„Wir brauchen jetzt sofort Taten“
Es war der schwerste Tropensturm seit fast 90 Jahren, der in der vergangenen Woche in der Karibik wütete. Auf Puerto Rico forderte „Maria“ mindestens 16 Menschenleben. Die Schäden, die der Hurrikan mit Sturmfluten, Windgeschwindigkeiten von bis zu 260 km/h und tagelangen schweren Regenfällen verursachte, könnten bis zu 80 Milliarden Dollar (67,7 Mrd. Euro) betragen.
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Die Lebensbedingungen auf Puerto Rico verschlechtern sich zusehends. Es gibt kaum noch Lebensmittel und Treibstoff, das Telefonfestnetz ist zusammengebrochen, das Mobilnetz funktioniert nur an wenigen Punkten. Zahlreiche Ortschaften außerhalb der Hauptstadt San Juan sind komplett von der Kommunikation abgeschnitten. In weiten Teilen der Insel ist der Strom ausgefallen, die Reparatur des veralteten Netzes wird Monate dauern, seine völlige Sanierung mindestens zwei Jahre, hieß es seitens des einzigen Stromversorgungsunternehmens Prepa.

Reuters/Carlos Garcia Rawlins
Die Folgen von „Maria“ sind auf der ganzen Insel ersichtlich
Tausende in Notunterkünften
Die noch offenen Tankstellen dürfen Benzin meist nur an offizielle Wagen für Rettungseinsätze abgeben. Mehrere Krankenhäuser können mangels Strom kaum noch arbeiten, auch Essen und Trinkwasser werden in dem US-Außengebiet knapp. „Die Zerstörungen sind enorm, es gibt Hunderttausende Personen, zu denen wir noch nicht gelangen konnten“, sagte die Bürgermeisterin der Hauptstadt San Juan, Carmen Yulin Cruz, dem US-Sender CNN. Rund 15.000 Personen, deren Häuser und Wohnungen zerstört sind, leben in Notunterkünften, viele fanden bei Verwandten oder Bekannten Unterschlupf.

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Die Reparatur des Stromnetzes wird Monate dauern
„Wir sind US-Bürger - und stolz darauf“
Die Verheerungen, die „Maria“ verursachte, werden mit jenen verglichen, die Hurrikan „Katrina“ in Louisiana 2005 angerichtet hatte. Der Wiederaufbau wird angesichts der Abgeschiedenheit der Insel, der schwachen Infrastruktur und der hohen Überschuldung von 70 Milliarden Dollar (rund 59 Mrd. Euro) ein kaum zu bewerkstelligender Kraftakt. Puerto Ricos Gouverneur und Regierungschef Ricardo Rossello warnte vor einer „humanitären Krise“ auf der Insel - sie würde die volle Unterstützung durch die US-Regierung benötigen. „Wir brauchen jetzt sofort Taten“, sagte Rossello am Dienstag, „die Leute dürfen nicht vergessen, dass wir US-Bürger sind - und stolz darauf.“

