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„Keine andere Wahl“ als Referendum

Der irakische Kurdenpräsident Massud Barsani ist für seine Anhänger ein unermüdlicher Kämpfer für den Traum der kurdischen Unabhängigkeit. Seine Gegner halten ihn dagegen für einen skrupellosen Machtpolitiker, der mit dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum die Stabilität der Kurdenregion gefährdet und einen neuen Bürgerkrieg im Irak riskiert, um seine eigene Macht zu erhalten.

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Wie stets in der braunen Uniform der Peschmerga-Milizen gekleidet und mit einem rot-weiß gemusterten Tuch um den Kopf gab Barsani Montagfrüh lächelnd seine Stimme ab. Der 71-Jährige hofft, mit dem Referendum die Unabhängigkeit zu erreichen, für die schon sein Vater und Großvater gekämpft haben, doch geht er mit dem Volksentscheid ein großes Risiko ein.

Barsani versichert, er habe „keine andere Wahl“ als die Abspaltung, da er in Bagdad keinen „Partner“ gefunden habe, um die Rechte der Kurden zu sichern. Doch die Zentralregierung warnt, sie werde die nationale Einheit um jeden Preis verteidigen. Der Iran schloss auf Bitten Bagdads seine Grenzen, und die Türkei drohte, die wichtigen Ölexporte aus der Kurdenregion zu stoppen.

Bisher freundschaftliches Verhältnis zu Ankara

Barsani unterhielt bisher freundschaftliche Beziehungen zur Türkei, über die der Großteil des Handels und der Ölexporte verläuft. Sollte Ankara mit dem Exportstopp Ernst machen, würde das nicht nur die wichtigste Einnahmequelle der Kurdenregion bedrohen, sondern könnte auch Barsani persönlich treffen: Dem Politikveteranen wird seit Langem vorgeworfen, am Ölexport kräftig mitzuverdienen.

Der kleine, rundliche und eher zurückhaltende Barsani kämpft schon seit seiner Jugend für die Unabhängigkeit der Kurden. Als Jugendlicher verbrachte er viele Jahre in den Bergen an der Seite seines Vaters Mullah Mustafa Barsani im Kampf gegen die Zentralregierung. Zu den kurdischen Peschmerga-Milizen unterhält der 71-Jährige bis heute enge Verbindungen.

Seit 2005 Präsident der Kurdenregion

Nach dem Tod seines Vaters 1979 übernahm er die Führung von dessen Demokratischer Partei Kurdistans (DKP). An deren Spitze setzte er sich gegenüber der Zentralregierung hartnäckig für mehr Autonomie für die Kurden ein, schreckte aber auch nicht davor zurück, mit ihr gegen die rivalisierende Patriotische Union Kurdistans (PUK) zu paktieren, der er blutige Kämpfe lieferte.

Als nach dem Sturz des Machthabers Saddam Hussein 2005 eine neue irakische Verfassung in Kraft trat, wurde Barsani in einer indirekten Wahl zum Präsidenten der autonomen Kurdenregion im Nordirak gewählt. Vier Jahre später erhielt der DKP-Chef bei der ersten allgemeinen Wahl im Kurdengebiet knapp 70 Prozent der Stimmen und damit ein neues Mandat von vier Jahren.

Kritiker: Barsani klammert sich an Macht

Zwar verlängerte das Regionalparlament in Erbil 2013 sein Mandat um zwei Jahre, doch ist diese Verlängerung inzwischen ebenfalls abgelaufen. Seine Kritiker werfen ihm nun vor, mit dem Referendum seine Macht auch für die kommenden Jahre sichern zu wollen. Zwar findet sich kaum ein Kurde, der gegen die Unabhängigkeit ist. Doch halten viele den Zeitpunkt des Volksentscheids für verfehlt.

Von allen Seiten werde Barsani bedrängt, endlich die Präsidentenwahl in der Autonomieregion zu organisieren, sagt Karim Pakzad vom Institut für internationale und strategische Beziehungen (IRIS). Und vor allem werde er aufgefordert, nicht erneut anzutreten. Besonders in der kurdischen Provinz Suleimanija gibt es großen Widerstand gegen einen Verbleib Barsanis an der Macht.

Mit dem Referendum droht eine weitere Eskalation der Spannungen in der Region. Die Türkei und der Iran haben mit der Grenzschließung bereits erst Konsequenzen gezogen. Auch Bagdad warnte, eine Loslösung der Autonomieregion nicht hinzunehmen. Doch Barsani ist bereit, sich der Gefahr eines Bürgerkriegs zu stellen - für die Unabhängigkeit oder seinen Machterhalt.

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