Kanzlerin stellt sich Herausforderer
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Herausforderer Martin Schulz (SPD) haben sich am vergangenen Sonntag im einzigen TV-Duell vor der Bundestagswahl am 24. September einen Schlagabtausch geliefert. Schulz verwies zum Auftakt darauf, dass viele Menschen noch unentschlossen seien. Merkel sagte, ihre Partei stehe für Maß und Mitte. Es gehe ihr um nachhaltige Lösungen.
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Schulz relativierte seinen Vorwurf gegen Merkel, sie unternehme mit ihrer inhaltsarmen Politik einen „Anschlag auf die Demokratie“. Das sei eine „harte und zugespitzte Formulierung“ gewesen, die er so nicht noch einmal sagen würde, sagte er. Merkel widersprach der These, dass sie etwa mit ihrer Migrationspolitik rechts von der politischen Mitte zu viel Platz gelassen habe.
Schulz sieht Fehler bei Flüchtlingspolitik
Zum Auftakt des Duells warf Schulz der Kanzlerin Fehler in der Flüchtlingspolitik vor. Merkel hätte auf dem Höhepunkt der Krise im Sommer 2015 die europäischen Partner früher einbinden müssen, sagte Schulz. Nur weil die Kanzlerin das nicht getan habe, könnten sich heute etwa Ungarn und Polen bei der Aufnahme der Menschen aus der Verantwortung stehlen.

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Merkel und Schulz wurden 90 Minuten lang von vier Journalisten der Sender ARD, ZDF, RTL und Sat.1 befragt
Merkel konterte, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sei von Anfang an nicht bereit gewesen, in der Krise zusammenzuarbeiten. „Wir haben damals eine sehr dramatische Situation gehabt“, sagte Merkel. „Es gibt im Leben einer Bundeskanzlerin Momente, da müssen Sie entscheiden.“ Auf die Frage, ob sie die Wanderungsbewegungen aus Afrika und Asien nach Europa als Bedrohung für die deutsche Gesellschaft empfinde, sagte Merkel: „Nein, ich empfinde es nicht als Bedrohung. Aber ich empfinde es als eine sehr, sehr große Aufgabe.“
„Integration dauert länger“
Laut Schulz wird die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt länger dauern. Eine Million Menschen sei nicht in wenigen Jahren zu integrieren. Es sei eine schwierige Aufgabe. Deshalb sei die Bildung so wichtig. Auch Merkel sagte, dass die Integration trotz erheblicher Anstrengungen länger dauern werde. Inzwischen gingen aber auch wieder Flüchtlinge, etwa Iraker, zurück in ihre Heimat.
Mit Blick auf die bestehende Anschlagsgefahr äußerte die Kanzlerin Verständnis für Menschen, die dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ nicht zustimmen wollten. „Ich verstehe die Menschen, die da sehr skeptisch sind.“ Der Terror unter dem Namen des Islam löse das aus. „Die Geistlichkeit muss hier noch sehr viel stärker sagen, dass das mit dem Islam nichts zu tun hat“, sagt sie mit Blick auf islamische Geistliche in Deutschland. Ein Islam, der verfassungskonform sei, gehöre aber zu Deutschland.
Verhandlungsstopp mit Türkei?
Sowohl Merkel als auch Schulz erhoben schwere Vorwürfe gegen die türkische Regierung. Der SPD-Vorsitzende sagte, bei einem Wahlsieg würde er die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden. Das Verhalten von Präsident Recep Tayyip Erdogan lasse keine andere Wahl. „Hier sind alle roten Linien überschritten. Der Punkt ist beendet.“
Auch Merkel fand deutliche Worte: „Die Türkei entfernt sich in einem atemberaubenden Tempo von allen demokratischen Gepflogenheiten.“ Sie verwies aber darauf, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei von den EU-Staaten formell nur einstimmig beendet werden könnten. Die Gespräche fänden derzeit ohnehin nicht statt.