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Tausende Häuser und Wohnungen sind zerstört
Zuletzt stand Puerto Rico mehrfach am Rande der Pleite, das Außengebiet ist auf Hilfe aus Washington angewiesen. „Angesichts der fragilen wirtschaftlichen Lage von Puerto Rico bitten wir die Regierung von Präsident Donald Trump und den US-Kongress, entschlossen zu handeln, um Puerto Rico wieder aufzubauen“, sagte Rossello.
Warnung vor Massenexodus
Eine Warnung des Gouverneurs, die in Washington wohl auf besonderes Gehör stößt, ist die vor einer Auswanderungswelle, sollte den Menschen nicht geholfen werden: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden Tausende, wenn nicht Millionen Puerto Ricaner in die USA kommen. Das würde für schwere demografische Probleme sowohl in Puerto Rico als auch in den Vereinigten Staaten sorgen.“
Nach Kritik wegen mangelnder Unterstützung für Puerto Rico räumte Trump ein, die Insel stecke in „tiefen Schwierigkeiten“. Das zuvor schon anfällige alte Stromnetz sei zerstört, ein Großteil der Insel verwüstet, so Trump im Kurznachrichtendienst Twitter. Er schlug dann aber einen Bogen zur hohen Staatsverschuldung des US-Außengebiets: Die Milliarden Dollar von Schulden, die Puerto Rico bei den Banken habe, erschwerten den Wiederaufbau. Dieses Problem müsse angepackt werden.
Trump kündigt nach Kritik Besuch an
Die Bürgermeisterin von San Juan reagierte irritiert: „Man stellt Schulden nicht über Menschenleben. Wenn jemand in großer Not ist, wenn es um Leben oder Tod geht, besteht die moralische Verpflichtung zum Handeln - bevor man sich anderen Themen widmet“, sagte Yulin Cruz auf CNN.
Dienstagnachmittag schlug Trump dann andere Töne an: Er werde kommenden Dienstag Puerto Rico besuchen. Die Bewohner der Insel seien ihm „sehr wichtig“, und seine Regierung leiste dort massive Katastrophenhilfe. Es seien bereits „Riesenmengen“ an Trinkwasser, Nahrungsmitteln und sonstigen Vorräten nach Puerto Rico gebracht worden, seine Regierung arbeite dort „sehr, sehr hart“. Vergleiche zu Hilfsleistungen in den Bundesstaaten Texas und Florida nach den Hurrikans „Harvey“ und „Irma“ wies Trump zurück: „Der Unterschied ist, dass Puerto Rico in der Mitte eines Meeres liegt, eines großen, sehr großen Meeres.“
Im Würgegriff des „Jones Act“
Was die Situation erleichtern würde, wäre ein temporäres Außerkraftsetzen des „Jones Act“: Dieses Bundesgesetz besagt, dass der Verkehr zwischen amerikanischen Häfen ausschließlich auf Schiffe beschränkt ist, die in den USA hergestellt wurden, US-Staatsangehörigen gehören und von US-Bürgern betrieben werden. Ausländischen Schiffen ist der direkte Transport von Gütern und Passagieren zwischen US-Häfen verboten.

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Vor Supermärkten und Tankstellen bilden sich lange Schlangen
Nach Katastrophen wurde das Gesetz schon öfter ausgesetzt, so auch im Gefolge von „Harvey“ und „Irma“. Im Falle von Puerto Rico sah das US-Heimatschutzministerium dazu keine Notwendigkeit - trotz entsprechender Bitten. Es stünden genügend US-Schiffe für den Gütertransport auf die Insel zur Verfügung. Das Problem sei eher die mangelnde Kapazität der Häfen.
Kostenersparnis kein Argument
Puerto Rico ist stark abhängig von Importen, so müssen etwa 80 Prozent der Nahrungsmittel eingeführt werden. Der Transport erfolgt hauptsächlich durch drei US-Speditionen. Als Folge kommen Puerto Rico die Importe doppelt so teuer wie die benachbarten Jungferninseln, die vom „Jones Act“ ausgenommen sind, wie Berechnungen von früheren Wissenschaftlern des Internationalen Währungsfonds ergaben. Aus dem Heimatschutzministerium hieß es, das Gesetz könne ausschließlich aus Gründen der nationalen Sicherheit außer Kraft gesetzt werden, etwaige Kostenersparnisse seien „nicht Teil unserer Entscheidungsfindung“.
Trump hatte zuvor heftige Vorwürfe einstecken müssen, weil er sich über Tage mit Stars des US-Footballs und -Basketballs über deren angeblich mangelnde patriotische Gesinnung anlegte, statt sich auf die Unterstützung der Menschen in Puerto Rico zu konzentrieren. „Herr Präsident, halten Sie Ihr Maul beim Thema NFL. Machen Sie etwas für die Leute, die in Puerto Rico in Not sind“, twitterte etwa US-Sänger Marc Anthony. Anthony ist als Sohn puerto-ricanischer Eltern in New York geboren.
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