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Nur einer kann überleben

In Analogie zum Sport hat man als gelernte Österreicherin oder gelernter Österreicher manchmal das Gefühl, das Dauermatch zwischen Bund und Ländern sei wahre Brutalität. Doch ein Blick nach Spanien belehrt eines Besseren: Hier wie dort haben die Länder beziehungsweise die Regionen eine viel längere historische Tradition als der jeweilige Zentralstaat, mit gewachsenen kulturellen Identitäten - in Spanien teils noch viel stärker ausgeprägt, wie etwa in Katalonien. Und das Verhältnis ist teils viel komplizierter und befrachteter als in Österreich.

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Der spanische Zentralstaat war historisch gesehen oft schwächer als die einzelnen Regionen. Versuche, die Macht in Madrid zu konzentrieren, waren oft zum Scheitern verurteilt oder führten zu Aufständen. Der endgültige Verlust der Kolonien gegen Ende des 19. Jahrhunderts und die damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Probleme einerseits und später die Franco-Diktatur, die alle anderen Sprachen außer Spanisch verbot und verfolgte, andererseits, verliehen separatistischen Bestrebungen jeweils starke Schübe, die bis heute nachwirken.

Zu dieser ohnehin eruptiven Gemengelage kommen noch ganz aktuelle machtpolitische Motive. Das aus Madrider Sicht illegale Referendum über die Loslösung Kataloniens von Spanien führte das Land in eine politische Sackgasse. Ein Kompromiss scheint unmöglich.

Geschichte und Selbstdarstellung

Die Nachfolgepartei der Convergencia Democratica de Catalunya (CDC), die seit Jahrzehnten die katalanische Politik bestimmt, ist der „Herausforderer“ Madrids: Mit Verweis auf historisches Unrecht und die politische und sprachliche Diskriminierung während der Franco-Diktatur ernten sie viele Sympathien. Er sei bereit, für seine Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen, ließ der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont wissen.

Die inkriminierten Dekrete unterzeichnete er gemeinsam mit allen Ministern: So würden alle Regierungsmitglieder im Fall einer Anklage vor Gericht dafür geradestehen. Katalanen sind talentierte Selbstdarsteller: Wer würde nicht zur unterdrückten Minderheit stehen, die selbstlos für ihre Sache kämpft, Tausende Freiwillige mobilisiert und sich nicht unterkriegen lässt?

Pro- und Kontra-Argumente

Die Argumente von Befürwortern und Gegnern sind seit vielen Jahren ähnlich und drehen sich oft um wirtschaftliche Abwägungen: Befürworter verweisen gern darauf, dass das wohlhabende Katalonien viel Geld nach Madrid überweise und wenig zurückbekomme. Gegner meinen dagegen, dass Katalonien alleine zu klein sei, um wirtschaftlich überleben zu können.

Rivalität und ein Duell

Aber der Konflikt zwischen Spanien und den Separatisten hat auch andere Gründe. Das Konkurrenzverhältnis zwischen Katalonien und Restspanien ist nicht neu. Es feuerte schon in den 1960er Jahren Duelle auf dem grünen Rasen an, die Zusammentreffen zwischen Real Madrid und dem dezidiert nationalistischen FC Barcelona bekamen den Namen „El Clasico“. Auch in Spaniens Innenpolitik ist diese Rivalität seit Langem präsent.

Bei jährlichen Verhandlungen um Finanzausgleich und Autonomierechte spielte ein Katalane eine gewichtige Rolle: Jordi Pujol, während 23 Jahren Kataloniens unbestrittener Landesvater und als solcher Verhandlungspartner und Gegenspieler mehrerer spanischer Ministerpräsidenten.

Über Korruption gestolpert

Der heute 87-Jährige Pujol fiel in Ungnade, als aufgedeckt wurde, dass er gemeinsam mit Ehefrau Marta und fünf Söhnen 69 Millionen Euro auf Schwarzgeldkonten in Andorra geparkt habe. Zurzeit laufen mehrere gerichtliche Verfahren gegen Pujol & Co., es gilt die Unschuldsvermutung.

Pujols Nachfolger als Partei- und Regierungschef musste ein politisches Reset wagen: Artur Mas, der die Regierungsgeschäfte 2012 übernahm, verschärfte den Ton gegenüber Madrid, denn mit Zugeständnissen in Autonomiefragen konnte er sich nicht mehr zufriedengeben.

Krise verstärkte Separatismus

„Das Schwarzgeld des Mentors wurde zur Belastung für die seit Jahrzehnten dominierenden Bürgerlichen“, so ein innenpolitischer Kommentator. „Sein politisches Projekt sollte Artur Mas von Pujol abheben.“ Mas setzte sich ein utopisch klingendes Ziel: Er wollte als jener Politiker in die Geschichte Kataloniens eingehen, der dem Land die Unabhängigkeit von Spanien brachte. Auf dem Weg dahin sollte ein Referendum helfen.

Geld als gern genanntes Motiv

„Wir werden nicht wegen der Gefühle geliebt, sondern wegen unseres Geldes“, so der Pensionist Vicens Planchar Soler, der die Unabhängigkeit befürwortet, gegenüber dem ORF.

