Zoten und Zartes
Mit dem Vater hat er Neil Diamonds „Sweet Caroline“ gesungen, mit Gattin Ayda die Nancy-&-Frank-Sinatra-Ballade „Something Stupid“. Zwischendurch riss er Zoten und zeigte seinen Tigerslip - bei Robbie Williams passt das zusammen. Der Tausendsassa machte Samstagabend im fast vollen Wiener Happel-Stadion 50.000 Fans so selig, dass viele weitertanzten, als das Konzert längst aus war.
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Williams begann für einige früher und endete für andere später als vom Veranstalter vorgesehen. Nicht dass der Sänger nicht pünktlich gewesen wäre. Im Gegenteil - Vorband Erasure und Star Williams betraten die Bühne pünktlich wie ein Uhrwerk. Tatsächlich konnte man aber bereits am frühen Nachmittag im Wiener Westbahnhof Ströme partyfreudiger Damen beobachten, die die Züge aus Linz, Salzburg und sonst woher verließen, Prosecco-Flaschen in der Hand, und sich freuten, „endlich mal ohne Kinder“ unterwegs zu sein. Für sie hatte die Party schon mit der Zugfahrt begonnen.

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Williams im Duett mit seiner Ehefrau Ayda
Für viele endete das Konzert auch erst lang nachdem das gleißende Stadionlicht angegangen war. Vor Begeisterung tanzte das Publikum auf dem Rasen des Happel-Stadions weiter, als Williams die Bühne schon verlassen hatte.
Weibliche Warteschlange
Um jedoch in der Chronologie des Abends zu bleiben: Samstagabend, eine halbe Stunde vor Einlass, ließen sich in den Warteschlangen vor dem Ernst-Happel-Stadion statistische Erhebungen anstellen - lang genug waren sie ja. Williams’ Fans scheinen hierzulande vorwiegend weiblich und zwischen 30 und 45 Jahre alt zu sein. Denn wie jedes Klischee hat auch das Williams betreffende einen wahren Kern. Mit dem ehemaligen Sänger der Boygroup Take That sind auch seine Fans gealtert. Williams ist 43, und seine Anhängerinnen - die Take-That-Fans erster Stunde - entsprechend etwas jünger.
Zu diesem Konzert sind die meisten weiblichen Fans mit Freundinnen gekommen, nur wenige sind in Männerbegleitung. Und manche bewegen sich sogar mit der ganzen Familie, samt Kindern im Teenageralter, schrittchenweise auf den Eingang zu. Männergruppen sieht man kaum.
Erasure: Pailletten und perfektes Deutsch
In der endlos gewundenen Warteschlange nehmen die Fans in Kauf, die Vorband Erasure zu versäumen. Wegen der beiden queeren Synthie-Popper, die in den 90er Jahren als eine der erfolgreichsten Bands Englands galten, scheint hier kaum jemand gekommen zu sein.

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Fast 50.000 Fans ließen sich von Williams begeistern
Im beinahe ausverkauften Stadion macht Andy Bell, der höfliche Sänger von Erasure, auch keinen Hehl daraus, wer bei dieser Tour der Hauptakt ist: „Danke für Ihre Aufmerksamkeit, in einer halben Stunde hören Sie Robbie Williams!“, sagt er - überraschenderweise in gutem Deutsch - bevor er mit seinem Kollegen am Synthesizer, Vince Clarke, noch eine Nummer von 1988 anstimmt: „Oh baby please give a little respect to me“, heißt es im Refrain.
Dazu tänzelt Bell in hautengen, pailettenbesetzten Leggins über die Bühne, Brust raus, Bäuchlein auch raus - keine falsche Scham. Das ist charmant, wenn auch die Erasure-Songs alle irgendwie schlecht ausgesteuert, der Gesang zu schüchtern, die Bässe zu dominant wirken.
Befreiungspathos im Praterstadion
Auf den ersten Blick sind Erasure und Williams ein seltsames Gespann. Aber so weit liegen ihre Welten gar nicht auseinander: Der melancholische Sexappeal, mit dem Bell und Clarke Liebe und Leidenschaft zwischen Männern besingen („Love to Hate You“, „Chains of Love“), lebt von der Übertreibung: Kitsch, Pathos, gewagt hohe Töne, ein bisschen zu viel Glitter. Zu den perlenden Beats von Erasure tanzte sich in den 80er und 90er Jahren ein vorwiegend queeres Publikum in der Disko frei.

