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Das vermeintliche Versteckspiel

Im Juli sind in Österreich 374.973 Personen arbeitslos gewesen - 2,4 Prozent weniger als im Juli 2016. Davon befanden sich gut 71.000 in Schulung, was wiederum ein sattes Plus von 6,3 Prozent bedeutet. Das ist zum Großteil auf über 28.000 Geflüchtete zurückzuführen, von denen viele Deutschkurse und andere Schulungen besuchen. Seit Monaten sinkt die Zahl jedoch: Im Februar waren es noch 29.146.

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Johann Gudenus von der Wiener FPÖ schickt via APA eine Presseaussendung aus: „Nur weil man sämtliche Arbeitslose in sämtliche, leider oft unsinnige Schulungen steckt, bleiben sie trotzdem Arbeitslose. Der Versuch, die Statistik dadurch zu schönen, ist somit neuerlich kläglich gescheitert und zudem zutiefst unseriös.“ Ähnlich Markus Ornig vom Wiener NEOS. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Wien sei nicht hoch, „allerdings werden auch immer mehr Menschen, die Arbeit suchen, in Schulungen versteckt. Die Zahl der Schulungsteilnehmerinnen und Schulungsteilnehmer ist um 12,8 Prozent gestiegen. Die Stadtregierung muss gegensteuern!“

So oder so ähnlich lautet die Kritik seit Jahrzehnten. Der Direktor des Arbeitsmarktservice (AMS), Johannes Kopf, antwortet im Gespräch mit ORF.at im Duktus genervter Routine: „Das ist ein böser Vorwurf. Nicht weil uns vorgeworfen wird, die Zahlen zu schönen. Sondern weil uns vorgeworfen wird, das so dumm zu tun. Als wäre ich mein dreijähriger Sohn, der sich mitten im Zimmer versteckt, und glaubt, nicht gesehen zu werden, wenn er sich die Augen zuhält.“ Schon seit Jahren werde die Gesamtzahl veröffentlicht - also Arbeitslose plus Schulungsteilnehmer, und an dieser Zahl werde Anstieg oder Absinken der Arbeitslosigkeit gemessen.

Grafik zu Flüchtlingen in Österreich

Grafik: ORF.at; Quelle: AMS

Arbeitslosenzahl = Arbeitslose + Schulungen

Sprich: In „der Arbeitslosenzahl“, die man jeden Monat in sämtlichen Medien nachlesen kann, sind die Schulungsteilnehmer enthalten - und nicht versteckt. Für Verwirrung sorgt, dass die Schulungsteilnehmer jedes Mal zusätzlich extra ausgewiesen werden. Das sei aber sinnvoll, so Kopf, weil sonst der Eindruck entstünde, in einzelnen Branchen gebe es viele verfügbare Arbeitnehmer, was dazu führe, dass dann von Unternehmen entsprechende Anfragen kämen. Aber Schulungsteilnehmer stehen im Gegensatz zu anderen Arbeitslosen für die Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.

Die Arbeitslosigkeit sei nach fünf Jahren Anstieg nun rückläufig - auf hohem Niveau, bei bestehenden Problemen, so Kopf. Was ist aber mit der stark gestiegenen Zahl der Schulungsteilnehmer, die von FPÖ und NEOS angesprochen wird? Einen ersten Blick liefern schon die nackten Daten: Rückläufig bei Inländern, dafür umso stärker steigend bei Ausländern. Kopf erklärt das mit Flüchtlingen, die erst nach und nach positive Asylbescheide erhielten wegen lange dauernder Verfahren.

Beim AMS gemeldete Flüchtlinge

Im Juli waren 20.668 Männer und 7.535 Frauen als anerkannte Flüchtlinge und Schutzberechtigte beim Arbeitsmarktservice (AMS) registriert. Davon kamen 12.665 aus Syrien, 5.349 aus Afghanistan, 3.210 aus Russland und 1.828 aus dem Irak, teile das AMS auf APA-Anfrage mit. Schutzberechtigte haben kein Asyl erhalten, aber ihr Leben oder ihre Gesundheit wird bedroht und daher dürfen sie vorerst in Österreich bleiben.

