Staaten könnten es selbst verbieten
Im Streit über das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat sorgen Medienberichte für Aufregung, wonach die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) teilweise wortwörtlich die Argumentation des Herstellers Monsanto übernommen habe, und zwar ausgerechnet bei den heiklen Teilen. Die EU-Kommission weist den Vorwurf aber zurück.
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Konkret gehe es um rund 100 der 4.300 Seiten des Schlussberichts der EFSA aus dem Jahr 2015, und zwar um die „umstrittensten Kapitel“, berichteten am Freitag die italienische „La Stampa“ und der britische „Guardian“. Die EFSA mit Sitz im italienischen Parma hatte sich für eine Verlängerung der Zulassung von Glyphosat ausgesprochen - dem will die EU-Kommission demnächst folgen.
EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis hatte Mitte Juli angekündigt, er wolle bei der wissenschaftlichen Debatte über die Schädlichkeit von Glyphosat zum Ende kommen. Es gebe keinen Grund, den Stoff als krebserregend einzustufen. Das sei auch die Auffassung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und der EFSA. Die Zulassung des Mittels läuft Ende des Jahres aus.
Zeitung: „Quasi Wort für Wort“ übernommen
„Die Kapitel im EFSA-Bericht über die bisher veröffentlichten Studien zur Wirkung von Glyphosat auf die menschliche Gesundheit sind quasi Wort für Wort von einem Monsanto-Bericht aus dem Jahre 2012 übernommen“, schrieb nun „La Stampa“. Damals hatte der US-Chemiekonzern - mittlerweile in Besitz des deutschen Bayer-Konzerns - im Namen des Konsortiums „Glyphosate Task Force“ den Bericht eingereicht.
Der Gruppe gehören mehr als 20 Unternehmen an, die Glyphosat-Produkte in Europa verkaufen. Die EFSA habe aber versichert, dass ihr Bericht auf der objektiven Zusammenstellung aller wissenschaftlichen Studien über die Wirkung von Glyphosat basiere, hieß es in „La Stampa“.
Kommission: Nicht von EFSA kopiert
Die EU-Kommission betonte auf Nachfrage des ORF allerdings, dass die Textbausteine nicht von der EFSA übernommen wurden. Sie seien vielmehr in einem Bericht Deutschlands, das in der Causa Glyphosat Berichterstatter aller nationalen Regierungen ist, enthalten. In Studien von EU-Agenturen sind jeweils auch die verschiedenen Standpunkte enthalten und in der Regel im Anhang zur Gänze nachzulesen oder verlinkt.
Derzeit, betont die EU-Kommission, gebe es „angesichts der gründlichen Untersuchung aller vorhandenen Information“ durch die zuständigen EU-Agenturen, „keine Veranlassung, die in der EU durchgeführten wissenschaftlichen Einschätzungen und Schlussfolgerungen bezüglich Glyphosat in Frage zu stellen“. Unklar ist, wie sehr der Bericht Deutschlands die Einschätzung der EFSA beeinflusst hat oder beeinflusst.
Ein EFSA-Sprecher wirft dem „Guardian“ und der „Stampa“ gegenüber dem ORF vor, „den Zusammenhang und Inhalt der in Sachen Glyphosat-Einschätzung öffentlich zugänglichen Dokumente“ nicht richtig verstanden zu haben. Die Daten seien bereits 2015 publiziert worden, und es gehe bei den nun für Aufsehen sorgenden Stellen um öffentlich zugängliche Studien, die vom Antragsteller - also Monsanto - eingereicht wurden. Dazu sei das Unternehmen per Gesetz verpflichtet. Die Vowürfe seien daher „nur ein weiterer Versuch, das EU-Prüfverfahren in Zweifel zu ziehen“.
Nicht ganz unwesentliches Papier
Glyphosat ist der Hauptinhaltsstoff des Unkrautvernichters Roundup, mit dem Monsanto laut „Guardian“ pro Jahr rund 4,75 Mrd. Dollar (knapp vier Mrd. Euro) umsetzt. Die Entscheidung über die Zukunft der Chemikalie in der EU werde nun „wesentlich“ von dem EFSA-Bericht abhängen, betont der „Guardian“. Die Zeitung zitierte unter anderem auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace mit den Worten: Egal ob das Ganze aus Schlamperei oder absichtlich passiert sei, sei das Vorgehen schlicht inakzeptabel.
Streit tobt seit Jahren
Der Streit über das Unkrautvernichtungsmittel tobt seit Jahren. Eine Agentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte im Frühjahr 2015 erklärte, Glyphosat sei „wahrscheinlich krebserzeugend bei Menschen“. Den Herstellern zufolge handelte es sich dabei jedoch nur um „theoretische Überlegungen“ ohne Bezug zu realen Verbraucherrisiken. Das bestätigte ein zweiter WHO-Bericht. Auch Aufsichtsbehörden in Deutschland kamen zu dem Schluss, dass von Glyphosat keine Gesundheitsgefahr ausgeht. Dort wie in Österreich auch sind derzeit Dutzende glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel zugelassen.
Jedoch entscheidet die Kommission nicht alleine über die Wiederzulassung von Glyphosat, sondern nur mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedsstaaten, wie Andriukaitis im Sommer erklärte. Die meisten Staaten sind eine Haltung dazu schuldig geblieben, Österreich sprach sich für eingeschränkte Anwendungsmöglichkeiten des Pestizids aus. Deutschland und Frankreich enthielten sich bisher, haben jetzt aber ein Nein angekündigt.
Jeder EU-Staat kann übrigens selbst ein Glyphosat-Verbot verhängen oder die Nutzung einschränken, wie die Kommission in einem ausführlichen Dossier zur Causa Glyphosat betont. Darin heißt es wortwörtlich: „Die EU-Staaten müssen sich also nicht hinter der Europäischen Kommission verstecken.“
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