119 Seiten „Neue Gerechtigkeit"
Einen Tag vor der geplanten Präsentation des ersten Teils des ÖVP-Wahlprogramms hat dieser die Medien am Montag erreicht. Steuern senken, Familien entlasten, Eigentum fördern und Zuwanderung ins Sozialsystem stoppen - so lassen sich die 119 Seiten unter dem Titel „Der neue Weg - Neue Gerechtigkeit und Verantwortung“ zusammenfassen.
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Das ÖVP-Programm enthält eine Reihe bisher unbekannter Vorhaben und auch ein grobes Finanzierungskonzept zur geplanten Steuerentlastung von zwölf bis 14 Milliarden Euro bis 2022. „In kaum einem anderen Land ist der Unterschied zwischen Brutto und Netto so groß wie in Österreich. Wir müssen die Steuerlast senken, damit man sich wieder etwas aufbauen kann“, wird Kurz in dem Programm zitiert.
Abschaffung der kalten Progression
Die Lohn- und Einkommensteuern will Kurz durch niedrigere Steuersätze für die ersten drei Tarifstufen um drei bis vier Milliarden Euro senken. Die Steuersätze sollen dazu von 25 auf 20, von 35 auf 30 und von 43 auf 40 Prozent reduziert werden. Keine Veränderung ist bei den höchsten Einkommens- bzw. Tarifstufen geplant. Die kalte Progression will Kurz für alle Einkommen durch eine jährliche automatische Inflationsanpassung aller Tarifstufen abschaffen. Geplante Entlastung: 1,6 Mrd. Euro. Daneben soll auch das Einkommensteuergesetz überarbeitet werden.
Senkung der Lohnnebenkosten
Die Körperschaftsteuer auf nicht entnommene Gewinne soll ebenfalls abgeschafft werden und eine Milliarde Euro bringen. Um drei Milliarden sollen auch die Lohnnebenkosten sinken. Das ÖVP-Programm sieht hier eine Halbierung der Unternehmerbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds vor.
Überblick über das ÖVP-Wahlprogramm
Die ÖVP hat jetzt einen ersten Überblick über ihr Wahlprogramm präsentiert, die Details sollen folgen. Die ÖVP will unter anderem Sozalleistungen für Flüchtlinge kürzen und den ländlichen Raum stärken.
Die Vollkosten eines Mitarbeiters für ein Unternehmen sollen auf den Gehaltszetteln transparent gemacht werden. Darüber hinaus will die ÖVP auch Mitarbeiterbeteiligungen erleichtern. Erwartungsgemäß sieht das ÖVP-Konzept keine neuen Steuern (Erbschafts-, Eigentums- bzw. Vermögenssteuern) vor.
Steuerbonus für Kinder
Für jedes Kind soll es hingegen einen Steuerbonus von 1.500 Euro geben. Kurz will auch die staatlichen Gebühren für den Kauf des ersten Eigenheimes streichen. Darunter fallen die Grunderwerbssteuer, die Eintragung ins Grundbuch sowie die Eintragung des Pfandrechts. Der Gebührenerlass soll bei 20.000 Euro gedeckelt sein.
Punkto Pensionen betont die ÖVP, dass es keine Kürzung von kleinen und mittleren Pensionen geben soll. Das faktische Pensionsantrittsalter soll an das gesetzliche angepasst werden. Bei längerem Arbeiten soll es höhere Zuschläge bei der Korridorpension geben. Menschen, die länger arbeiten, sollen zwischen dem 65. und 68. Lebensjahr keine Pensionsversicherungsbeiträge zahlen, und Frauen sollen die Möglichkeit haben, freiwillig bis 65 und länger zu arbeiten. Alle noch verbliebenen Pensionsprivilegien will die ÖVP abschaffen. Genannt werden die Stadt Wien, ÖBB sowie die Nationalbank.
Keine Sozialleistungen für Zuwanderer
Die Mindestsicherung will die ÖVP künftig wieder österreichweit regeln. Das Wahlprogramm sieht dabei die Deckelung der „Mindestsicherung für eine Bedarfsgemeinschaft“ auf maximal 1.500 Euro vor. Es soll einen stärkeren Fokus auf Sachleistungen geben, insbesondere bei Wohnen, Energie, Lebensmitteln und Deutschkursen.
Ein weiterer Punkt im Wahlprogramm: Streichung von Sozialleistungen für Zuwanderer und Beschränkung der Zuwanderung ins Sozialsystem. „Unseren Wohlfahrtsstaat und unsere Systeme, die wir geschaffen haben, müssen wir langfristig absichern. Dazu müssen wir unser Sozialsystem vor weiterer Zuwanderung schützen“, so Kurz in dem Programm.