Deutschkurse als Statistiktreiber

Das heißt also, dass jene Flüchtlinge, die 2015 nach Österreich gekommen sind, zu einem guten Teil erst jetzt in den Arbeitsmarktdaten aufscheinen. Asylwerber dürfen ja außer in einzelnen, ausgewählten Minijobs nicht arbeiten. Damit sie nach Erhalt eines positiven Asylbescheides vom AMS vermittelt werden können, müssen sie einen bestimmten Level an Deutschkenntnissen besitzen - das wird überprüft. Um diesen Level zu erreichen, müssen die Flüchtlinge Deutschkurse besuchen. Und diese vom AMS durchgeführten bzw. vermittelten Deutschkurse sind es, die hauptsächlich für den Anstieg bei Schulungen verantwortlich zeichnen.

Dazu kommen Kurse, die Flüchtlinge fachlich weiterbilden oder aber dem Nachweis ihrer Ausbildung aus der Heimat dienen. Deutschkenntnisse und die Integration in den Arbeitsmarkt (statt eines vermeintlich glücklichen Daseins als Mindestsicherungsempfänger) sind das, was gemeinhin von Flüchtlingen erwartet wird. Die neuen Zahlen zeigen, dass genau das stattfindet.

AMS-Chef Kopf zu Arbeitslosigkeit

AMS-Chef Johannes Kopf erklärt, wie sich die Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten weiter entwickeln wird und welche Herausforderungen es gibt.

Immer mehr Flüchtlinge im Job

Kopf ließ anhand einer Kontrollgruppe untersuchen, wie viele der Flüchtlinge, die 2015 nach Österreich gekommen sind, bisher vom AMS vermittelt werden konnten, und kommt dabei auf rund ein Viertel. Ähnliche Zahlen kennt man auch aus Deutschland, sie gelten als Erfolg (gemessen am kurzen Zeitraum). Heißt das, dass nur 25 Prozent der Flüchtlinge von 2015 jetzt schon arbeiten? Nein. All jene, die sich selbst oder mit Hilfe von Flüchtlingshelfern einen Job gesucht haben und nie im AMS waren, sind nicht in Kopfs Kontrollgruppe.

In der Sozialversicherung sind keine Daten gespeichert, die über den Aufenthaltstitel (sprich: Flüchtling oder nicht) Aufschluss geben. Aber, so schreibt Kopf: „Ende Juni 2017 weist der Hauptverband der Sozialversicherungsträger 9.786 unselbstständig Beschäftigte aus Syrien und Afghanistan aus. Dies ist ein Plus von 3.453 Personen bzw. 54,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.“ Ein Datenquercheck habe ergeben, „dass rund 92 Prozent der dort gezählten aktuell Beschäftigten als Asylsuchende zu uns gekommen sind. Und somit ist es eine erfreuliche Tatsache, dass neben den Arbeitsaufnahmen mithilfe des AMS auch eine nicht unbeträchtliche Zahl anderer Menschen bereits einen Job in Österreich gefunden hat.“

AMS-Vorstand Johannes Kopf

AMS/Petra Spiola

AMS-Vorstand Johannes Kopf

Die „Explosion“ blieb aus

Die Flüchtlinge sind auch gleich die Erklärung für eine zweite Gruppe, bei denen die Zahl der Schulungsteilnehmer deutlich gestiegen ist: die Akademiker. Auch hier gehe der Anstieg auf Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte zurück, so Kopf. Abgesehen davon gebe es insgesamt in Österreich immer mehr Akademiker - und somit in absoluten Zahlen mehr arbeitslose Akademiker. Was nicht heiße, dass jetzt ein größerer Prozentsatz an Akademikern arbeitslos sei - sondern dass ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung einen akademischen Abschluss habe. Das wiederum gehe vor allem auf die Einführung des kürzeren Bachelor-Studiums zurück.

Zusammenfassend: Zu der von zahlreichen Österreichern befürchteten Explosion der Arbeitslosenzahlen wegen Flüchtlingen ist es definitiv nicht gekommen. Die Arbeitslosenzahl sinkt aufgrund des Konjunkturaufschwunges, obwohl zahlreiche Flüchtlinge Schulungen besuchen - Schulungen, in denen sie durch Deutschkurse und Qualifizierungsmaßnahmen für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden. Die Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge geht ebenfalls bereits zurück, wenn auch langsam.

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