„Seit zehn Jahren im Krisenmodus“
Eine Kleinstadt am Rand des Schwarzwalds im deutschen Bundesland Baden-Württemberg kommt seit fast zehn Jahren buchstäblich nicht mehr zur Ruhe. Ursache ist eine missglückte Geothermiebohrung, die zur Folge hatte, dass sich der Boden kontinuierlich hebt. Nach einem langen Rechtsstreit wird saniert, mindestens 260 Gebäude sind beschädigt.
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Die Causa beschäftigt seit Jahren Behörden und Medien. Angefangen hatte alles mit einem Bohrversuch hinter dem Rathaus. Geplant war, das Amtsgebäude mit umweltfreundlicher Erdwärme zu versorgen. Was dann passierte, erklärt die Stadt auf ihrer Website unter dem Aufruf „Staufen darf nicht zerbrechen“: Es seien damals Bohrungen bis in 140 Meter Tiefe durchgeführt worden, im Herbst 2007 dann erste Risse am Rathaus aufgetreten. Die Ursache: Grundwasser sei mit starkem Druck in eine kalkhaltige Schicht eingetreten und habe „eine fatale chemische Reaktion ausgelöst“.
Schäden „unabsehbar“
Die gipshaltige Erdschicht hatte zu quellen und der Boden sich zu heben begonnen, Gebäude bekamen reihenweise Risse, „die immer weiter und (…) zahlreicher“ klafften. Die Stadt spricht von einem Schaden, der „unabsehbar“ sei. Die Kosten lassen sich kaum abschätzen. Spendenkonten wurden eingerichtet, das Land musste aushelfen, 2010 wurde eine Stiftung zur Erhaltung der Altstadt gegründet.

APA/AFP/Sebastien Bozon
Risse durch das Mauerwerk eines Hauses
Mit den Verantwortlichen für die Bohrung einigte sich die Stadt erst im Juli auf einen Vergleich über knapp 1,18 Mio. Euro. Der größte Teil davon entfiel laut deutschen Medienberichten auf eines von drei beteiligten Bohrunternehmen, das seinem Sitz in Österreich hat. Damit wollte man langwierige juristische Auseinandersetzungen vermeiden, hieß es. Die Altstadt steht unter Denkmalschutz.
Einzelne Häuser „förmlich zerrissen“
Nun soll verstärkt saniert werden, mit Schäden an Gebäuden werden die Bewohner der Stadt mit rund 8.100 Einwohnern allerdings noch länger leben müssen. „Wir sind seit zehn Jahren im Krisenmodus. Es ist eine Katastrophe in Zeitlupe“, wurde der Bürgermeister von Staufen, Michael Benitz, kürzlich zitiert.
Nachdem sich der Untergrund hebt und verschiebt, habe sich die Stadt bis zu 62 Zentimeter nach oben und 45 Zentimeter seitlich bewegt - was Probleme mit der Statik verursacht. „Es gibt Häuser, die werden auseinandergezogen und förmlich zerrissen“, so Benitz. Die Folge seien Risse an und in den Gebäuden sowie die Gefahr, dass Häuser im äußersten Fall einstürzten.
Grundwasser muss ständig abgepumpt werden
Mindestens 260 Gebäude, in manchen Schätzungen ist von über 270 die Rede, seien beschädigt, zwei Häuser mussten abgerissen werden. Der Schaden wird auf mehr als 50 Mio. Euro geschätzt. Genau beziffern lässt er sich nicht. Es kommen ständig neue Schäden hinzu. Auf Klagen und große Prozesse haben die betroffenen Hauseigentümer laut deutschen Medienberichten bisher weitgehend verzichtet. Es wurde eine Schlichtungsstelle eingerichtet. Vor der gab es bereits mehrere hundert Verfahren.
Technisch versucht man, dem Problem mit dem ständigen Abpumpen von Grundwasser beizukommen. So soll die Gipsbildung im Untergrund verringert werden. Anfangs habe sich der Boden noch um zwei Zentimeter pro Monat gehoben, zuletzt nur noch um 1,8 Millimeter, so Bürgermeister Benitz. Wie lange Wasser abgepumpt werden muss, könne aber niemand sagen. „Ich gehe aber davon aus, dass wir mit dem Problem noch viele Jahre, vermutlich eher Jahrzehnte, zu kämpfen haben werden.“
Erdbeben in der Schweiz
Laut dem Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) mit Sitz in Freiburg ist Staufen mit dem Problem nicht allein. Schäden nach Bohrungen gibt es auch in anderen Gemeinden. Für Schlagzeilen sorgte ein Fall im Schweizer Basel. Dort löste eine Bohrung Ende 2006 ein Erdbeben der Stärke 3,4 aus, später folgten Nachbeben.
Gegen die verantwortliche Bohrfirma kam es zum Prozess, die Basler Stadtregierung stoppte das Projekt. Das Bohrunternehmen musste Schadenersatz zahlen. Ausgelöst hatte das Beben laut geologischem Gutachten das Einpressen von Wasser in eine mehrere Kilometer tiefe Bohrung. Das Gestein sollte so stärker zerklüftet werden, um später Wasser zur Wärmegewinnung hindurchleiten zu können.
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