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Versäumnisse von Politik und Medien

Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen haben die deutschen Parteien auf den Wahlerfolg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) reagiert. Besonders die CDU und Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz persönlich wurden für das gute Abschneiden der Rechtsaußen-Partei verantwortlich gemacht.

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Allen voran griff SPD-Chef Martin Schulz schon am Wahlabend Merkel scharf an und machte sie für das starke Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl verantwortlich. „Ich glaube, dass Frau Merkel einen Wahlkampf geführt hat, der skandalös war“, sagte Schulz in der „Elefantenrunde“ von ARD und ZDF. „Diese systematische Verweigerung von Politik hat ein Vakuum entstehen lassen, das die AfD teilweise geschickt gefüllt hat“, warf Schulz der Kanzlerin vor. „Ich glaube, dass Frau Merkel eine große Verantwortung dafür trägt.“

„Mutter der AfD“

Auch Kommentatoren und Experten nahmen Merkel in die Pflicht: „Ihre Migrationspolitik verbunden mit der Allianz mit der SPD hat der extremen Rechten dieses Ergebnis geschenkt“, schrieb die französische Zeitung „Le Figaro“, „‚Mutti‘ ist zur ‚Mutter der AfD‘ geworden.“ Ein bisschen differenzierter äußerte sich der Politikwissenschaftler Claus Leggewie: Merkel habe es nach der Grenzöffnung für Flüchtlinge im Jahr 2015 nicht geschafft, sich die Unterstützung und Solidarität der übrigen EU-Mitgliedsstaaten zu sichern, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Anstatt der AfD im Wahlkampf einen offensiv proeuropäischen Kurs entgegenzusetzen, habe Merkel „eine Geschichte von der Besitzstandswahrung der älteren und mittleren Generation erzählt“, sagte Leggewie. Damit habe sie weder die Jungen erreicht noch die 15 bis 20 Prozent derjenigen, die „eben nicht gut“ und damit auch nicht „gerne“ in diesem Land lebten. „Im Gegenteil, diese Klientel hat sie der AfD förmlich zugetrieben.“

Linke pocht auf soziale Gerechtigkeit

Die deutsche Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht gab den bisherigen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD einen wesentlichen Teil der Schuld am Erstarken der AfD. „Die Mütter und Väter der AfD, das sind diejenigen Parteien, die in den letzten Jahren zu wachsender sozialer Ungerechtigkeit beigetragen haben“, sagte sie am Montag. „Wenn man möchte, dass dieser Partei der Boden wieder entzogen wird, dann muss es in diesem Land eine sozialere Politik geben.“

Ihr Parteikollege Gregor Gysi thematisierte als einer der wenigen Politiker das gute Ergebnis der AfD im Osten: Beim Herstellen der Einheit hätten sie sich als „Deutsche zweiter Klasse“ gefühlt, dann habe es eine Massenarbeitslosigkeit gegeben. Hinzu komme, dass die DDR eine geschlossene Gesellschaft gewesen sei, so Gysi.

Osten als politische Baustelle

Ein kultureller Umgang mit Menschen aus anderen Ländern sei selten gewesen. Wenn man das Interesse, die AfD zu wählen, abbauen wolle, müsse man die Fluchtursachen, die es bei Zuwanderern gibt, wirksam bekämpfen, meinte Gysi. „Und wir brauchen einen sozialen Schub in Deutschland - ist jetzt aber nicht mit zu rechnen.“

Die „Westdeutsche Zeitung“ klagte gar gegen die „Lebenslüge von der gelungenen ‚inneren‘ deutschen Wiedervereinigung“, die durch die Wahl „ein weiteres Mal als Illusion“ entlarvt worden sei. 27 Prozent der ostdeutschen Männer hätten die AfD gewählt, weil sie sich konstant benachteiligt fühlen. Daran müsse die Politik endlich arbeiten.

Die andern sind schuld

Eine ganz eigene Sicht der Dinge hat FDP-Chef Christian Lindner: Er machte Union, SPD, Grüne und Linke für den Aufstieg der rechtspopulistischen Partei mitverantwortlich, weil in den vergangenen Legislaturperiode „die politische Mitte verwaist“ gewesen sei.

