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„Technische Störung“ mit Folgen

Ein Regionalzug benötigt für die Strecke zwischen Baden-Baden und Rastatt im süddeutschen Bundesland Baden-Württemberg rund fünf Minuten - für Hunderte Personen- und Güterzüge, die in der Regel hier täglich verkehren, sind die beiden Städte nur Durchfahrtsstationen: Derzeit steht allerdings alles still, und der Grund dafür findet sich ausgerechnet in einem Vorzeigeprojekt, das die bisherige Rheintalstrecke künftig entlasten soll.

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Konkret ist vor mittlerweile einer Woche bei einer Schlüsselstelle des seit Mai 2016 im Bau befindlichen Rastatt-Tunnels etwas gänzlich schiefgegangen, und das Problem wiegt weit schwerer, als die von der Deutschen Bahn (DB) zunächst in den Raum gestellten „technischen Störungen“ vermuten lassen. Nach Angaben der Stadtverwaltung von Baden-Baden hat ein Erdrutsch in einer der beiden Tunnelröhren zu einer Absenkung der nur wenige Meter darüber liegenden Zugsstrecke geführt. Was folgte, war ein Komplettstopp aller Züge - zudem wurden mehrere nahe gelegene Wohnhäuser vorsorglich evakuiert.

Nach Angaben der DB bleibt die rund 20 Kilometer lange Strecke mindestens bis 26. August gesperrt. Ob die Lücke auf der für den europäischen Fernverkehr zentralen Nord-Süd-Route bis dahin wieder geschlossen werden kann, bleibt aber offen. Wie der „Spiegel“ am Freitag mitteilte, zeichne sich vielmehr ab, dass die wichtige Nord-Süd-Verbindung bis zu vier Wochen lang und somit bis Mitte September nicht befahrbar sein könnte.

Beschädigte Gleise der Deutschen Bahn werden repariert

picturedesk.com/dpa/Uli Deck

Die Gleise sind um bis zu einen halben Meter abgesackt

DB muss Tunnelbohrmaschine aufgeben

Die DB steht nun vor der Herausforderung, die seit 12. August gesperrte Zugsstrecke so schnell wie möglich zu reparieren - zuvor muss allerdings die Baustelle stabilisiert werden, und hier sind die Schäden offenbar weit größer als ursprünglich vermutet. Angesichts neuer Erdbewegungen am Dienstag wird die betroffene Tunnelröhre nun komplett mit Beton ausgefüllt, wie das Nachrichtenportal HNA mit Verweis auf den DB-Zuständigen Sven Hantel berichtete. Mit eingegossen wird Medienberichten zufolge dabei auch eine der rund 40 Millionen Euro teuren Tunnelbohrmaschinen, da es nicht möglich sei, diese zuvor zu bergen.

Ob und wann die Baustelle wieder in Betrieb genommen werden kann, steht damit in den Sternen. Nach Angaben der Deutschen Bahn könne der Tunnel aus Sicherheitsgründen nach wie vor nicht betreten werden, „alle Maßnahmen“ können aus diesem Grund „nur von außen vorgenommen werden“. Als prioritär gelten bis auf Weiteres aber ohnehin gänzlich andere Fragen. Während für den Personenverkehr das anfängliche Chaos mittels Bussen bereits abgefedert werden konnte, sei die Lage im Güterverkehr weit schwieriger, gestand Hantel auch gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) ein.

Schweizer Hohn für deutsche Tunnelbauer

Betroffen seien bis zu 170 Güterzüge pro Tag, die sich zuletzt angesichts der schwierigen Suche nach Ausweichrouten in Deutschland, Frankreich und der Schweiz „überall auf der Strecke zwischen Rotterdam bis Genua“ stauten. Betroffen ist vor allem die nahe gelegene Schweiz, wo etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) von einem „Desaster für den Güterverkehr und die Neubaustrecke im deutschen Rheintal“ spricht. Geht es nach der „Basler Zeitung“ („BAZ“) wurde „mit dem Versagen deutscher Tunnelbauer“ nichts anderes als eine Hauptarterie der europäischen Gütertransportstrecken unterbrochen.

Probleme gebe es nicht nur bei der Suche nach Alternativstrecken - es stünden auch nicht genügend Lokomotiven und Lokführer zur Verfügung, wie die „BAZ“ angesichts der „zunehmend desillusionierten“ Gütertransportabteilung der Schweizer Bahn (SBB Cargo) berichtete. Von „gravierenden Folgen für Kunden“ sprach in der Zeitung zudem das auf der Strecke mit Dutzenden Zügen aktive Schweizer Logistik- und Transportunternehmen Hupac.

Die Verlagerung von Güterzügen auf Alternativrouten hat nach Angaben des Südwestfunks (SWR) auch Auswirkungen auf den Personenverkehr. Auf der Neckar-Alb-Bahn müssen Personenzüge gestrichen werden, um die zusätzlichen Gütertransporte abzuwickeln. Viele Kommunen „erwarten Lärm und ausgedünnte Fahrpläne“, wie die „Stuttgarter Zeitung“ mit Verweis auf einen zur Klärung der weiteren Schritte einberufenen Runden Tisch berichtete.

Schadenersatzfrage noch offen

Neben der Schweiz seien „viele Branchen und Abnehmer in Italien, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, in Skandinavien und sogar in Polen und Russland betroffen“. Hupac rechnet laut „BAZ“ zudem mit einer weiteren Verschärfung der Logistikprobleme mit gestrandeten und verspäteten Gütern, da in Italien derzeit viele Firmen wegen der in dieser Woche auslaufenden Hauptferienzeit noch geschlossen haben.

Wie befürchtet hat sich ein Teil der Gütertransporte zudem bereits auf die Straßen verlagert. Für die „eng getaktete“ Logistikbranche bedeute das laut SWR nicht nur empfindliche Verzögerungen, sondern auch deutlich höhere Kosten. Vonseiten der betroffenen Logistikunternehmen steht laut „BAZ“ aber auch die noch zu klärende Frage nach Schadenersatz im Raum - Priorität sei aber zunächst, „die Normalität der Infrastruktur so schnell wie möglich wiederherzustellen“.

„Halbjahrhundertprojekt“

Spätestens sobald die Strecke wieder befahrbar ist, dürfte sich laut „NZZ“ auch die Frage stellen, wie es mit dem ohnehin in Verzug befindlichen Ausbau des deutschen Teils des bereits 1996 aus der Taufe gehobenen Rotterdam-Genua-Projekts weitergeht. Bereits im Vorjahr hatte die „Frankfurter Rundschau“ dazu festgestellt, dass das „Halbjahrhundertprojekt“ auch deshalb stocke, „weil Deutschland auf der Bremse steht“. Erst im Jänner dieses Jahres erfolgte etwa der Spatenstich für die Ausbaustrecke zwischen den norddeutschen Städten Emmerich und Oberhausen.

Die Zeitung erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass der rund 1.200 Kilometer lange Zugskorridor auf niederländischer Seite seit 2007 fertiggestellt ist und in der Schweiz nach dem Gotthard-Tunnel bis 2020 auch die Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels ansteht. Mit dem 4,2 Kilometer langen Rastatt-Tunnel sollte dann 2022 ein weiterer „Meilenstein“ eines Großprojekts in Betrieb gehen, das damit allerdings noch lange nicht vollständig umgesetzt ist: Bisherigen Plänen zufolge ist die Fertigstellung aller Teilabschnitte vielmehr erst bis 2042 vorgesehen.

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