EBU
Merkel und Schulz erklärten ihre Positionen zu den Themen Flüchtlinge, Außenpolitik, Diesel und soziale Gerechtigkeit
Sie habe einen Beitritt der Türkei zur EU ohnehin nie gesehen, anders als die SPD, die lange Jahre dafür gewesen sei, sagte Merkel. Es sei jetzt erforderlich, wirtschaftlichen Druck auf die Türkei auszuüben. So gehörten Kredite - etwa Hermes-Bürgschaften und von der Weltbank - überprüft. Vorstellbar seien auch stärkere Reisewarnungen. „Das prüfen wir derzeit.“ Trotz all der Spannungen mit der Türkei verwies die Kanzlerin auf das bestehende Flüchtlingsabkommen des Landes mit der EU. „Ich halte es nach wie vor für absolut richtig.“ Auch Schulz sagte, er würde als Kanzler an dem Abkommen festhalten.
„Schwere Differenzen“ mit Trump
Deutliche Kritik übten Merkel und Schulz auch an US-Präsident Donald Trump. „Wir haben schwerwiegende Differenzen mit dem amerikanischen Präsidenten“, sagte Merkel. Als Beispiel für Konflikte mit der Regierung in Washington nannte die Kanzlerin die Klimafrage, aber auch die Äußerungen Trumps zu den rassistischen Ausschreitungen von Charlottesville: „Da stockt einem der Atem.“ Differenzen müssten daher deutlich angesprochen werden.
Schulz hält den US-Präsidenten nicht für fähig, den Konflikt mit Nordkorea zu entschärfen. Er glaube nicht, dass Trump eine Lösung finden könne. „Das Problem, das wir mit Trump haben, ist seine Unberechenbarkeit.“ Stattdessen solle man mit Kanada, Mexiko und auch mit Kräften in den USA wie US-Außenminister Rex Tillerson zusammenarbeiten. Merkel sagte, es müsse unter allen Umständen eine friedliche Lösung in der Korea-Krise geben. Daran werde sie arbeiten und versuchen, die US-Regierung davon zu überzeugen.
Merkel in Dieselkrise „stocksauer“
In der Dieselkrise warf Merkel der Autoindustrie Vertrauensbruch vor, die Umweltprobleme in Städten hätten damit aber nur indirekt zu tun. Selbst wenn die Autos genau wie angegeben Abgase ausstoßen würden, bliebe hier noch einiges zu tun. Klar sei aber: „Die Autoindustrie muss das, was sie angerichtet hat, auch wieder gutmachen“, sagte sie. „Ich bin stocksauer.“
Allerdings werde der Verbrennungsmotor noch Jahrzehnte gebraucht. „Es gibt zudem 800.000 Menschen, die haben kein Vertrauen gebrochen, die dürfen jetzt nicht die Dummen sein“, so Merkel mit Blick auf die Arbeitnehmer in dem Bereich. Schulz sagte, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, von denen unter anderem Handwerker getroffen würden, müssten vermieden werden.
Mängel bei sozialer Gerechtigkeit
Schulz machte trotz des hohen Wirtschaftswachstums und der niedrigen Arbeitslosigkeit bei der sozialen Gerechtigkeit Mängel aus. „Wir haben noch zwei Millionen Arbeitslose“, sagte er. Viele Menschen arbeiteten mit befristeten Verträgen oder in Teilzeit. Mieten könnten selbst von Doppelverdienern in Ballungsräumen kaum noch bezahlt werden. Das gute Wirtschaftswachstum biete die Möglichkeit, für diese Menschen mehr zu tun.
Merkel lehnte eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters auf 70 Jahre ab. „Ein ganz klares Nein“, sagte sie. „Es gibt viele Menschen, die können nicht länger arbeiten.“ Schon die Pension mit 67 sei für viele Berufsgruppen eine große Herausforderung, etwa für Pflegekräfte.
Schlussworte an die Zuschauer
Für die berühmten Schlussworte hatten die Kontrahenten eine Minute. In 60 Sekunden verdiene eine Krankenschwester weniger als 40 Cent, ein Manager aber 30 Euro, sagte Schulz. Viel sei in Bewegung. Deutschland brauche den Mut zum Aufbruch. Man müsse Zukunft gestalten und nicht Vergangenheit verwalten, ein Hieb gegen die Dauerkanzlerin. „Ich bitte Sie um Vertrauen“, so Schulz.
Merkel sagte, dass sie für und mit den Bürgern gemeinsam arbeiten wolle. Dann kam ihr seit der Flüchtlingskrise berühmter Wir-schaffen-das-Satz: „Ich glaube, dass wir das gemeinsam schaffen können.“ Und dann: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“
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