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Wie von einer anderen Welt

Nachdem die USA 1958 ihren ersten künstlichen Erdsatelliten ins All geschossen haben, haben sich kurz darauf erste Modedesigner vom Raumanzug inspirieren lassen. Nun, fast 60 Jahre später, dominieren paillettenbesetzte Kleider und ganz viel silberne Materialien, die an Rettungsdecken erinnern, erneut die Herbstkollektionen. Dabei überschlagen sich große Modelabels mit Hommagen an die Pioniere der „Weltraummode“ Pierre Cardin und Paco Rabanne.

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„Die Kleidung, die ich bevorzuge, ist jene, die ich für ein Leben erfinde, das noch nicht existiert - die Welt von morgen“, lautet ein Zitat des französischen Modeschöpfers Cardin, der neben Rabanne und Andre Courreges zu den Erfindern der futuristischen Mode seit 1963 zählt.

Heuer gaben sich unter anderem die Kreativdirektoren der Modehäuser Chanel, Proenza Schouler und Moschino in ihren Herbstlooks ebenfalls einer „Welt von morgen“ hin. Der Trend, den die Modezeitschrift „Elle“ als „Neue Zukunft” betitelt, zeichnet sich vor allem durch einen übertriebenen Einsatz von silbrig-schimmernden Materialien, großflächigen Pailletten und geradlinigen Schnitten aus. Dabei erinnerte vieles an die frühen Entwürfe von Rabanne und Cardin.

„Welt von morgen“ aus der Vergangenheit

Karl Lagerfeld drapierte die Halsgegend seiner Models mit steifen, silbrig-glänzenden Bettdecken und ließ ihre Haare im „Barbarella“-Stil toupieren. Damit es auch ja keine Missverständnisse gab, dass es sich um „außerirdische“ Mode handelt, wurde im Grand Palais während der Pariser Fashion Week eine künstliche (Chanel-)Rakete „gestartet“ – musikalisch untermalt wurde das Spektakel von Elton Johns „Rocket Man“.

Proenza Schouler hingegen handhabte das Thema weniger astronomisch als Lagerfeld und orientierte sich nicht an der gegenwärtigen Raumfahrt, sondern ging einige Lichtjahre weiter. Die runden Cut-Outs an den Schulter- und Bauchpartien von Schoulers Herbstkollektion sind Reverenzen an die „Star Trek“-Serien aus den 60er Jahren. Auch die V-förmigen Hosenanzüge und Kleider von Mugler erwecken den Eindruck, als hätten sich die Designer ein bisschen etwas bei Mr. Spock und Lieutenant Uhura abgeschaut.

Eine Weltraumschlacht nach der anderen

Christopher Kane hingegen machte sich keine Mühen, Gewänder mit ausgefallenen Schnitten zu kreieren, noch setzte er besonders viel funkelnde Materialien ein. Seine Kleider wurden lediglich mit ein paar bunten Raumschiffen bedruckt. Auch Moschinos Kreativdirektor Jeremy Scott nahm die Anlehnung an den Kosmos allzu wörtlich und bedeckte seine Pre-Fall-Kollektion vollkommen mit Comicmotiven einer Weltraumschlacht.

Birgit Kos in Fall 2017 at the Venice Biennale by @mariotestino and @tonnegood for @voguemagazine. #proenzaschouler

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Ein besonders großer Science-Fiction-Fan scheint der kanadische Modemacher Nick Graham zu sein. Graham holte sich den ehemaligen US-amerikanischen Astronauten Buzz Aldrin sowie Bill Nye, Direktor der Planetary Society und Moderator der Wissenschaftssendung für Kinder „Bill Nye The Science Guy“, an seine Seite, die ihn bei den Entwürfen seiner Männerkollektion unterstützen sollten, die ganz im Zeichen des Mars stand. „Beide, Bill und Buzz, haben ein enormes Verständnis von Wissenschaft und Weltraum“, heißt es auf Grahams Website.

