Die große Macht des Bildes
Wissenschaftler der Universität Wien haben die bis dato weitgehend unerforschte Geschichte der österreichischen Pressefotografie zwischen 1945 und 1955 aufgearbeitet. Das Projekt „War of Pictures“ spannt den Bogen zwischen den Nachwirkungen des Nationalsozialismus, der schwierigen Arbeit inmitten von Trümmern und dem „Bilderkrieg“ der Alliierten.
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Drei Jahre lang untersuchte das aus Marion Krammer, Margarethe Szeless und Fritz Hausjell bestehende Forscherteam nicht nur zum ersten Mal die Aktivitäten der Bilderdienste der vier Besatzungsmächte, es rekonstruierte auch die Laufbahnen von mehr als 200 Pressefotografinnen und -fotografen abseits prominenter und gut erforschter Namen wie den Magnum-Fotografen Inge Morath, Erich Lessing und Ernst Haas. Die Lebensläufe werden künftig auch in einer Datenbank online abrufbar sein.
Presselandschaft in Trümmern
Als Basis für die biografische Spurensuche dienten neben Akten und Nachlässen auch die wichtigsten Illustrierten zwischen 1945 und 1955, die akribisch ausgewertet wurden. Tageszeitungen waren vor allem in den unmittelbaren Nachkriegsjahren Textwüsten, weswegen das Fotografieren für Magazine wie die „Wiener Bilderwoche“ oder die „Wiener Illustrierte“ für Bildreporter „das tägliche Brot“ waren, wie der Fotograf Lothar Rübelt 1947 beschrieb.

ÖNB/USIS/Bildarchiv
Ein US-kritisches Transparent vor der Wiener Karlskirche, 1952
Dass mit Fotos unmittelbar nach dem Kriegsende kaum Geld zu machen war, verwundert wenig: Die österreichische Presselandschaft lag nach den Repressionen des Nationalsozialismus in Trümmern, und der Mangel an Fotoausrüstung, Filmmaterial, Chemie und Papier war ein allgegenwärtiges Problem. Auch prominente Fotografen konnten sich allein mit ihrem Metier kaum über Wasser halten.
Das Bildimperium der USA
Dazu bereiteten auch die Alliierten den Fotografen Kopfzerbrechen - genauer gesagt ihre Bilderdienste. Diese fütterten die Presse kostenfrei mit Fotos und machten den Fotografen damit das Geschäft abspenstig. Den Besatzungsmächten dienten die Bilderdienste vor allem als Propagandainstrument, denn die Presse war maßgeblich daran beteiligt, wie das neue Österreich sich selbst, aber auch die Alliierten sah. Und je weiter der Kalte Krieg in der echten Welt voranschritt, desto intensiver bildete er sich auch auf den Seiten österreichischer Illustrierter ab.

Johann und Fritz Basch
„Die vier im Jeep“: Die Militärpatrouille bestand aus Vertretern aller vier Besatzungsmächte
Vor allem die USA erkannten laut den Forschern die Macht des Bildes und versuchten mit ihr, den Österreichern den „American Way of Life“ schmackhaft zu machen. Im Gegensatz zu dem sowjetischen Bilderdienst, der vor allem propagandistische Bilder aus der UDSSR lieferte und nur wenig Material von österreichischen Fotografen zukaufte, hatten die Vereinigten Staaten eines rasch erkannt: Nicht Fotos aus den USA, sondern Bilder aus Österreich bewegten die Gemüter. Die Themen dabei: Trümmer, Wiederaufbau und Heimkehr, aber auch Politik, Sport und die Kino- und Theaterwelt.
Erster „White House Photographer“ als Motor
Unter diesem Prinzip bauten die USA einen hoch organisierten und gut finanzierten Bilderdienst auf, der über die Jahre Zehntausende Negative produzieren und damit im Bildgedächtnis Österreichs bis heute nachwirken sollte. Die USA schadeten der österreichischen Pressefotografie aber nicht nur, sie prägte sie auch ganz maßgeblich – sowohl in organisatorischer, als auch ästhetischer Hinsicht.

