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Ohne Kennzeichnung im Supermarktregal

Konsumenten in Kanada haben gerade gute Chancen, Teil einer Innovation zu werden - oder zu Versuchskaninchen. Seit 2016 darf in dem Land genetisch modifizierter Lachs verkauft werden. Und er wird es auch, wie die jüngsten Zahlen des Unternehmens AquaBounty Technologies zeigen. Zum ersten Mal fand damit ein Tier mit künstlich verändertem Erbgut den Weg in den Lebensmittelhandel.

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Fünf Tonnen: So viele Filets ihres „AquAdvantage Salmon“ hat AquaBounty Technologies laut einer Aussendung in den vergangenen Monaten in Kanada verkauft. Und geht es nach dem US-Unternehmen sollen die Zahlen in Zukunft noch deutlich steigen. „Der Verkauf und Gespräche mit möglichen Käufern hat klar gezeigt, dass Kunden unseren Fisch wollen. Und wir planen unsere Produktion zu erhöhen, um die Nachfrage zu befriedigen“, zitiert die Firmenmitteilung CEO Ronald Stotish.

Konsumenten als „Versuchskaninchen“?

Bei Umweltschützer sorgte diese Meldung für alles andere als Euphorie. „Die ersten genetisch veränderten Tiere sind auf dem Markt angekommen und kanadische Konsumenten werden unwissentlich zu Versuchskaninchen“, schreibt die franko-kanadische Umweltschutzorganisation Vigilance OGM auf ihrer Website. Was Organisationen wie Vigilance besonders stört: AquaBounty muss das Fleisch des Lachses, von Kritikern seit Jahren als „Frankenfish“ gebrandmarkt, nicht gesondert ausschildern.

Laut der kanadischen Lebensmittelbehörde unterscheidet sich dessen Fleisch nicht von dem seiner „natürlichen“ Artgenossen. Vier Jahre lange Tests hätten ergeben, dass er ebenso sicher und nahrhaft sei, lautete die Begründung für die Zulassung im vergangenen Jahr. Den Kritikern reicht das allerdings nicht. Sie werfen ein, dass sich mögliche Langzeitfolgen für den Menschen in einem solchen Zeitraum nicht feststellen ließen; und dass der Lachs nur die Speerspitze für eine Vielzahl gentechnisch veränderter Nutztiere sei.

In Anbetracht des Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) machten in der Vergangenheit auch Umweltorganisationen in Europa gegen den „AquAdvantage Salmon“ mobil. Zwar fällt die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmitteln immer noch in die Zuständigkeit der einzelnen Staaten. CETA-Gegner beurteilen das Abkommen aber grundsätzlich als „gentechnikfreundlich“. In ihrer Argumentation griffen Umweltschützer auch immer wieder auf den gentechnisch veränderten Lachs zurück.

Zwei Gene sorgen für Wachstumsschub

Für AquaBounty markierte die Markteinführung in Kanada einen entscheidenden Erfolg in einem über zwei Jahrzehnte dauernden Zulassungsverfahren. Denn wirklich neu ist der gentechnisch veränderte Lachs nicht: Bereits Ende der 1980er Jahre gelang es kanadischen Wissenschaftlern zwei Gene aus anderen Fischarten in das Erbgut des Atlantischen Lachses einzubauen. Zum einen verwendeten sie den DNA-Abschnitt einer anderen Lachsart, des Pazifischen Königslachses. Er sorgt dafür, dass der Fisch ein Hormon produziert, das ihn schneller wachsen lässt.

Geschichte des „Frankenfish“

  • 1989: Kanadische Wissenschaftler verändern erfolgreich das Genom des Atlantischen Lachses.
  • 1995: AquaBounty stellt in den USA den Antrag auf Zulassung des Fischs.
  • 2010: Die FDA bescheinigt Lebensmitteln aus modifiziertem Lachsfleisch die Unbedenklichkeit.
  • 2013: Kanada erlaubt die Produktion von jährlich 100.000 modifizierten Fischeiern.
  • 2015: Die FDA erteilt die Zulassung des Lachsfleisches als Lebensmittel.
  • 2016: Auch Kanada lässt den genetisch veränderten Lachs zu.
  • 2017: Bis zur Jahreshälfte werden in Kanada fünf Tonnen des „AquAdvantage Salmon“ verkauft.

