällig oft war Kusturica in den vergangenen Jahren wegen seiner proserbischen und nationalistischen Haltung in den Medien präsent, wegen seiner Filmkunst eher weniger.

Projektionsfläche für Politdiskussionen

Kusturica wurde in Sarajevo in ein jugoslawisches Elternhaus muslimischer Konfession geboren. 2005 ließ er sich nachträglich zum serbisch-orthodoxen Christen taufen. Durch sein Bekenntnis zu Serbien wurde er für viele zur Projektionsfläche für die politischen Auseinandersetzung nach dem Jugoslawien-Krieg.

Kosta (Emir Kusturica) auf seinem Esel

Filmladen Filmverleih

In seinem neuen Film spielt Kusturica die Hauptrolle, den Milchmann Kosta

Auf Provokationen in seine Richtung reagierte der mittlerweile 62-Jährige ebenfalls mit Provokationen, was die Wogen zwischen dem Regisseur und Kritikern immer weiter aufschaukelte. Kusturicas Antikriegshaltung wich einer fast ausschließlich proserbischen Haltung, was von Kritikern als zu einseitig und parteiisch gewertet wurde.

Romantik vor der Kulisse des Krieges

Nun ist Kusturica, der in Serbien als so etwas wie eine geschützte Marke gilt, zu seiner ursprünglichen Berufung zurückgekehrt und präsentierte nach jahrelangen Dreharbeiten „On the Milky Road“. Darin erzählt der Filmemacher eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Krieges in den 90ern. Das Werk ist ein Kunstwerk, kann aber nicht an Kusturicas Meisterwerke wie „Underground“ heranreichen, für das er 1995 mit seiner zweiten Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet wurde. Für die Zuseher ist die Handlung nicht immer einfach zu erfassen; da helfen auch einige meisterhaft inszenierte Filmpassagen nichts.

Emir Kusturica

ORF.at/Dalibor Manjic

Kusturica: Die Doppelrolle war nicht einfach

Das Liebesdrama dreht sich um Kosta (gespielt von Kusturica), der als eine Art jugoslawischer Don Quijote zwischen den Kriegsfronten in der östlichen Herzegowina als Milchmann auf einem Esel reitend unterwegs ist. Der Filmheld erscheint bewusst verträumt und wirkt wie ein höchst unpolitischer Geist, obwohl er ein vom Krieg gezeichneter Mann ist. Und obwohl die Brutalität des Krieges sein Leben von Grund auf verändert hat, lebt Kosta, wie auch fast alle anderen Charaktere im Film, sichtlich unbeschwert.

Die Protagonisten gehen in jeden Tag - weil ihnen nichts anderes übrig bleibt hinein, als ob es ihr letzter sein könnte: Partys, „balkanesisch“ überzeichnete Kitschtänze und überbordende Emotionen dominieren die Szenen, die dank der gelungenen Filmmusik die Stimmung und Launen der Protagonisten perfekt wiedergeben.

Bellucci: Gesamter Film eine Metapher

Kosta wird von der Turnerin und Dorfschönheit Milena (Sloboda Micalovic) umgarnt und als Bräutigam auserwählt – er ist damit aber nicht wirklich einverstanden. Zur gleichen Zeit nämlich trifft er auf die rätselhafte Italienerin (Monica Bellucci), die ursprünglich als Spionin im Jugoslawien-Krieg gelandet ist und vor ihrem Verehrer - einem englischen General – auf der Flucht ist.

Die geheimnisvolle, namenlose Italienerin ist allerdings auch Milenas Bruder, dem Kriegsveteranen und Söldner Zaga (Predrag „Miki“ Manojlovic), versprochen: „Milena will diese Hochzeit um jeden Preis steigen lassen – auch wenn die Möglichkeit besteht, dass vielleicht militärische Spezialeinheiten kommen werden und alle Hochzeitsgäste umbringen. Und da haben wir den Konflikt: den klassischen Konflikt, den wir schon aus antiken griechischen Dramen kennen, wo jemand eine Entscheidung trifft. Und aufgrund dieser geht alles den Bach runter und endet in einer Katastrophe“, so Kusturica gegenüber ORF.at.

Monica Bellucci

ORF.at/Dalibor Manjic

Monica Bellucci lernte für den Film ein wenig Serbisch

Kosta und der Italienerin gelingt schließlich die gemeinsame Flucht. Unterwegs verlieben sie sich laut Kusturica auf die denkbar beiläufigste Art und Weise ineinander: „Sie ist durch ihre Schönheit zur Gejagten geworden und sie beide haben sich auf der Basis gefunden, kein Glück bisher gehabt zu haben, um wie die meisten durchschnittlichen Menschen zu leben – dabei handelt es sich einfach um extraordinäre Filmcharaktere." Belluci sieht den gesamten Film als Metapher. Die Zusammenarbeit mit dem Regisseur sei ein wunderbares Abenteuer gewesen, sagte die Schauspielerin.

Trost in der Natur

„In diesem Film ist der kathartischste Moment der, wenn man mit dem Mann (Hauptcharakter Kosta) mitfühlt, der nach 15 Jahren noch immer an der Liebe zu der Frau leidet, die er verloren hat“, so Kusturica. Trost findet der Milchmann in der Natur und der Tierwelt. Beide Motive ziehen sich durch Kusturicas Werk. Dieses Mal allerdings spielten Tiere eine noch signifikantere Rolle, so Kusturica, der als Beispiel „den Falken“ nennt: „Er ist ein eigenständiger Charakter in dem Film, er rettet Kostas Leben.“

Seine gute Beziehung zu Tieren rühre daher, dass er in der Nähe des Nationalparks Tara in Serbien lebe, so Kusturica. Diesen Umstand wolle er auch deshalb in „On the Milky Road“ unterstreichen: „Der Bär zum Beispiel ist ein sehr guter Bär, ich kenne ihn schon seit einer sehr langen Zeit.“ Kusturica setzt die Tiere gekonnt in Szene und setzt sie auch als Metaphern ein.

Ein Kunstwerk, jedoch überladen

„Der schwierigste Teil in diesem Film war es für mich, Schauspieler und Regisseur gleichzeitig zu sein. Ich werde das sicher nicht noch einmal so machen“, so Kusturica. Die Dreharbeiten dauerten vier Jahre, in den Pausen hatte Bellucci in anderen Filme gespielt. Womöglich ist es gerade diese Zeitspanne, die dazu geführt hat, dass der Film überladen wirkt. Er bietet dem Publikum zu wenige Verschnaufpausen, seinen Inhalt zu verarbeiten.

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