„Mars ist das neue Schwarz“

Die ersten Raumfahrtexpeditionen der 50er brachten einen modischen Futurismus ins Rollen. Und auch heuer scheinen neue planetarische Entdeckungen die erneute Space-Manie beeinflusst zu haben: Wenige Tage vor Lagerfelds Chanel-Kollektion verkündeten Forscher, im Planetensystem Trappist-1 sieben erdähnliche Planeten entdeckt zu haben.

Nach zwei Jahrzehnten beendete die NASA-Raumsonde „Cassini“ nun ihre Mission auf dem Saturn. Der US-Unternehmer Elon Musk treibt sein All-Programm voran und präsentierte außerdem das neue Design für einen Raumanzug seines privaten Raumfahrtunternehmens SpaceX, der besonders viel Wert darauf legte, Ästhetik und Funktion miteinander zu kombinieren.

Astronaut spacesuit next to Crew Dragon

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Raumfahrtmode in Zeiten des Aufruhrs

Es gibt also durchaus Anlass, Science-Fiction und Raumfahrt modisch wieder auszuschlachten. Auch die Filmindustrie erlebte kürzlich einen Sci-Fi-Boom. Daniel Espinosas „Life“ erkundet das Leben auf dem Mars, in „Valerian - Die Stadt der Tausend Planeten“ sorgen Spezialagenten für Ordnung im Universum, und Ende des Jahres kommen die Blockbuster „Blade Runner 2049“ und „Geostorm“ in die Kinos.

Antworten darauf, warum diese Themen gerade jetzt wieder die Laufstege erobern, liegen auf der Hand. So erklärte Adam Roberts, Autor von „The History of Science Fiction“ und Professor an der Universität Royal Holloway in London, im Interview mit der „Elle“, dass die Flucht ins All generell immer in stürmischen Zeiten einen Aufschwung erlebe.

„Viele Kritiker datieren den Aufschwung der Science-Fiction entweder in die Zeit der Französischen Revolution – Mary Shelleys ,Frankenstein’ (1818) wird von vielen als erster, markanter Science-Fiction-Roman angesehen – oder Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, mit Jules Verne, H. G. Wells und dem Pulp-Magazin während einer anderen Periode des Aufruhrs: des Ersten Weltkriegs. Unstetige Zeiten rufen bei den Menschen Besorgnis über die Zukunft hervor, und Science-Fiction ist eine Art, gegenwärtige Trends für die Zukunft abzuleiten“, so Roberts.

Weltraum-Referenzen als Flucht

Auch Julien Dossena, Art Director bei Paco Rabanne, sieht gegenwärtig schwierige Zeiten: „Es fühlt sich an, als würden wir einen Wendepunkt in unserer Zivilisation erleben. Weltraum-Referenzen können sich wie eine Flucht anfühlen, wie eine Projektion dessen, wie wir in der Zukunft leben könnten, wie eine Chance, das zu verbessern oder zu korrigieren, was wir jetzt tun“, so Dossena gegenüber „Elle“.

So blieben auch die Designs des Hauses Rabanne heuer ihrem futuristischen Stil treu, wie etwa durch den Einsatz von atypischen Materialien wie schweren Kettenhemden und Plastik. Neben einigen Ausreißern überwiegen bei Rabanne aber mittlerweile „echte“ Textilien wie Wolle und Viskose, und die durchgehend in Silber gehaltenen Kleider wirken sehr fließend - dem Metallgewebe Mesh sei Dank.

Retrofuturismus für die gute Laune

Trotz der leicht modernen Einschläge ist der Trend jedenfalls etwas für Nostalgiker. Er orientiert sich stark an der Vergangenheit, erinnert an Kultfilme wie „Barbarella“ und farbenfrohe Sci-Fi-Comics. Die spacigen Outfits der Herbstmode zeichnen damit ein abgestaubtes Bild der modischen Weltraumära der späten 60er und frühen 70er Jahre. Vielleicht bringen Pailletten, Silber und Lamee der Trägerin oder dem Träger aber gleichzeitig doch auch ein bisschen Stimmung für eine bessere Zukunft.

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