Die Grünen wiederum geben dem Wahlkampf von CSU und FDP eine Mitschuld am Erstarken der AfD. Die beiden seien der AfD „zum Teil hinterhergelaufen“, sagte der Politische Geschäftsführer der Grünen, Michael Kellner. „Das macht die Partei nicht schwächer, sondern stärker.“ Vor allem die CSU müsse sich entscheiden, ob sie der AfD nachlaufe oder hineingehe in eine „Auseinandersetzung mit deren fremdenfeindlichen, rassistischen und rechtsextremen Politik“.

Rumoren in der Union

Und auch in der CDU und CSU selbst gärt es. Dass die Union einen Dämpfer bekommen werde, sei erwartet worden. Aber nicht in diesem Ausmaß. Am Wahlabend gab es in der Union auch erneut Unmut über Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik und das lange Ignorieren der AfD. Merkel selbst meinte am Wahlabend, die Union wolle die Wähler der AfD zurückgewinnen „durch Lösung von Problemen, durch Aufnehmen ihrer Sorgen, auch ihrer Ängste zum Teil, aber eben vor allen Dingen durch gute Politik“.

Vor allem in München will man nach der Wahlniederlage nicht zur Tagesordnung übergehen. „Auch die CDU sollte die Ergebnisse sehen“, sagt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Es gebe „genug Ausrufezeichen“. CSU-Chef Horst Seehofer dachte sogar an, die traditionelle Fraktionsgemeinschaft der Schwesterparteien aufzulösen.

CSU verlor besonders stark an AfD

Seehofer bekräftigte am Montag, dass nun die „rechte Flanke“ geschlossen werden müsse. „Uns geht es vor allem um einen klaren Kurs Mitte-rechts für die Zukunft.“ CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann bestreitet, dass das einen Rechtsruck bedeute. Allerdings ist seine politische Zukunft nach gescheitertem Einzug in den Bundestag ungewiss.

Die CSU war in den vergangenen Monaten immer wieder mit ihrer Kritik an Merkel aufgefallen, das Verhältnis zwischen Seehofer und der Kanzlerin war zeitweise stark unterkühlt. Allerdings muss sich die CSU die Frage gefallen lassen, ob ihr strammerer Kurs tatsächlich ein Erfolg ist: Sie verlor stärker als die CDU, und in keinem anderen westlichen Bundesland ist die AfD so stark wie in Bayern. In den Wahlkreisen Rottal-Inn und Passau erhielt die AfD mehr als 16 Prozent, in Schandorf über 17, in Straubing über 18 und in Deggendorf gar mehr als 19 Prozent.

AfD-Dominanz in den Medien

Auch in einem anderen Kontext wird die Frage laut, ob man sich von der AfD zu sehr in der Themensetzung vor sich hertreiben ließ: in den Medien. So etwa war in der „Elefantenrunde“ am Sonntag die AfD und ihr Erfolg das dominante Thema - und das obwohl der anwesende Parteichef Jörg Meuthen kaum zu Wort kam. Schon beim TV-Duell von Merkel und Schulz Anfang September war Kritik laut geworden, weil das von der AfD gepushte Flüchtlingsthema besonders viel Raum einnahm, während Zukunftsfragen wie Bildung und Digitalisierung kaum behandelt wurden.

Zu viel Bühne gegeben?

Der „Spiegel“ wiederum kritisierte, dass deutsche TV-Talkshows AfD-Vertretern überproportional viel Bühne gegeben hätten. Man wollte „die Nöte und Sorgen“ der Menschen ernst nehmen, „indem man fremdenfeindliche Hetzer in die Sendungen einlud“, heißt es in einem Kommentar im „Spiegel“.

Doch nicht nur das Fernsehen steht in der Kritik. Auch andere Medien müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, die AfD in der Berichterstattung besonders stark berücksichtigt zu haben. Jeder inszenierte Skandal der Partei wurde breit berichtet. Und der Anspruch vieler Medien, objektiv, aufklärerisch und investigativ über die Rechtspopulisten zu berichten, ist ein hehrer. Ob das genau dort ankommt, wo es ankommen sollen, nämlich bei einer Wählerschaft, die zu einem Gutteil gegen die „Lügenpresse“ hetzt, darf bezweifelt werden.

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