Einigkeit in nur wenigen Punkten
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache haben sich am Mittwochabend das erste Duell des Wahlkampfes geliefert. Eigentlich hätte bei der „Klartext“-Diskussion im ORF-RadioKulturhaus in Wien Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) gegen Kern antreten sollen. Er hatte seinen Auftritt wegen eines EVP-Termins im Vorfeld des Außenministertreffens in Estland aber abgesagt.
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Der erste Angriff beider Kontrahenten galt denn auch dem abwesenden Kurz, dessen ÖVP in den Umfragen deutlich vor Rot und Blau liegt. Obwohl er selbst nur als Ersatz für den Außenminister geladen war, fand Strache dessen Abwesenheit gleich zum Auftakt „schade“: „Da hat man fast den Eindruck, er ist der teuerste Flüchtling Österreichs.“ Kern werde ihn aber wohl gut vertreten. Moderiert wurde das Gespräch von Klaus Webhofer.

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Die Diskussion im ORF-RadioKulturhaus
Gegenseitig Pakt mit ÖVP vermutet
Kern feixte dann, es mache wohl keinen Unterschied, dass der Herr Außenminister nicht da sei, habe der doch der FPÖ zuerst bei der Flüchtlingspolitik „alles nachgemacht“ und dann „mit 14 Tagen Verspätung dasselbe Wirtschaftsprogramm vorgelegt“. Beide Politiker hielten sich gegenseitig vor, dass eine Koalition des jeweils anderen mit der ÖVP praktisch ausgemachte Sache sei.
Kern und Strache „weniger amikal“
Das Aufeinandertreffen von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) im der Ö1-Sendung „Klartext“ war diesmal weniger amikal als noch vor einem Jahr.
Kern sagte, bei den „Abschreibeübungen“, gemeint war das ÖVP-Wirtschaftsprogramm, sei klar, was „da vorbereitet wird“, die ÖVP rolle der FPÖ „den roten Teppich“ aus. Seine Aussage aus dem ORF-„Sommergespräch“, wonach er in die Opposition gehe, wenn er Zweiter bei der Wahl werde, nannte Kern „Realitätssinn“, weil es seiner Ansicht nach dann Schwarz-Blau geben werde.
Beide reden Umfragewerte klein
„Dann werden sie Geschichte sein“, sagte Strache zu Kern, für den Fall, dass die SPÖ nur zweit- oder drittstärkste Kraft werde. Doch auch für einen solchen Wahlausgange zeichnete Strache das Bild einer sich fortsetzenden Großen Koalition: Immer dann, wenn es um die rot-schwarzen Proporzinteressen gehe, würden SPÖ und ÖVP wieder aneinanderrücken - mit einem neuen SPÖ-Parteichef, wie Strache glaubt. FPÖ wolle so stark werden, das zu durchbrechen.

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Strache warnt vor Neuauflage einer Großen Koalition
Den für beide Parteien schwachen Umfragewerten wollten beide Politiker wenig Bedeutung beimessen. Es gebe bis zur Wahl am 15. Oktober noch viele weitere ähnliche Gelegenheiten, „das wird eine Klärung bringen“, verwies Kern auf die beachtliche Zahl an Wahlkampfkonfrontationen. Und auch für Strache werden im Wahlkampf die Karten neu gemischt. „Ich möchte keine Umfragen gewinnen, sondern die Wahl.“
Strache trommelt „Fairnesskrise“
Zum ersten Mal waren Kern und Strache im vorigen November im selben Setting öffentlich aufeinandergetroffen und hatten sich damals ein recht amikales Streitgespräch geliefert. Diesmal gab es dagegen über weite Strecken die dem Wahlkampf angemessene Konfrontation: Strache warf der Regierung vor, nicht nur die Flüchtlingskrise übersehen zu haben, sondern auch die - jetzt von der FPÖ plakatierte - „Fairnesskrise“.
Strache argumentierte, dass Pensionisten, vor allem Frauen, mehr erhalten müssten, wenn sie jahrzehntelang gearbeitet hätten. Die von der FPÖ geforderte Mindestpension von 1.200 Euro wies Kern als unfinanzierbar zurück, auch wenn ihm die Idee an sich gefalle. Das würde aber mehr als acht Milliarden Euro kosten. Strache will auch Zivil- und Präsenzdiener besser entschädigen und kritisierte einmal mehr die Mindestsicherung für Migranten. Es sei „nicht fair“, Menschen Geld zu geben, die ins System nichts eingezahlt und „keine Minute“ gearbeitet hätten.
Konträre Einschätzungen der Lage
Kern wiederum verwies auf die soziale Sicherheit im Land. Die Unterschiede zwischen Einkommen, Pensionen und Mindestsicherung sind für ihn zu gering. Es bringe aber niemandem etwas, wenn man jemandem etwas wegnehme, die SPÖ habe sich daher dafür entscheiden, für die Erhöhung der Einkommen sorgen zu wollen.
Deutliche Unterschiede gab es auch in der Einschätzung der Situation Österreichs. Strache meinte, man sei in internationalen Rankings zurückgefallen. Das sei die Verantwortung von „zehn verlorenen rot-schwarzen Jahren“. Einmal mehr kritisierte er den „rot-schwarzen“ Verwaltungsspeck. Er wolle Österreichern zurückbringen, „was ihnen die Regierung gestohlen hat“.