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Für viele Fans endete das Konzert auch erst lang nachdem das gleißende Stadionlicht ausgegangen war
Diesen Befreiungspathos kennt auch Williams, nur ist der Bühnenpomp, den er um seine Person aufzieht und der darauf abzielt, sich aus dem Klischee des Boy-Band-Bürscherls zu befreien, nicht mehr klar zuzuordnen. „Swings both ways“ hieß sein zehntes Studioalbum: Der Auftritt des Mannes in Rock und hautengem Tanktop ist nicht mehr eindeutig an ein weibliches, er könnte ebenso gut an ein männliches Publikum gerichtet sein.
Digitaler Striptease
Williams’ Performance lebt von der ironischen Übersteigerung. Die 20 Meter hohe Robbie-Williams-Silhouette, die neben der Bühne als Großleinwand fungiert, ist nur ihr deutlichster Auswuchs. Während des Bühnenumbaus entblättert auf dieser Videowall eine Animation Williams’ Körper. Ein Tattoo wird sichtbar, ein Muskel nach dem anderen, bis der Riesenoberkörper komplett ist und man erstes Kreischen im Publikum hört: der perfekte, digitale Striptease.
Dann erst marschiert der echte Williams wie ein Boxchampion ein, den Körper in eine Seidenrobe gehüllt. Das Publikum singt unterdessen mit Hilfe von Karaoke-Titeln seine Hymne mit: „God bless our Robbie, he is King of Song. He can swing like a bastard and rock all night Long.“
Dick aufgetragen, aber lustig
Zu dick aufgetragen? Auf jeden Fall. Wenn es nicht so lustig wäre. In der Hymne schlägt Robbie der Queen vor, ihn zum Ritter zu schlagen, und vergisst am Ende auch nicht, seine „pralle Hose“ („he is so well hung!“) zu erwähnen. Ständig kokettiert er mit seiner Rolle als Sexobjekt. Mit dem Lächeln eines Fauns lupft er seinen schwarzen Schottenrock mal vorn, mal hinten: „I am Robbie Fucking Williams. This is my ass, this is my cock, and tonight you are mine“, ruft er ins Publikum.
Diesen offensiven Umgang mit der eigenen „Sexyness“ ist man von heterosexuellen Männern auf der Bühne nicht gewohnt. Und dass er sich eher als hetero empfindet, stellt Williams kurz klar, bevor er kokett anfügt, dass er zu George Michael allerdings nicht Nein gesagt hätte. Dann covert er kraftvoll dessen Song „Freedom! ’90“.
Porno-Anekdoten und Kindergeschichten
Williams’ Setlist umfasst die großen Hits: „Let me entertain you“, „Feel“, „Rock DJ“ und „Angels“, die Abfolge ist minutiös geplant, auf ruhigere Momente wie das Duett mit Gattin Ayda (die freilich nur lächelt, nicht singt) poltert ein Rap. Und auch wenn Williams gegen Ende erschöpft wirkt, hält er durch und trifft, anders als angeblich bei vorangegangenen Konzerten, die Töne. Zwischendurch erzählt er Anekdoten und Zoten - wie die vom 43-Jährigen, der beim Pornoschauen nur noch denkt: „Dieses Bett schaut aber bequem aus.“ Der „Sexgott“ als alter Mann.
Williams gibt wechselweise den Bad Boy, lässt auch die Entziehungskuren nicht unerwähnt und erzählt dann wieder Niedliches aus dem Alltag mit seinen zwei Kindern. Den eigenen Vater beschreibt er als großes Vorbild, bevor er ihn zum Duett auf die Bühne holt. Dass Vater Williams die Familie früh verließ, erwähnt Robbie nicht. Während des gemeinsamen Singens auf dem Sofa („Sweet Caroline“ von Neil Diamond), hat man den Eindruck, dass der Sohn kurz die Contenance verliert und fürchtet, der alte Herr könnte ein paar nicht abgesprochene Worte an das Publikum richten.
So viel Spontaneität soll vor 50.000 Menschen dann vielleicht doch nicht sein. Doch alles geht gut, und Vater und Sohn umarmen sich. Genauso wie es viele Mütter mit ihren Töchtern im Publikum machen.
Links:
Maya McKechneay, für ORF.at