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Islamvorbehalte in Österreich am größten

Seit den 1960er Jahren wächst die muslimische Bevölkerung in Westeuropa. Der neue Religionsmonitor 2017 der deutschen Bertelsmann Stiftung mit dem Titel „Muslime in Europa - integriert, aber nicht akzeptiert?“ hat nun die Integration von Muslimen in fünf europäischen Ländern unter die Lupe genommen.

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Anders als im am Mittwoch präsentierten Integrationsbericht, in dem generell Migrantinnen und Migranten im Fokus standen, wird im Religionsmonitor die Lage der Muslime in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Großbritannien näher untersucht und miteinander verglichen: Mit dem Fazit, dass sich die Bedingungen für die Integration in den Vergleichsländern teils „erheblich unterscheiden“. Das gilt für die Arbeitsmarktsituation ebenso wie für das gesellschaftliche Klima.

Die gesellschaftliche Situation der Muslime in Österreich nennt die Studie „in besonderem Maße widersprüchlich“. Mit einer anerkannten einheitlichen muslimischen Vertretung genieße der Islam dieselben Rechte wie die christlichen Kirchen, was, wie auch in Großbritannien, zu einer sehr günstigen Beurteilung führe. Zugleich sei aber auch die Islamablehnung „vergleichsweise ausgeprägt“.

Über 10.000 Menschen befragt

Für den Religionsmonitor 2017 wurden Ende 2016 mehr als 10.000 Menschen aus den fünf Ländern repräsentativ befragt. Zuletzt wurde der Religionsmonitor 2007 und 2013 veröffentlicht.

Spracherwerb und Schuldauer

Ein untersuchter Aspekt war die sprachliche Integration. Während in Frankreich 57 Prozent der ersten Einwanderergeneration im Kindesalter die Landessprache lernt, sind es in Österreich nur 21 Prozent. Österreich liegt damit ex aequo mit Großbritannien an letzter Stelle. In der Nachfolgegeneration steigt der Wert dann aber auf 70 Prozent. Österreich bleibt damit im Ländervergleich allerdings weiter im unteren Drittel. Frankreich rangiert mit 93 Prozent ganz oben.

Grafik zeigt die sprachliche Integration von Muslimen

Grafik: ORF.at; Quelle: Religionsmonitor 2017/BertelsmannStiftung

Als weiterer Maßstab der Integration wurde die Dauer des Schulbesuchs analysiert, als Indikator der Abschluss der Schule vor dem 17. Geburtstag oder danach gewählt. Verglichen wurde hier nur in der Gruppe der Nachfolgegeneration. Der höchste Anteil von im Land geborenen Muslimen mit geringer Bildungsdauer findet sich in der Schweiz (74 Prozent), gefolgt mit großem Abstand von Österreich (39 Prozent). Besonders gering ist der Anteil mit nur elf Prozent in Frankreich. Hier spiele das erst spät differenzierende Schulsystem Frankreichs eine möglicherweise entscheidende Rolle, heißt es in der Studie. Das österreichische Schulsystem wird als „wenig integrationsförderlich“ eingestuft.

Unterschiedliche Schätzungen

In Österreich leben unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 500.000 und 700.000 Muslime - je nachdem, wie die Zahlen des Zensus aus dem Jahr 2001 fortgeschrieben und hochgerechnet werden. Rund 700.000 Muslime leben laut Schätzungen des Österreichischen Integrationsfonds in Österreich. Die vorliegende Bertelsmann-Studie geht indes von 500.000 Muslimen aus.

Stärker von Erwerbsleben ausgeschlossen

Bei der Öffnung des Arbeitsmarktes schneidet Deutschland mit Abstand am besten ab. Sie sei zentral für die Erwerbsbeteiligung und eine gelingende Integration, heißt es in der Studie. Die Erwerbsbeteiligung der Muslime ist vor allem in Frankreich und Österreich geringer, wo sowohl der Teilzeitanteil als auch der Anteil der Erwerbslosen schwach, aber signifikant höher ist als bei den Nichtmuslimen. Dieser Befund passt laut Studie zum allgemein und auch für Einwanderer besonders stark geschlossenen Arbeitsmarkt in Frankreich. Für Österreich biete sich diese Interpretation nicht in gleichem Umfang an, „allerdings ist auch hier der Arbeitsmarkt eher angespannt“, heißt es wörtlich.