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Kern betont den einsetzenden Wirtschaftsaufschwung
Kern wiederum verwies wie schon im „Sommergespräch“ auf den wirtschaftlichen Aufwärtstrend. In seiner Amtszeit sei die Abgabenquote schon gesunken, die heimischen Investitionen würden über dem deutschen Vergleichswert liegen. Es gebe Probleme, aber Österreich dürfe „nicht schlechtgemacht werden“.
Wer kümmert sich um den „kleinen Mann“?
Kern warf Strache vor, mit seiner Wirtschaftspolitik nicht die Interessen der kleinen Leute zu vertreten, sondern jene der obersten zwei Prozent, etwa bei der Ablehnung der von der SPÖ angeregten Erbschaftssteuer ab einer Million Euro. Der FPÖ-Chef argumentierte, dass Reichere ohnehin den Höchststeuersatz zu bezahlen hätten. Und wenn die Abgabenquote deutlich gesenkt sei, könne man über eine Erbschaftssteuer reden, ebenso wenn keine direkten Verwandten in Genuss der Erbschaft kommen.
Gegenseitige Sticheleien
Für Lacher bei seinen Anhängern im ausverkauften großen Sendesaal des ORF-Radios sorgte Strache, als er Kern vorwarf, das blaue Wirtschaftsprogramm falsch zitiert zu haben. „Da sieht man, dass Sie Marketing studiert haben und nicht Ökonomie“, hielt der FPÖ-Chef dem Kanzler unter dem Applaus seiner Fans entgegen. Kern revanchierte sich wenig später mit einer aus dem roten Lager begeistert beklatschten Gegenattacke, als ihm Strache mangelnde Managementqualitäten in der Causa Silberstein attestierte. Ja, es sei ein Fehler gewesen, nicht früher zu reagieren, gestand Kern ein, aber: „Ich habe von Ihnen nie gehört, da ist was schiefgelaufen. Sie und Ihre Partei haben fast Kärnten versenkt. Hat sich jemals ein Funktionär dafür entschuldigt?“
Durchaus Parallelen bei Ausländerpolitik
Erstaunlich einig waren sich die beiden in der Ausländerpolitik. Die illegale Migration müsse auf null reduziert werden, so Kern. Es würden Regeln gelten, an die man sich halten müsse: Werte verstehen, Deutsch lernen, arbeiten gehen. Straftäter hätten in Österreich keinen Platz. Kern verteidigte auch das umstrittene SPÖ-„Stammtisch-Wahlvideo“, bei dem dem Kanzler auch aus den eigenen Reihen vorgeworfen wurde, er würde rassistischen Äußerungen nicht widersprechen. Man habe damit zeigen wollen, dass man sich der Problematik stelle.
Kern verwies auch auf Tausende Rückführungen heuer und im vergangenen Jahr. Dafür brauche es Abkommen mit den entsprechenden Ländern, und die großen Fragen würden sich nur mit der EU lösen lassen. Aber dass Flüchtlinge in Österreich sind, sei eine Realität, man könne nicht sagen: „Weg mit den Leuten“.
Strache warf Kern Versäumnisse vor („Warum hat diese Regierung das all die letzten Jahre nicht gemacht?“) und meinte, dass es sehr wenige Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention gebe. Dass der Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt bleibt, befürworteten beide Politiker.
Uneinigkeit bei Diesel
Deutliche Meinungsunterschiede gab es bei Umweltschutzfragen. Kern will 2030 ein Verbot der Neuzulassungen für Dieselfahrzeuge. Allerdings gebe es in Österreich 300.000 Jobs in der Autobranche, man müsse der Industrie in die nächste Technologiestufe helfen. Die Steuerbegünstigung bei Diesel solle bleiben. Die heimische Klimapolitik sei „in Lobbyinteressen verheddert“, meinte Kern und kritisierte etwa die Förderung von Biomasse.
Strache sprach angesichts des angedachten Neuzulassungsverbots für Dieselfahrzeugen von einer „Enteignung“ der Bürger. Umwelt- und Naturschutz sieht er als „Heimatschutz“ - auch er wolle bei erneuerbaren Energien ansetzen. Über den menschlichen Einfluss beim Klimawandel könne man streiten, so der FPÖ-Chef, der auch die Thesen von starken Sonneneruptionen als möglichen Grund für die Erderwärmung ins Treffen führte.
Pro und kontra EU
Ebenfalls äußerst unterschiedliche Ansätze gibt es bei der Frage der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft Österreichs. Strache sprach von einer „großen Chance“ für Reformschritte und will Rechte an die Nationalstaaten zurückgeben. Er sah viele Fehlentscheidungen der Union, gerade bei großen und drängenden Fragen. Kern wiederum glaubt, dass man mehr Europa brauchen werde, um die schwierigen Probleme zu lösen. Allerdings gebe es derzeit ein Europa der Märkte statt eines Europas der Menschen.
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