30-mal „Der neue Heimatfilm“
Am Mittwochabend beginnt in Freistadt in Oberösterreich die 30. Ausgabe des Filmfestivals „Der neue Heimatfilm“. Fünf Tage lang gibt es in der kleinen Mühlviertler Stadt heimisches und internationales Kino in einer Vielfalt zu sehen, die sonst nur Großstädten vorbehalten ist.
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Die Vergangenheit liegt auf dem Berg, die Gegenwart im Tal, und die Zukunft weit weg: Heimat ist zugleich bedrückend und ein notwendiges Werkzeug zur Selbstversicherung in dem spröden Südtirol-Drama „Die Einsiedler“, das im Spielfilmwettbewerb in Freistadt läuft.
In Ronny Trockers Film spielt Ingrid Burkhard eine sture Altbäuerin und Andreas Lust ihren einsilbigen Sohn, der sich nach einem Unglück wider Willen um seine Eltern kümmern muss. Die Weltpremiere hat der Film schon vor einem Jahr in Venedig gefeiert, nun wird er beim Festival „Der neue Heimatfilm“ unter einem neuen Aspekt gezeigt: Was der Begriff Heimat bedeutet, untersucht das Festivalprogramm aus immer wieder wechselnden Perspektiven.
Trockers Film steht exemplarisch dafür, wie Motive des Heimatfilms - der pittoreske Dreck am abgelegenen Bergbauernhof, die Arbeit mit den Tieren, die verbissene Härte der Alten, das Fernweh der Jungen - in die Gegenwart übertragen auf einmal verstörende Macht entwickeln. Es ist ein Abgesang auf eine gestrige Welt, und am Ende ist gar nicht so sicher, ob es nicht auch gut ist, wenn manches vorbei ist. Denn die Welt und der Heimatbegriff sind ununterbrochen im Wandel, wie beim Festival in Freistadt deutlich wird.
Heimat „ein bisserl anders“
Seit 1988 findet das Festival jeden Sommer statt, auf vier Leinwänden in Freistadt und - dem Interesse für das Leben außerhalb der Ballungszentren entsprechend - in insgesamt sieben umliegenden Partnerspielstätten, darunter dem eigens wachgeküssten Adlerkino Haslach, dem Stadtkino Grein, dem Kinotreff Leone in Bad Leonfelden und dem Kino im südböhmischen Kaplice. Diese Heimat, die hier gesucht und gefunden wird, ist vielfältig: „Da haben wir Heimat ein bisserl anders definiert, als man sich das beim traditionellen Heimatfilm vorstellt“, sagte Festivalinitiator Wolfgang Steininger.
Rund 60 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme, vom poetischen Essay über Thriller bis hin zur Komödie, sind von Mittwoch bis Sonntag zu sehen. Es geht um Herkunft und Identität, aber auch um das Ankommen an einem neuen Ort, um das Nicht-willkommen-Sein, um die Gefahr, die von einem plötzlich fremd gewordenen Land ausgehen kann, ums Sich-zu-Hause-Fühlen und die Notwendigkeit des Weggehens, um Familie und Vertrautheit und Fremdheit.
Blut, Boden, Fremdheit
Acht Spielfilme und sieben Dokumentarfilme laufen jeweils im Wettbewerb. Es sind Filme, die großteils noch keinen fixen Kinostart haben, darunter Ferenc Töröks Schwarzweiß-Western „1945“, in dem zwei orthodoxe Juden im August 1945 in einem ungarischen Dorf auftauchen, das französische Schlachthaus-Stillleben „Gorge Coeur Ventre“ über einen, der Nacht für Nacht Tiere zur Schlachtbank führt, und Soleen Yusefs irakisch-deutsches Spielfilmdebüt „Haus ohne Dach“ über drei kurdische junge Leute, die in Deutschland aufgewachsen sind, und zum Begräbnis ihrer Mutter ihr altes, unbekanntes Herkunftsland besuchen. „In gleich mehreren Produktionen wird die, nicht unbedingt freiwillige, Auseinandersetzung einer jungen Generation mit der Situation in ihrer (ehemaligen) Heimat thematisiert“, heißt es im Katalog.

Festival Neuer Heimatfilm
Nachts im Schlachthaus: Bild aus dem Film „Gorge Coeur Ventre“
Im weiteren Programm sind eine Handvoll demnächst anlaufender Filme zu sehen: In der anarchischen UNO-Komödie „Baumschlager“ (Regie: Harald Sicheritz Start: 22.9.), der ersten österreichisch-israelischen Kinospielfilmkooperation überhaupt, spielt Kabarettstar Thomas Stipsits einen Blauhelm in fremden Betten. Und „Die beste aller Welten“ (Start: 8.9.) von Adrian Goiginger handelt von einer Salzburger Scherbenviertelkindheit in der Obhut einer liebevollen, wenn auch drogensüchtigen Mutter, gespielt von Verena Altenberger.
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Posted by Filmcasino on Mittwoch, 19. Juli 2017
Immer wieder ist das Fremdsein und Unerwünschtsein ein Thema, etwa in der Doku „Il Ricordo del Fiume“, einem der vielen italienischen Beiträge. Der Film der Turiner Brüder Gianluca und Massimiliano De Serio dokumentiert die letzten Monate vor dem Abriss einer Barackenstadt am Rand von Turin, deren Bewohner sich entscheiden müssen zwischen einem Durchwurschteln in Mühsal - oder vielleicht doch einer Rückkehr in ihre Herkunftsländer.
Grenzen, Gülle, Krieg
Im Dokumentarfilmprogramm läuft „Äpfel und Birnen“, der vom traditionellen Schnapsbrennen im Pinzgau berichtet, neben „Cahier Africain“ über die Überlebenden systematischer Gewalt im Kongo. In „Jacopo - Sterbliche und unsterbliche Überreste“ von Angela Huemer geht es um die Erinnerung an einen 1945 im KZ Gusen ermordeten italienischen jungen Mann, in „Quellmalz“ um die Südtirol-Recherchen eines SS-Musikwissenschaftlers. Heimatfilm kann vieles sein, es geht um Grenzen, Gülle und Krieg, um Ideen, Hoffnung und um das große Ganze.
Die diesjährige Werkschau ist dem Freistädter Sounddesigner Bernhard Bamberger gewidmet, dessen Arbeit unter anderem in Filmen von Götz Spielmann zu hören ist, etwa „Revanche“ (2007) und „Oktober November“ (2013). Livekonzerte, Publikumsgespräche und eine Ausstellung von Bildern des Fotografen Karl Katzinger unter dem Titel „Grenzenlose Landschaftsverbesserung“ zur Veränderung der Mühlviertler Landschaft ergänzen das Programm. Das Festival läuft von 23. bis 27. August 2017.
Link:
Der neue Heimatfilm
Magdalena Miedl, für ORF.at