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Vorstoß nach deutschem Vorbild

Je ärmer ein Land und je krisenreicher, desto öfter werden noch minderjährige Mädchen verheiratet - zumeist mit weitaus älteren Männern. Die gesundheitlichen, ökonomischen und sozialen Folgen von Kinderehen sind fatal. Und das Problem ist mittlerweile nicht nur eines von Entwicklungs- und Schwellenländern.

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Zwangs- und Kinderehen sind oft Teil von Bewältigungsstrategien in Krisensituationen: Jedes Jahr werden Millionen Mädchen verheiratet. Durch den Syrien-Konflikt passieren Kinderehen besonders oft, der Status der Ehefrau soll Mädchen vor Verschleppung und Vergewaltigung auf der Flucht schützen. Und mit den Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre ist das Thema in Europa angekommen.

Gesetzesänderung in Deutschland

In Deutschland wurde die Ehemündigkeit vom Bundestag kürzlich per Gesetz auf 18 Jahre heraufgesetzt, Kinderehen als ungültig erklärt. Ehen unter 16 gelten künftig von vornherein als nichtig. Im Nachbarland weiß man auch, wie viele Betroffene es gibt - zumindest ungefähr: Im Vorjahr gab es 1.475 im Ausland geschlossene Ehen mit minderjährigen Partnern. Daneben dürfte es noch eine hohe Dunkelziffer geben.

Initiative gegen Kinderehe

Reuters/Muhammad Hamed

Die 14-jährige Syrerin Omaima al-Huschan startete im jordanischen Flüchtlingscamp Saatari ein Projekt gegen Kinderehen

Unter den registrierten Fällen waren 361 verheiratete Kinder unter 14 Jahren. Die meisten minderjährigen Verheirateten stammen aus Syrien und Afghanistan - aber auch dutzendfach aus Bulgarien, Griechenland, Polen und Rumänien. Der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) erklärte anlässlich der Gesetzesänderung: „Kinder gehören nicht ins Standesamt oder vor den Traualtar, sondern in die Schule.“

Karmasin wird aktiv

In Österreich gilt bisher das Eherecht des Herkunftslandes, sprich Ehen sind hierzulande gültig, außer einer der Partner ist jünger als 14 - das ist bei uns die gültige Altersgrenze für sexuelle Kontakte. Heiraten darf man in Österreich allerdings ab dem vollendeten 16. Lebensjahr. Dann, wenn ein Ehepartner über 18 Jahre alt ist, die Eltern einverstanden sind und eine Ehemündigkeitserklärung von Gericht vorliegt.

Familien- und Jugendministerin Sophie Karmasin (ÖVP) unternimmt jetzt einen Vorstoß, das – ähnlich dem deutschen Vorbild - zu ändern. Gegenüber Ö1 sagte sie: „Kinderehen sind natürlich abzulehnen und zu verurteilen“, das Einfachste sei, Eheschließung erst ab 18 zu ermöglichen: „Alles, was drunter ist, wird annulliert“, damit würden Kinderehen in Österreich ausgeschlossen.

Aufklärung und Erfassung gefordert

Die SPÖ-Nationalratsabgeordnete und Entwicklungssprecherin Petra Bayr setzt sich mit ihrer Initiative „Mutternacht“ für eine Senkung der Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern ein, heuer vermehrt gegen Kinderehen. Die Grüne Abgeordnete Berivan Aslan fordert eine österreichweite Studie zum Thema Kinderehe und die Erstellung eines Leitfadens für Institutionen wie die Jugendwohlfahrt. Und auch die FPÖ fordert eine statistische Erfassung von Kinderehen.

Bis zu 5.000 Betroffene?

In Österreich gibt es keine Statistiken darüber, wie viele Betroffene es gibt, sprich wie viele junge Menschen zwangsverheiratet im Land leben. Bei der Koordinationsstelle gegen Verschleppung und Zwangsheirat, Orient Express, wird von Zwangsehe bedrohten oder betroffenen Frauen juristisch und psychologisch geholfen. Auch anonyme Wohnmöglichkeiten werden im Notfall geboten. Die Expertinnen dort schätzen, dass bis zu 5.000 Frauen in Österreich von Zwangsehe bedroht oder schon betroffen sein könnten.

Heirat erst später aktenkundig gemacht

Sind Mädchen sehr jung, wird oft zuerst eine religiöse Ehe arrangiert, die später, wenn sie 16 Jahre alt sind, auf einem Standesamt aktenkundig gemacht wird. Oft werden auch in Österreich geborene Mädchen, die perfekt Deutsch sprechen, unter Druck gesetzt, im Heimatland ihrer Eltern einen oft für sie Unbekannten zu heiraten. Bei Orient Express versucht man jungen Frauen zu vermitteln, dass sie eine Wahlmöglichkeit haben: „Du kannst dich wehren, Zwangsheirat ist Gewalt, sie kostet dich deine Freiheit – lebenslänglich.“

Heirat in der Not

In Syrien müssen Mädchen laut der Hilfsorganisation Care eigentlich mindestens 16 Jahre alt sein, wenn sie heiraten, doch es gibt viele Ausnahmen, etwa wenn ein männlicher Vormund einer Heirat zustimmt.

Ein klassisches Beispiel für ein solches Schicksal ist Leyla (ihr Name wurde verändert, um ihre Identität zu schützen, Anm.). Im syrischen Bürgerkrieg war ihr Vater seit Jahren verschollen. Als ihre Mutter für einige Wochen ins Gefängnis musste, verheiratete sie ihre 13-jährige Tochter mit einem entfernt Verwandten, der mit 25 Jahren fast doppelt so alt war wie sie. Leyla bekam ein weißes Kleid, es wurde eine kleine Feier abgehalten. Aufgeklärt wurde das Mädchen nie.

Radiohinweis

Das Ö1-Mittagsjournal berichtete um über Kinderehen und die Reaktion der österreichischen Politik - Audio dazu in oe1.ORF.at, ein „Journal Panorama“ widmet sich um 18.25 Uhr noch ausführlicher der Thematik.

Entbindung in Österreich

Ihr Mann entpuppte sich als gewalttätig. Als die Mutter wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde, flüchteten sie zu dritt in Richtung Österreich, die 13-Jährige war gleich nach der Hochzeit schwanger geworden.

Heute sind Leyla und ihre Mutter in Österreich Flüchtlinge mit anerkanntem Asylstatus. Die Kinderehe flog auf, der gewalttätige Ehemann wurde wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt. Das 14-jährige Mädchen hat in einem Grazer Krankenhaus einen Sohn zur Welt gebracht, der jetzt 17 Monate alt ist. Die Großmutter kümmert sich um das Kind, während Leyla in die Schule geht. Sie will einmal Krankenschwester werden.

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