„Klare sexistische Tendenz“
Eine deutsche Studie ist der Frage nachgegangen, welche Rollenbilder in Musikvideos vermittelt werden und welchen Einfluss das Gezeigte auf Jugendliche hat. Erste Ergebnisse zeigen: Während sich Männer als Helden durch die Videowelt kämpfen, werden Frauen übersexualisiert dargestellt und bleiben in ihren Rollen meist passiv.
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Auszüge aus der Untersuchung des in München ansässigen Internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) wurden am Donnerstag bei einem Panel auf dem c/o pop Festival in Köln präsentiert. Studienleiterin Maya Götz und ihr Team nahmen die Top-100-Chartvideos in Deutschland und den USA der Jahre 2015 und 2016 unter die Lupe, zudem wurden 748 Jugendliche im Alter von 13 bis 19 Jahren qualitativ befragt, welchen Einfluss die in den Videos vorgezeigten Rollenbilder auf das eigene Leben haben.
Die Macht der Männer
Götz’ Analyse macht deutlich, dass Frauen schon quantitativ in Musikvideos unterrepräsentiert sind. Auf eine Sängerin kommen ihr zufolge zwei Sänger. Frauen werden zwar oft besungen, doch wenn sie vorkommen, dann meist dem Mann untergeordnet. „Sie ist seine Fantasie und wird als solche präsentiert“, sagte die Wissenschaftlerin. In jedem vierten Video fokussiert die Kamera auf den Po der Frau; in jedem dritten auf die Brust. Der „Bruststreichler“ - gemeint ist das Entlangfahren der Hände vom Brustbereich über die Taille zur Hüfte - ist ebenfalls in jedem dritten Clip zu sehen. Und in jedem zweiten Video wird nur der Körper der Frau, nicht aber ihr Kopf ins Bild genommen.
Schwerpunkt Gender Equality
Das cologne on pop Festival, besser bekannt als c/o pop, findet heuer zum 14. Mal statt. 155 Künstlerinnen und Künstler treten in 33 Spielstätten im gesamten Kölner Stadtgebiet auf. Begleitend zur Musik- gibt es auch eine Diskussionsschiene. Einer der Schwerpunkte der zweitägigen c/o pop Convention war in diesem Jahr dem Thema Gender Equality im Musikbusiness gewidmet.
Große Unterschiede gibt es auch, was die Darstellung von Macht betrifft: Während Männer in Musikvideos in verschiedenen Szenarien als Retter dargestellt würden - als Retter der Welt, von Tieren, anderer Männer und vieler, vieler Frauen -, liege die Macht der Frauen in den Videos meist darin, den Mann zu erregen oder - Höchstmaß - ihn wegzustoßen.
Besonders stark zeichne sich die Übersexualisierung in Hip-Hop-Videos ab, so Götz. Im Ländervergleich seien US-Produktionen deutlich sexistischer als jene aus Deutschland. Entscheidend ist laut Götz aber, dass sich insgesamt eine „klare sexistische Tendenz“ zeigt. „Der Markt ist sexistisch dominiert“, so die Forscherin. Zwar gebe es Ausnahmen, diese seien aber so gering, dass sie sich kaum in Prozenten messen ließen.
Furtwängler: „Glaube an die Macht der Bilder“
Auftrag- und Ideengeberin der Studie ist die MaLisa-Stiftung der deutschen Schauspielerin Maria Furtwängler („Tatort“) und ihrer Tochter Lisa, die als Musikerin in Los Angeles lebt. Bereits im Juli hatte eine von der Stiftung beauftragte Forschungsarbeit der Universität Rostock über Darstellung von Frauen in TV- und Kinorollen für Aufsehen gesorgt. Die Kernergebnisse seien durchaus ähnlich gewesen, sagte Furtwängler bei dem Panel in Köln, an dem neben Studienleiterin Götz und Lisa Furtwängler auch die Geschäftsführerin des Video-on-demand-Dienstes Vevo, Tina Funk, und die deutsche Musikjournalistin Jenni Zykla teilnahmen. Auch im Fernsehen kämen Frauen nur halb so oft vor wie Männer. Das beginne bereits beim Kinderfernsehen.

ORF.at/Carl-Philip Pfleger
Von rechts nach links: Furtwängler, Moderatorin Bianca Hauda, Vevo-Geschäftsführerin Tina Funk, Studienleiterin Götz und Musikjournalistin Jenni Zykla
„Wir erzählen alle Geschichten und arbeiten mit Bildern, auch in Musikvideos. Ich glaube an die Macht der Bilder“, so die Schauspielerin, die ihre Aussage mit einem Positivbeispiel aus den USA untermauerte: Untersuchungen zufolge sei Bogenschießen dort der am schnellsten wachsende Sport bei jungen Mädchen. Grund dafür seien zwei Vorbilder von der Leinwand - Katniss Everdeen aus „Die Tribute von Panem“ und die Prinzessin Merida aus „Merida - Legende der Highlands“, dem ersten Animationsfilm aus dem Hause Disney-Pixar mit weiblicher Hauptdarstellerin.
Gezeigte Rollenverteilung färbt ab
Sie wolle niemanden umerziehen, sagte Furtwängler, sondern Verantwortungsbewusstsein schaffen. Dass das durchaus notwendig ist, legen die Ergebnisse der IZI-Studie nahe. Die Untersuchung zeigt zwar, dass Jugendliche Sexismus in Musikvideos als solchen identifizieren, die vorgelebten Rollenbilder färben trotzdem auf die Vorstellungen der Jugendlichen ab. „Männliche Jugendliche wollen schöne und schlanke Frauen, intelligent und selbstständig steht nicht so hoch im Kurs“, sagte Studienleiterin Götz.
Bei den befragten Mädchen hätten sieben von zehn angegeben, so sein zu wollen wie die Frauen in den Videos. Zudem seien sie davon überzeugt, dass Frauen die ihnen zugewiesenen Rollen gerne und freiwillig einnehmen. Daher habe es Auswirkungen, wenn in den Videos der Konnex zwischen Erfolg und „Bruststreicheln“ hergestellt werde.
Neue Vorbilder gefragt
In den vergangenen 15 Jahren habe sich viel Negatives getan, sagte auch Vevo-Geschäftsführerin Funk: „Mädchen werden aufgezogen, um zu gefallen.“ Musikvideos seien Werbevideos und im Werbebereich werde ebenfalls sehr stark mit Sex gearbeitet. Wo Vevo mit eigenen Geldern mit dabei sei, könne man Frauen fördern, so Funk. Letztlich liege es aber auch bei den Musikerinnen und Musikern selbst, auf sexistische Darstellungen zu verzichten. In den letzten Monaten wiederum zeige sich ein leichter Gegentrend, Sängerinnen wie Demi Lovato hätten klar Stellung bezogen gegen Body- und Slut-Shaming in den Sozialen Netzwerken.
Das Hauptproblem sei, dass es keine Ausgewogenheit zwischen „Bruststreichlervideos“ und anderem gebe, sagte Journalistin Zykla. „Wir als Frauen müssen mehr Musik machen, Redaktionen müssen mehr Independent-Produktionen nehmen, so können wir andere Vorbilder schaffen“, so Zykla. Seien diese Vorbilder erst einmal da, „dann vertragen wir auch ein paar Videos mit Izzi-Bizzi-Minibikinis“.
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Philip Pfleger, ORF.at, aus Köln