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„Wann sind die weg?“

Die Debatte der beiden Spitzenkandidaten zur deutschen Bundestagswahl zeichnete sich durch Friedlichkeit aus - und durch eine auffällige Auslassung. Obwohl es über weite Strecken um Flucht und Migration ging, wurde die augenfällige Fremdenfeindlichkeit nicht thematisiert.

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Bei um die zehn Prozent liegt die offen rechtsnationalistische und ausländerfeindliche AfD in Deutschland genau drei Wochen vor der Wahl - und das, obwohl sie zwischenzeitlich sogar erwogen hatte, den Einsatz scharfer Munition gegen Flüchtlinge an den Grenzen zu fordern. Die nicht minder rechtsradikale NPD wiederum hat laut „Kölner Stadtanzeiger“ ein Plakat des ersten afrikanischstämmigen Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby überschmiert: „‚Deutsche‘ Volksvertreter nach heutigem SPD-Verständnis. Wie heißt es doch: ‚Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!‘“

Feuerwehr vor brennendem Haus in Bautzen  (Sachsen)

APA/dpa/Rico Loeb

Feuerwehr vor brennendem Haus in Sachsen. Das Gebäude war als Flüchtlingsunterkunft geplant.

Neben Diaby wurde auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, zum Opfer eines fremdenfeindlichen Ausritts: Der AfD-Spitzenmann Alexander Gauland will Özoguz in Anatolien „entsorgen“.

Tausende Angriffe gegen Flüchtlingsheime

Kanzlerin Merkel wird bei so gut wie jedem Wahlkampfauftritt von Anhängern der fremdenfeindlichen PEGIDA-Bewegung ausgepfiffen und ausgebuht. Zuletzt nahm sie sich ein Herz und reagierte darauf in einer Rede: „Manche glauben, dass man die Probleme der Menschen in Deutschland mit Schreien bewältigen und lösen kann. Ich glaube das nicht und gehe davon aus, die Mehrheit heute hier auf diesem Platz auch nicht.“

Und es bleibt nicht bei Rhetorik und Störaktionen im Wahlkampf. Alleine 2015 und 2016 wurden laut dem deutschen Bundeskriminalamt 2.019 Angriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte registriert - mit klar rechtsnationalistischem Hintergrund. Bilder wie jene, als Flüchtlinge samt ihren Kindern vor einer Unterkunft aus einem Bus aussteigen wollten und von einem wütenden, fremdenfeindliche Parolen grölenden Mob aufgehalten wurden, während die Polizei ein beherztes Eingreifen vermissen ließ, sorgten für zahlreiche Debatten.

Wahl „bereits entschieden“

ORF-Korrespondent Andreas Jölli betrachtet die deutsche Bundestagswahl bereits als entschieden. Ausschlaggebend dafür seien die ähnlichen Positionen von Schulz und Merkel.

Ein „Skeptiker“ unter den Moderatoren

Nicht so im TV-Duell am Sonntagabend. Hier ging es zwar auch in gut der Hälfte der Redezeit um die Themen Flucht, Migration und Integration, nicht jedoch um Fremdenfeindlichkeit - wenn auch der Tonfall, wie in aktuellen Kommentaren etwa des „Spiegel“ und des „Freitag“ kritisiert wird, fremdenfeindlich war. So brachte Sat.1-Moderator Claus Strunz, einer der vier Moderatoren des Gesprächs und ehemaliger „Bild“-Chefredakteur, die 226.000 Ausreisepflichtigen ins Rennen, die es abzuschieben gilt: „Wann sind die weg?“

Demonstranten mit einem Schild mit der Aufschrift "Merkel muss weg"

Reuters/Reinhard Krause

Demonstranten am Rande einer Wahlkampfveranstaltung Merkels Ende August in Quedlinburg

Und weiter: Wieso versage Deutschland beim Abschieben, wollte er wissen, „wo wir doch sonst so viel hinbekommen" - in Anspielung auf technische Errungenschaften und den wirtschaftlichen Aufschwung. Im „Freitag“ heißt es dazu in einem wenig geschackssicheren Vergleich: „Unwillkürlich musste man an Adolf Eichmann denken, den Transportmeister der Vernichtung, der es so perfekt hinbekam, Menschen zu deportieren.“

„Die fliegen raus aus Deutschland“

Das Thema war eine der wenigen Angriffsflächen, die sich für Schulz boten, um „klare Kante“ zu zeigen: „Die fliegen raus aus Deutschland“, kündigte er vollmundig in Sachen krimineller Flüchtlinge an für den Fall, dass er Kanzler würde. Die SPD hatte in der Arbeiterschaft zuetzt Stimmen an die AfD verloren und kann mit Sozialthemen angesichts eines Negativrekords bei Arbeitslosen offenbar kaum punkten.

Merkel hingegen gab sich besonnener - und übte sogar Selbstkritik. Man habe sich in der Vergangenheit nicht ausreichend um die Ausstattung der Flüchtlingslager in den Krisenregionen gekümmert. Was die Abschiebungen betrifft, verwies sie auf rechtsstaatliche Verfahren.

Unterschiede Deutschland - Österreich

Insgesamt unterscheidet sich der deutsche Wahlkampf fundamental vom österreichischen. Die Themen Flucht und Migration sind in Deutschland abgesehen von der TV-Debatte am Sonntag kaum Thema, und das, obwohl 2015 und 2016 laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 1,2 Millionen Asylanträge gestellt wurden. Zum Vergleich: In Österreich wurden im selben Zeitraum laut Innenministerium mehr als 130.000 Anträge gestellt. Deutschland hat 82.175.684 Einwohner, Österreich 8.772.865. Das heißt: Es handelt sich, gemessen an der Bevölkerungszahl, um eine ähnliche Größenordnung an Flüchtlingen in Deutschland und Österreich.

Auch der Stil des TV-Duells unterscheidet sich von den meisten vergleichbaren TV-Debatten in Österreich, man denke an die Konfrontationen bei der Präsidentschaftswahl 2016. Keine Untergriffe, keine persönlichen Angriffe, keine Aggressionen, keine aus dem Hut gezauberten Vorwürfe, auf die im Rahmen einer Livesendung nicht reagiert werden kann: „Duett statt Duell“ titelte der „Stern“, „Szenen einer alten Ehe“ die „Süddeutsche Zeitung“. Der Tenor: Es war fad. Man könnte auch sagen: Es ging um Inhalte und war sachlich.

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