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Kurden machen Ernst

Der Traum vom „Staat Kurdistan“ soll Wirklichkeit werden: Am 25. September stimmen die irakischen Kurden über ihre Unabhängigkeit ab. Doch nicht nur die Kurden selbst haben dabei ein Wort mitzureden. Die Regierung in Bagdad kündigte bereits Widerstand an - und auch international stoßen die Bestrebungen auf wenig Begeisterung.

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Denn dass die Kurden für ihre Unabhängigkeit stimmen werden, bezweifelt kaum jemand. Masud Barsani, der Präsident der Autonomen Region Kurdistan im Irak, sieht das Ergebnis des Referendums schon jetzt als bindend für die irakische Regierung, so Barsani in einem Interview mit der BBC. Allerdings ist noch ungeklärt, wo genau die Grenzen für einen eigenen Staat verlaufen sollen.

Karte vom Kurdengebiet im Irak

Grafik: APA/ORF.at

Am Freitag wurde noch einmal über das geplante Unabhängigkeitsreferendum im kurdischen Regionalparlament abgestimmt, um „einen rechtlichen Rahmen“ für den Volksentscheid zu schaffen. Es war das erste Mal seit mehr als zwei Jahren, dass die regionalen Abgeordneten zusammenkommen.

Kampfansage an Zentralregierung

Das Referendum soll in drei Provinzen mit mehrheitlich kurdischer Bevölkerung abgehalten werden sowie in einigen weiteren kurdischen Gegenden – inklusive der geopolitisch sehr wichtigen Stadt Kirkuk im Norden des Irak, die die Kurden seit langer Zeit heimlich als ihre Hauptstadt sehen. Verteidigt wird Kirkuk von den Streitkräften der kurdischen Peschmerga, seit 2014 führen sie den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Barsani warnte, gegen jede Gruppe militärisch vorgehen zu wollen, die versuchen würde, die „Realität“ der Provinzstadt im erdölreichen Gebiet ändern zu wollen.

Präsident der Autonomen Region Kurdistan Masoud Barzani

Reuters/Ruben Sprich

Masud Barsani, Präsident der Autonomen Region Kurdistan, beim World Economic Forum in Genf im September

Auch Araber, Turkmenen und Christen leben in Kirkuk, doch Kontroversen über die ethnische Identität der Stadt gibt es erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Ölfelder in der Region entdeckt wurden. Es ist also nicht überraschend, dass sowohl die Zentralregierung als auch die Autonome Region Kurdistan Interesse an der „Goldgrube“ im Nordirak hegen. 2015 erwirtschaftete der Irak über 97 Prozent seines Budgets aus Erdölexporten.

Absetzung von Kirkuks Gouverneur

Am Donnerstag setzte das irakische Parlament Najmaldin Karim, den Gouverneur der Provinz Kirkuk, ab, nachdem er sich hinter das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum gestellt hatte. Karim nannte diese Entscheidung widerrechtlich und erklärte, er werde im Amt bleiben. Auch aus der Autonomen Region Kurdistan kam Kritik. Das Parlament in Bagdad habe nicht das Recht, Gouverneur Karim abzusetzen. Er sei vom Rat von Kirkuk gewählt worden. „Das ist das einzige Gremium, das ihn absetzen kann“, sagte ein enger Berater von Barsani.

Premierminister Haider al-Abadi bezeichnete die geplante Abstimmung als Verstoß gegen die Verfassung. Auch schiitische Milizen erklärten, sie würden ein unabhängiges Kurdistan nicht dulden und im Ernstfall auch militärisch eingreifen. Einer der wichtigsten Anführer der mächtigen Schiitenmilizen, Hadi al-Amiri, warnte vor schweren Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Arabern.

Auch Türkei warnt vor Bürgerkrieg im Irak

Die benachbarte Türkei zeigte sich erzürnt über die Unabhängigkeitsbestrebungen. Laut „NYT“ wird befürchtet, das Referendum im Irak könnte auch die kurdische Minderheit in der Türkei dazu anstiften, für mehr Autonomie zu kämpfen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sprach gar von einem bevorstehenden Bürgerkrieg im Irak.