„Nachdem Mas mit seinen Forderungen bei Mariano Rajoy abgeblitzt war“, erinnert sich der Journalist, „trat er die Flucht nach vorne an. Er war überzeugt, nur durch einen unerwarteten und radikalen Schritt seine Idee verwirklichen zu können.“ Separatistische Parteien hatten in den Krisenjahren starken Zulauf, nicht nur in Katalonien. Spaniens Regierung fuhr einen harten Sparkurs, und viele Katalanen waren es satt, in Spaniens leere Kassen einzuzahlen. „Sie bestehlen uns“, wurde zum populären Slogan der Spanien-Verweigerer.

Erstes Referendum kein Erfolg

2012 kam es zu vorzeitigen Neuwahlen in Katalonien, die Mas und seiner liberalen CDC Verluste brachten. Um eine Mehrheit zu erreichen, musste er mit den Linksrepublikanern (ERC) koalieren, kein leichter Spagat. Ein Referendum auf dem Weg zur Unabhängigkeit sollte Mas’ Position wieder stärken. Es wurde für den 9. November 2014 angesetzt, brachte aber nicht den erhofften Erfolg: Da die Gegner der Trennungspläne mehrheitlich zu Hause blieben, erreichten die Separatisten zwar die klare Mehrheit, aber politisch ließ sich das Resultat bei einer Beteiligung von nur 37 Prozent nicht ausschlachten.

Spaniens Premier Mariano Rajoy und der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont

APA/AFP/Pascal Guyot

Auch die Anschläge in Barcelona und Cambrils brachten Rajoy und Puigdemont - hier mit König Felipe bei der Trauerfeier - einander nicht näher

Spaniens Verfassungsgericht erklärte das Verfahren nachträglich für illegal, Mas wurde in einem Gerichtsverfahren wegen Amtsmissbrauchs schuldig gesprochen und darf seither kein politisches Amt ausüben. Er muss sich nun auch wegen der Kosten der Befragung für die Steuerzahler (rund fünf Mio. Euro) vor Gericht verantworten.

Zweiter Anlauf gegen weitere Verluste

Nach Neuwahlen und weiteren Verlusten für Mas übernahm im Jänner 2016 sein Nachfolger Carles Puigdemont den Posten des Landeschefs. Der 54–Jährige mit ungezähmtem Pilzkopf hatte mit 16 als Reporter bei einem Lokalblatt begonnen und erklomm die Karriereleiter in regierungsnahen Medien. Zuerst als Chef der katalanischen Nachrichtenagentur ACN, später gründete er mit einem Regierungsausschuss ein Nachrichtenportal in englischer Sprache („Catalonia News“), das heute von seiner Ehefrau Marcela geleitet wird.

Ein Duell, das beide gewinnen müssen

Für beide hängen politische Karriere und persönliche Zukunft vom Ausgang des „Duells“ ums Referendum ab. Rajoy will seinen Kritikern im rechten Lager beweisen, dass er zum Krisenmanager taugt. Durch hartes Durchgreifen gegen die Separatisten möchte der oft als „Schläfer“ verspottete Galicier Führungsqualität beweisen.

Rajoy ordnete an, Anklage gegen alle öffentlichen Bediensteten vorzubereiten, die trotz des Verbots an den Vorarbeiten für das Referendum am 1. Oktober beteiligt sind. Nach dem Lieferanten der benötigten 6.000 Wahlurnen wird gefahndet, auch er muss mit einer Anzeige rechnen. Vor Druckereien führten Polizeibeamte Fahrzeugkontrollen auf der Suche nach den Stimmzetteln durch; sie sollen vor der Auslieferung abgefangen und beschlagnahmt werden.

Ablenkung von Skandalen

Was nach Staatsoperette klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Rajoy befahl auch, dass 200 Beamte der Guardia Civil, die im September versetzt werden sollten, ihren Dienst in Katalonien um einen Monat verlängern. Die dem Verteidigungsministerium zugeordnete Gendarmerie steht laut Aussage von Ministerin Cospedal bereit, „die demokratischen Werte Spaniens und die Einheit des Landes notfalls zu schützen“.

Nicht zuletzt bedient sich Rajoy der Affäre, die er zur „größten innenpolitischen Krise“ seit dem Ende der Franco-Diktatur erklärte, um von Korruptionsskandalen abzulenken, die ihn persönlich und seine Partido Popular (PP) seit Jahren verfolgen.

„Dann ist er weg“

Auch die Regierung des liberalen Puigdemont wackelt. Er hält sich nur dank eines Abkommens mit den Linksrepublikanern und der radikalen, antikapitalistischen CUP, die mehrmals mit dem Abspringen drohte. So ist auch für Puigdemont der 1. Oktober ein Überlebenstest. „Sollte er mit seinem Plan scheitern, weil ein Koalitionspartner das Handtuch wirft oder die Urnen am Tag des Referendums beschlagnahmt werden, ist er weg“, urteilt ein Journalist. Von den beiden Kontrahenten, die sich über die Bedeutung des Wortes Demokratie nie einig wurden, kann nur einer überleben.

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