Grafik zeigt den Erwerbsstatus in der Altersgruppe 16-65 Jahre

Grafik: ORF.at; Quelle: Religionsmonitor 2017/BertelsmannStiftung

In Deutschland etwa gibt es bei der Erwerbsbeteiligung keine wesentlichen Unterschiede mehr zur übrigen Bevölkerung. Insgesamt nehmen muslimische Frauen seltener am Erwerbsleben teil als nicht muslimische. Laut der Studie besteht zudem ein schwacher Zusammenhang zwischen muslimischer Religionszugehörigkeit und niedrigerem Haushaltseinkommen. In Frankreich, Österreich und der Schweiz wurde „sogar ein mittelstarker Zusammenhang“ festgestellt.

Starke Identifikation mit Aufnahmeland

Die Identifikation mit dem Aufnahmeland ist unter den Muslimen laut der Studie stark ausgeprägt. Die allermeisten fühlen sich dem Land, in dem sie leben, verbunden. Unterschiede zwischen den Ländern sind eher gering. In Österreich liegt der Anteil bei 88 Prozent. Das ist der knapp schlechteste Vergleichswert. In Großbritannien liegt der Wert bei 89 Prozent. Am höchsten ist die Verbundenheit mit 98 Prozent in der Schweiz.

Grafik zeigt die interreligiösen Freizeitkontakte der Muslime

Grafik: ORF.at; Quelle: Religionsmonitor 2017/BertelsmannStiftung

Eben hier - in der Schweiz - ist der Kontakt zur nicht muslimischen Bevölkerung für den allergrößten Teil der Muslime Realität. So geben 87 Prozent der in der Schweiz geborenen Muslime an, dass sie ihre Freizeit regelmäßig mit Nichtmuslimen verbringen. Am geringsten ist der Anteil der Muslime, die oft Freizeitkontakte zu Nichtmuslimen haben, in Österreich (62 Prozent). Freizeitkontakte gelten laut der Studie als „wesentliches Merkmal“ der Sozialintegration.

„Parallelgesellschaft“ ist die „Ausnahme“

Die viel zitierte muslimische „Parallelgesellschaft“ ist laut Studie „die Ausnahme und nicht die Regel“: Insgesamt als auch innerhalb der Länder pflegten ebenso viele muslimische Frauen wie Männer häufige interreligiöse Kontakte, besagt die Studie. Nur zwei Prozent der Muslime hätten insgesamt „gar keinen Kontakt“ zu Personen anderer Religionszugehörigkeit, in Österreich sind es drei Prozent.

Bemerkenswert ist, dass knapp zwei Drittel (63 Prozent) der Muslime laut Auswertung mindestens zur Hälfte andersreligiöse Personen in ihrem Freundeskreis haben. In keinem der fünf Länder liegt dieser Anteil unter 50 Prozent. In Österreich und Großbritannien sind „fremdreligiöse Freunde“ am seltensten (53 Prozent bzw. 50 Prozent).

28 Prozent wollen Muslime nicht als Nachbarn haben

In diesen beiden Ländern werden außerdem laut der Studie Muslime als Nachbarn am wenigsten gern gesehen: So gaben 28 Prozent der befragten Österreicher an, Muslime nicht gerne als Nachbarn haben zu wollen. In Großbritannien waren es 21 Prozent, in Deutschland 19, in der Schweiz 17 und in Frankreich 14 Prozent.

Allerdings sei ein Zusammenhang zur Ablehnung von Muslimen hier nicht ohne Weiteres herzustellen, heißt es in der Studie weiter. Auch seien die Ergebnisse nicht gleichbedeutend mit geschlossenen muslimischen Milieus, da in Österreich und in Großbritannien der Anteil fremdreligiöser Freunde mit der Nachfolgegeneration zunehme. Hier finde also ein Aufholprozess statt, während sich der Anteil in Deutschland und der Schweiz auf hohem Niveau im Generationenwandel kaum noch verändere.

