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Merkels Image, SPD-Signale und die AfD

In weniger als einem Monat wählt Deutschland einen neuen Bundestag. ORF.at befragte den deutschen Politikwissenschaftler Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen zu den bisherigen Phasen des Wahlkampfes und dazu, wie die SPD den „Schulz-Effekt“ selbst eingedämmt hat.

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ORF.at: Was macht den deutschen Wahlkampf bisher aus?

Christoph Bieber: Was soll man sagen? Und täglich grüßt Frau Merkel. Im Vergleich zu vergangenen Wahlkämpfen findet sich nicht viel Neues. Die Kanzlerin steht fast monolithisch in der Medienlandschaft, der Rest (der Parteien; Anm.) versucht, um sie herum Spielanteile und Aufmerksamkeit zu erhalten. Das gelingt eher schlecht als recht.

Durch den frühen Termin der TV-Konfrontation zwischen Merkel und Schulz (am kommenden Sonntag, Anm.) habe ich den Eindruck, als würde die Hauptwahlkampfzeit dieses Mal etwas früher starten. Wir sind bereits im Vorgeplänkel zu diesem Duell. Man bringt sich in Position, man testet das eine oder andere, das man im Duell einstreuen möchte.

ORF.at: Lässt sich der Wahlkampf bisher in Phasen einteilen?

Bieber: Im Jänner hat es mit dem „Schulz-Effekt“ begonnen, einhergehend mit einem Umfragehoch und Tausenden Neueintritten in die Partei. Es gab aber auch ähnliche Effekte bei anderen Parteien, die ebenfalls Mitgliederzuwächse verzeichnen konnten. Das war eine Reaktion auf die populistischen Gefahren in den USA oder in Frankreich, aber natürlich auch auf die Erfolge der AfD (die rechtspopulistische Alternative für Deutschland, Anm.).

Diese Vorlaufphase wurde in Deutschland in den Landtagswahlen zugespitzt. Die Wahlen in den kleineren Bundesländern Saarland und Schleswig-Holstein (in beiden hat die SPD ihre Regierungsbeteiligung verloren, Anm.) hatten bereits Signalwirkung. Spätestens mit der Wahl in Nordrhein-Westfalen, die immer eine wichtige Wegmarke vor der Bundestagswahl ist, ist klargeworden, dass für die SPD aus dem medialem „Schulz-Effekt“ nicht wirklich ein Wählerstimmeneffekt hervorgeht.

ORF.at: Warum ist der „Schulz-Effekt“ verpufft?

Bieber: Vielleicht ist der Effekt auch von der SPD selbst ein wenig eingedämmt worden. Schulz wurde bewusst aus dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen herausgehalten. Allerdings gibt es bei Wahlen zweiter Ordnung Dynamiken, die sich stärker an landespolitischen Themen oder dem landespolitischen Personal ausrichten. Damit der „Schulz-Effekt“ auf Bundesebene spürbar wird, brauchte es ein kämpferischeres Auftreten des Kandidaten. In der SPD-Kampagne wurde Schulz allerdings bisher noch nicht so offensiv ins Spiel gebracht, wie man das als Beobachter erwarten würde.

ORF.at: Warum ist auf der anderen Seite das Vertrauen der deutschen Wählerinnen und Wähler in Merkel so groß?

Bieber: Ich denke, dass gerade die Wahlen im europäischen und nicht europäischen Ausland dazu beigetragen haben, die Position oder zumindest das Image von Merkel zu stärken. Wenn selbst amerikanische Medien schreiben, dass sie die „Führerin der freien Welt“ ist, und insofern die zentrale weltpolitische Figur, dann geht das auch an der Wahrnehmung im eigenen Land nicht vorbei.

ORF.at: Wie viel Populismus erlauben die deutschen Wählerinnen und Wähler den Parteien?

Bieber: Diese Frage wird sich bei dieser Bundestagswahl vielleicht nicht endgültig klären lassen. Für die AfD ist die Wahl allerdings der Abschluss eines ersten Entwicklungszyklus: Vor vier Jahren ist die Partei nur denkbar knapp am Einzug in den Bundestag gescheitert, seither hat sie Erfolge bei Landtagswahlen gefeiert, mal zweistellig, mal einstellig, aber immer deutlich über der Fünfprozentmarke.

Was das nun im Gesamtbild, bei einer Wahl in allen Bundesländern, ergibt, wird ein Hinweis auf die Lage des Rechtspopulismus in Deutschland sein. Bei den letzten Landtagswahlen, die allesamt in westdeutschen Bundesländern stattgefunden haben, wo es die AfD schwerer hat als im Osten, sieht es so aus, als liefe eine Art „Eindämmungsprogramm“, was aber nicht dazu führen wird, die AfD unter fünf Prozent zu drücken.

Der andere von der AfD ausgelöste Effekt ist die Verschiebung bestimmter Perspektiven und Positionen bei den anderen Parteien. Sie reagieren programmatisch zwar selten explizit auf die AfD, aber manchmal liefern etwa CSU oder Linkspartei schon bemerkenswerte Identifikationsangebote. Außerdem geht eine mobilisierende Wirkung von der AfD aus, seit 2016 steigt die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen.

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