Steuerzahler „dürfen nicht die Dummen sein“
Für Asyl- bzw. subsidiär Schutzberechtigte soll es in den ersten fünf Jahren eine „Mindestsicherung light“ in Höhe von 560 Euro pro Einzelperson geben. Ein Übergang in die reguläre Mindestsicherung soll dann stattfinden, wenn es in den ersten fünf Jahren reguläre Vollzeitbeschäftigung für mindestens zwölf Monate gab.
Der Zugang zu Sozialleistungen in Österreich soll laut ÖVP grundsätzlich erst nach fünf Jahren Aufenthalt möglich sein. Die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder möchte die Volkspartei, wie bereits wiederholt gefordert, an das Lohnniveau des Wohnsitzes anpassen. „Viele beziehen Mindestsicherung und Sozialleistungen ohne bisher ins Sozialsystem eingezahlt zu haben. Jene, die arbeiten und ihre Steuern zahlen, dürfen nicht die Dummen sein“, heißt es in dem Papier.
„Arbeitszeit-Sparbuch“
In Sachen Arbeitszeitflexibilisierung schlägt Kurz „praktikablere Arbeitszeiten immer in Abstimmung auf betrieblicher Ebene“ vor. Zur flexibleren Gestaltung der Arbeitszeit soll ein Zeitwertkonto bzw. „Arbeitszeit-Sparbuch“ eingerichtet werden. Arbeitnehmer sollen selbst entscheiden können, welche Gehaltsbestandteile, Überstunden, Zulagen, Prämien oder Sonderzahlungen - für spätere Auszeiten ohne Abstriche - steuerbegünstigt auf ein Konto überwiesen werden. Bereits bekannt ist die von Kurz geplante Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungen von 13 auf zehn Prozent.
Gebührenerhöhungen bremsen
Sozialbetrug mittels E-Card will die ÖVP eindämmen, Sozialversicherungen sollen zusammengelegt und reduziert, die entsprechenden Leistungen harmonisiert werden. Darüber hinaus sieht das ÖVP-Programm auch eine Gebührenerhöhungsbremse für die nächste Legislaturperiode vor. Gebührenerhöhungen für öffentliche Dienstleistungen dürfen demnach nicht über der Inflationsrate liegen. Die entsprechende Regelung soll nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder gelten.
So will Kurz die Entlastungen finanzieren
Finanzieren will Kurz die geplanten Entlastungen durch Gegenmaßnahmen in drei Bereichen: vier bis fünf Milliarden Euro durch höheres Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, vier bis fünf Milliarden Euro durch eine Ausgabenbremse und vier Milliarden Euro durch Effizienzsteigerungen im System. Der Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem soll laut ÖVP etwa 1,5 Milliarden Euro bringen, bei der Sozialversicherung will man 0,7 Milliarden Euro einsparen, in der öffentlichen Verwaltung eine Milliarde Euro. Die Bekämpfung der Steuerflucht soll 0,8 Milliarden Euro bringen.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/ÖVP
Teil zwei und drei „demnächst“
Die Präsentation des zweiten ÖVP-Programmteils zu den Themen Wirtschaft und Bildung sowie des dritten Teils zu den Themen Europa, Sicherheit und Migration kündigte die ÖVP „demnächst im September“ an.
Bereits am Freitag publik wurde auch eine bisher unbekannte Personalentscheidung der ÖVP. Laut der Tageszeitung „Die Presse“ wurde Kurz’ langjähriger enger Mitarbeiter Stefan Steiner bereits im Juni Ko-Generalsekretär neben Elisabeth Köstinger. Offiziell teilte die ÖVP damals mit, dass Steiner in die „Leitung der Bundespartei“ einzieht und für programmatische Inhalte und Strategie zuständig sein werde. Dass Steiner damit auch Generalsekretär wird, wurde nicht erwähnt.
Kritik von SPÖ und FPÖ
Auf Kritik stieß das ÖVP-Wahlprogramm bei Noch-Koalitionspartner SPÖ und bei der FPÖ. SPÖ-Klubchef Andreas Schieder verwies darauf, dass die ÖVP zehn Milliarden Euro Kürzungen für den Mittelstand plane. Hinter Begriffen wie „Ausgabenbremse“ und „Systemeffizienz“ würden sich „massive Einschnitte“ für Arbeitnehmer, Pensionisten, im Gesundheitswesen und in der Pflege verstecken, so Schieder. Die Kosten des ÖVP-Programms würden „vollständig bei den geringeren Einkommen und beim Mittelstand geltend gemacht“, betonte der Klubobmann weiters.
Die FPÖ kritisierte die ÖVP-Pläne für die Mindestsicherung. Asyl sei ein Schutz auf Zeit und nicht das Recht auf Einwanderung in den Sozialstaat, hieß es in der Aussendung. Die von der ÖVP geplante „Mindestsicherung light“ stoppe den Zuzug ins Sozialsystem nicht, die FPÖ hingegen wolle dieses „Einfallstor“ in den Sozialstaat schließen, erklärte Generalsekretär Herbert Kickl.
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