Markt in der autonomen Region Kurdistan im Irak

APA/AFP/Safin Hamed

Ein Markt in der Autonomen Region Kurdistan

Bereits im April 2017 hatte das türkische Militär die Kurdengebiete im Irak im Visier. Spekulationen über „Terrornester“ kurdischer Rebellen waren Anlass genug gewesen, nordirakische Gebiete zu bombardieren. Laut offiziellen Angaben hatte Ankara mit den Angriffen verhindern wollen, dass Waffen, Munition und Sprengsätze ins Land gelangen, die der als Terrororganisation eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in die Hände fallen.

Iran und Türkei in Furcht geeint

Eine ungewöhnliche Entwicklung offenbart sich zwischen dem schiitischen Iran und der mehrheitlich sunnitischen Türkei. In Furcht vor der bevorstehenden Abstimmung der irakischen Kurden scheinen sich die traditionellen Rivalen nun einander anzunähern. Im August dieses Jahres reisten hochrangige iranische Generäle zu Gesprächen mit der türkischen Militärführung nach Ankara. Es war der erste Militärbesuch aus Teheran seit der Islamischen Revolution 1979. Am Ende des Besuchs erklärten beide Seiten vor der Presse Einigkeit in „militärischer und nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit“. Ein möglicher Staat Kurdistan wäre nichts Weiteres als der verlängerte Arm der USA und Israels und stelle eine ernsthafte Gefahr für die nationale Sicherheit und Stabilität beider Länder dar.

USA springen Verbündeten bei

Auch außerhalb des Nahen Ostens gibt es kritische Meinungen zu den Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden: Die USA, als Verbündete der Türkei und des Irak, teilten mit, dass es zum jetzigen Zeitpunkt destabilisierend wirken könnte, ein Referendum abzuhalten. Laut „New York Times“ wird eine Auflösung der Kooperation zwischen der irakischen Regierung und den Kurden im Kampf gegen den IS befürchtet. Die USA plädierten deshalb an die Kurden, die Abstimmung zu verschieben.

Barsani sieht all diese Meinungen gegen das Referendum als Vorwand: „Wann hatten wir jemals Stabilität oder Sicherheit, um die wir uns Sorgen machen müssten, sie zu verlieren? Wann war der Irak jemals geeint, sodass wir besorgt sein müssten, seine Einheit zu brechen?“, verteidigte er gegenüber der BBC. Unterstützung für die Unabhängigkeit gibt es indes aus Israel: Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu befürwortet die Gründung eines kurdischen Staates.

Kurdische Minderheit unterdrückt

Jegliche Unabhängigkeitsbestrebungen zu einem eigenen Kurdistan verliefen bisher ohne Erfolg. Mit über 30 Millionen Menschen, verteilt im Irak, im Iran, in Syrien und in der Türkei, wird die kurdische Bevölkerung oft als weltgrößte ethnische Gruppe ohne Heimat bezeichnet.

Im Irak machen sie 15 bis 20 Prozent der Gesamtbevölkerung von 37 Millionen Einwohnern aus. Unter Saddam Hussein fielen 1988 Tausende Kurden Giftgasangriffen zum Opfer oder wurden deportiert. 1991 gelang den Kurden ein erfolgreicher Aufstand gegen das irakische Regime, was zur Autonomie der Region im Norden führte, nicht aber zu eigenen Staatsgrenzen.

Jahrzehntelanger Kampf in der Türkei

In der Türkei entwickelte sich indes die PKK. Seit 1984 kämpft sie für die politische Autonomie in der Türkei und teilweise auch in den angrenzenden Ländern. Aus einer kleinen Rebellengruppe, die in den Bergen Anatoliens ansässig war, wurde die wichtigste Stimme der Kurdenbewegung.

Die Türkei wie auch die Länder der NATO und der EU führen die PKK auf ihren Terrorlisten. Die PKK und auch deren gewaltbereite Splittergruppe TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) verüben regelmäßig Angriffe bzw. Anschläge auf militärische und zivile Ziele. Die türkische Armee geht dagegen unerbittlich vor und drängt die PKK somit immer mehr in den Irak.

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