Diskriminierungsempfinden hoch

Zwischen der Wahrnehmung von Muslimen und deren Diskriminierungsempfinden sieht die Studie einen Zusammenhang. Es sei davon auszugehen, dass eine empfundene Diskriminierung den Sozialintegrationsprozess beeinflusst, heißt es. Insgesamt geben 56 Prozent der befragten Muslime an, in den vergangenen zwölf Monaten niemals Diskriminierung erfahren zu haben. Die Abweichungen zwischen den Ländern sind allerdings zum Teil „eklatant“.

Grafik zeigt den Anteil an Muslimen ohne Diskriminierungserfahrungen

Grafik: ORF.at; Quelle: Religionsmonitor 2017/BertelsmannStiftung

So berichten in Österreich mit 32 Prozent nur halb so viele Befragte, niemals Diskriminierung erfahren zu haben wie in der Schweiz oder in Deutschland. Die Studienautoren legen hier einen „Zusammenhang mit der vergleichsweise ausgeprägten Islamablehnung in Österreich“ nahe. Die Unterschiede nach Einwanderergenerationen sind demgegenüber gering.

Der Zentralitätsindex

Verschiedene Aspekte von Religiosität ergeben zusammen den Zentralitätsindex.

Muslime in GB am religiösesten

Insgesamt ist die Religiosität der Muslime - nach einem ermittelten „Zentralitätsindex“ - eher hoch: mit einem Mittelwert von 3,5 gegenüber 3,1 in der christlichen sowie 2,7 in der gesamten nicht muslimischen Bevölkerung. Im Ländervergleich am religiösesten sind der Studie zufolge die Muslime in Großbritannien. Der Anteil der „hochreligiösen“ Muslime beträgt hier 64 Prozent (Mittelwert vier). Es folgen die Muslime in Österreich (Hochreligiöse 42 Prozent, Mittelwert 3,6). Relativ wenig religiös sind die Muslime in der Schweiz, wo der Anteil Hochreligiöser bei 26 Prozent (Mittelwert 3,2) liegt.

Grafik zeigt die Religiosität von Muslimen und Nichtmuslimen

Grafik: ORF.at; Quelle: Religionsmonitor 2017/BertelsmannStiftung

Der Islam in Österreich ist, wie in den anderen untersuchten Ländern, weitgehend sunnitisch geprägt. 64 Prozent sind laut der Bertelsmann-Studie Sunniten, über 18 Prozent Aleviten. 74 Prozent der Muslime in Österreich stammen aus der Türkei, 24 Prozent aus Südosteuropa.

Religion entscheidet nicht über Integrationserfolg

Der internationale Vergleich zeige, dass „nicht Religionszugehörigkeit über die Erfolgschancen von Integration entscheidet, sondern staatliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen“, resümiert Studienautor Stephan Vopel. Strukturelle Hürden gebe es etwa im Bildungssektor und auf dem Arbeitsmarkt. Insgesamt läge in den untersuchten Ländern die Herausforderung in der „Vereinbarkeit von Diversität und Chancengerechtigkeit“, schlussfolgern die Studienautoren. Ein gegenüber Muslimen offenes Klima fördere die Sozialkontakte.

Die Studie zeigt zudem: Muslime holen in den untersuchten Ländern bei Spracherwerb und Bildung auf. Auch die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt besser als früher. Die Integration schreite in allen Ländern voran, so auch Studienautorin Yasemin El Menoir im Ö1-Interview - allerdings eben mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Belastung des vergleichsweise kleinen Österreich durch den starken Anstieg der Asylwerber in den vergangenen Jahren dürfte Spannungen im Zusammenleben jedenfalls mitverursacht haben - Audio dazu in oe1.ORF.at.

Beitrag zur Versachlichung

Die Studienautoren wollen mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Debatte leisten. Die Bedeutung der Frage der Sozialintegration ergebe sich einerseits daraus, dass die Integration der Muslime in den europäischen Gesellschaften beständig problematisiert werde und andererseits durch die Fluchtmigration seit Mitte der 2010er Jahre die muslimische Bevölkerung in Europa weiter angewachsen sei.

„Diese Entwicklungen haben die europäischen Muslime zur Zielscheibe rechtspopulistischer Bewegungen gemacht, die in Zweifel ziehen, dass muslimische Religiosität mit dem Leben in einer westlichen Demokratie und Leistungsgesellschaft vereinbar ist, und die dabei mitunter auch rassistisch argumentieren“, schreiben die Studienautoren.

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