Zum anderen schleusten die Forscher ein Gen des an kalte Wassertemperaturen angepassten Zoarces americanus in das Erbgut des Lachses ein. Dieses Regulationsgen lässt den gentechnisch veränderten Lachs auch bei kalten Temperaturen an Größe und Gewicht gewinnen. Anders als seine unveränderten Verwandten wächst der genetisch auffrisierte Fisch somit auch im Winter.

Gemeinsam führen die Veränderungen dazu, dass die Lachse in 18 Monaten ein Gewicht von 18 Kilo erreichen. Ein „normaler“ Lachs braucht dafür fast drei Jahre. Laut AquaBounty führen die Modifikationen überdies dazu, dass der Fisch 75 Prozent weniger Futter als Wildlachs braucht, um sein Schlachtgewicht zu erreichen.

Verzögerung in USA

Bereits 1995 meldete das Unternehmen den genmodifizierten Lachs in den USA zur Zulassung an. Doch erst 20 Jahre später, Ende 2015, gab die US-Lebensmittelbehörde (FDA) schließlich den gentechnisch veränderten Lachs für den Verzehr frei. Die Tiere „erfüllen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung und ihr Verzehr ist gesundheitlich unbedenklich“, hieß es damals in der Begründung.

Auf den Tellern der US-Konsumenten landete das heftig umstrittene Produkt aber bisher nicht. Zuerst fehlten Fischfarmen, die den Auflagen der FDA entsprachen. Dann ruderte die Lebensmittelbehörde selbst zurück: Zuerst müsse es verbindliche Regelungen zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Produkte geben, so die FDA. Die hat der Kongress zwar inzwischen grundsätzlich beschlossen. Noch ist aber offen, wie genau die Kennzeichnung auf die Lachsprodukte angewendet werden soll.

Keine Angaben zu Einzelhändlern

In Kanada hatten die Behörden weniger Bedenken. Nur wenige Monate nach der Zulassung durch die Lebensmittelbehörde fand der gentechnisch modifizierte Lachs seinen Weg in die Regale der Supermärkte. Wenn auch nicht klar ist, in welche genau. Zwei Supermarktketten - IGA Quebek und Costco - teilten laut dem britischen „Guardian“ bereits mit, den Lachs nicht ins Sortiment aufzunehmen. Andere hätten die Nachricht von dem neuen Produkt begrüßt, so die Zeitung. AquaBounty selbst verweigerte bisher Angaben, wo und von wem ihr Produkt angeboten wird.

Sterile Lachse aus Panama

Kaum Informationen gibt es von dem Unternehmen auch zu den Orten, wo die Lachse gezüchtet werden. Der „Guardian“ schreibt, die bisher in Kanada verkauften Fische seien vermutlich allesamt in Tanks in Panama gezüchtet worden. Das Unternehmen plane jedoch die Expansion ihrer Zucht nach Prince Edward Island vor der Ostküste Kanadas, so die Zeitung. Die Firma selbst teilte darüber hinaus in einer Aussendung im Juni mit, eine Fischfarm im US-Bundesstaat Indiana gekauft zu haben.

Was AquaBounty aber sehr wohl herausstreicht: dass die Fische bisher allesamt in abgeschlossenen Tanks gezüchtet würden. Damit sei sichergestellt, dass keiner davon in die freie Wildbahn entkommen könne - eine der großen Sorgen von Umweltschützern und Fischereiverbänden. Bei AquaBounty hat man gegen diese Befürchtungen noch ein weiteres Argument parat: Fast alle gezüchteten Fische sind laut dem Unternehmen weiblich und durch einen dritten Chromosomensatz unfruchtbar.

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