ÖNB/USIS/Bildarchiv
Yoichi Okamoto versuchte Österreichs Fotografen im Stil des „Life“-Magazins auszubilden
Dafür verantwortlich war vor allem der Fotojournalist und Kriegsberichterstatter Yoichi Okamoto, der später der erste offizielle US-Präsidentenfotograf („Chief Official White House Photographer“) – nämlich für Lyndon B. Johnson – werden sollte. Unter Okamoto sollte der Bilderdienst über ein Jahrzehnt hinweg zum wichtigsten Arbeitgeber und Ausbildner für österreichische Bildreporter werden.
Dorn im Auge des Syndikats
Obwohl sich die finanzielle Situation der freiberuflichen und erfahrenen Fotografen ab den 1950er Jahren entspannte, war ihnen der US-Bilderdienst bis zu seiner Schließung im Jahr 1955 ein Dorn im Auge. Noch 1954 richtete die Berufsvereinigung Syndikat der Österreichischen Pressefotografen ein Telegramm an den US-Botschafter Llewelyn E. Thompson, in dem es „unfairen fremden Wettbewerb auf österreichischem Boden“ beklagte.

Johann und Fritz Basch
Die Zonengrenze im geteilten Wien
Das 1947 gegründete Syndikat sollte für die nächsten Jahrzehnte zur wichtigsten Standes- und Interessenvertretung der österreichischen Pressefotografen werden. In ihr organisierten sich die erfolgreichsten Bildreporter der Zeit, darunter die Gebrüder Basch, Fritz Kern und Franz Votava. An ihrer Gründung zeigt sich ein weiteres Problemfeld, dem sich die Forscher gewidmet haben: der Umgang der Pressefotografen mit ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus.
„Anschluss“ und „Arisierung“
Wie auch im Journalismus setzten im Nationalsozialismus tätige Pressefotografen ihre Karrieren vielfach ununterbrochen fort. Auf der anderen Seite gab es zahlreiche Fotografen, die vor dem Regime flüchten mussten. Ein bezeichnendes Beispiel für diese Situation war das Duo Albert Hilscher und Leo Ernst, das von 1930 bis 1938 gemeinsam ein Fotostudio in Wien betrieb.
Der Jude Ernst musste nach einer grundlosen Festnahme in Wien nach New York emigrieren und arbeitete dort bis Kriegsende für die „New York Times“. Der gemeinsame Betrieb wurde von Hilscher „arisiert“ und allein weiterbetrieben. 1946 kehrte Ernst nach Wien zurück, doch der Bruch war endgültig. Ein Angebot Hilschers für eine weitere Zusammenarbeit lehnte Ernst ab.

Johann und Fritz Basch
Demonstration für den Staatsvertrag, 1955
Gemeinsam mit Fritz Zvacek gründete Ernst nach seiner Rückkehr das Syndikat. Hilschers Beitrittsgesuch wurde abgeschmettert, obwohl er zu den am längsten tätigen Fotografen des Landes gehörte. Erst 1949 wird er aufgenommen – gemeinsam mit Walter Henisch, dessen Vergangenheit als NS-Propagandafotograf von seinem Sohn Peter Henisch im Roman „Die kleine Figur meines Vaters“ thematisiert wurde.
Wiederentdecktes Archiv
Das Archiv des Syndikats wurde übrigens erst 2014 wiederentdeckt und an die Universität übergeben. Für die Forschung erwiesen sich die Ordner voller Akte als wertvoller Fundus. So boten etwa die Beitrittsbewerbungen zum Syndikat ein regelrechtes Who’s who der Pressefotografie dieser Epoche. Dieser Fund und weitere Ergebnisse des Forschungsprojekts werden nun von 3. bis 6. Oktober bei einer Tagung an der Universität Wien präsentiert.
Link:
Saskia Etschmaier, ORF.at