Eine Woche, ein Tag, eine Stunde
Suspense statt Gemetzel, Inszenierungskunst statt 3-D-Spektakel: Christopher Nolan („Inception“) hat mit dem Kriegsdrama „Dunkirk“ einen der bisher stärksten Filme des Jahres vorgelegt. In drei Erzählsträngen beleuchtet Nolan die Ereignisse im nordfranzösischen Dunkerque (Dünkirchen), von wo aus die britische Armee im Frühjahr 1940 Hunderttausende ihrer Soldaten vor der deutschen Wehrmacht in Sicherheit bringen konnte.
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Eine Gruppe junger britischer Soldaten zieht durch die Straßen Dünkirchens. Vom Himmel regnet es Flugblätter mit einer Botschaft der deutschen Wehrmacht: „Wir haben euch umzingelt“, steht auf ihnen. Plötzlich Gewehrfeuer, Rekrut Tommy (Fionn Whitehead) rennt um sein Leben, klettert über Mauern in Hinterhöfe, jagt durch enge Gassen, ehe sich der Strand vor ihm auftut. Hunderttausende Soldaten harren hier in der Hoffnung auf Rettung aus, den Bomben der deutschen Luftwaffe schutzlos ausgeliefert.
Kein Blick aus der Vogelperspektive
Nolans Film basiert auf wahren Begebenheiten: Im Zuge des deutschen Westfeldzugs waren Ende Mai 1940 etwa 370.000 alliierte Soldaten in der nordfranzösischen Stadt eingekesselt. In der „Operation Dynamo“ mit der Mobilisierung von rund 900 Wasserfahrzeugen durch die britische Marine retteten sich innerhalb weniger Tage fast 340.000 Soldaten vom Strand über den Ärmelkanal, bevor die deutsche Wehrmacht den letzten Brückenkopf einnahm.

2017 Warner Bros. Entertainment Inc. all rights reserved
Tommy auf der Flucht vor dem gesichtslosen Feind
Und doch machen schon die ersten Szenen klar, dass es dem Regisseur, der auch das Drehbuch zum Film schrieb, nicht um die Einordnung historischer Geschehnisse geht. Der Feind bleibt namen- und gesichtslos. Dass die Truppen Nazi-Deutschlands ihren Belagerungsring um die Ortschaft immer enger ziehen, lässt Nolan die Zuseher spüren, der Blick aus der Vogelperspektive der britischen, französischen oder deutschen Generäle bleibt dem Publikum aber verwehrt.
Stattdessen taucht die Kamera ein in den Überlebenskampf, der an Land, zu Wasser und in der Luft geführt wird. Wie bereits bei „Interstellar“ und „Inception“ legt Nolan unterschiedliche Zeitebenen übereinander. Eine Woche lang begleitet der Film die Evakuierungsaktion; einen Tag lang folgt er dem pensionierten Mr. Dawson (Mark Rylance), der mit seinem Sohn Peter (Tom Glynn-Carney) und dessen bestem Freund George (Barry Keoghan) auf seinem kleinen Ausflugsschiff über den Ärmelkanal fährt, um seinen Landsleuten zu Hilfe zu kommen; eine Stunde entführt er ins Cockpit eines Spitfire-Jagdflugzeugs, in dem der Pilot Farrier (Tom Hardy) die britischen Schiffe vor den deutschen Bombern zu schützen versucht.
„Die Sprache der Spannung“
Statt in Dialogen erzählt Nolan die Evakuierungsaktion, die als Mythos in die britische Geschichte einging, über Bilder. Nur 76 Seiten hat sein Drehbuch, um die Hälfte weniger als bei seinen anderen Werken. Dank der perfekt inszenierten, im IMAX-Format und auf 70 Millimeter gefilmten Bilder erzeugt „Dunkirk“ einen Sog, der das Publikum im Kinosaal tief ins Kriegsgeschehen zieht.

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Boyband-Star Harry Styles (ehemals One Direction), Aneurin Barnard und Whitehead (von links)
Anders als viele andere Kriegsfilme kommt „Dunkirk“ ohne Gemetzel aus, ohne Blutfontänen und herumfliegende Körperteile. Auch auf Effekte aus dem Computer wird weitgehend verzichtet. Dafür habe er sich von Alfred Hitchcocks „visueller Sprache der Spannung“ inspirieren lassen, sagte der 46 Jahre alte Brite in Interviews. Wenn die deutschen „Stuka“-Kampfflugzeuge aus großer Höhe heulend auf die dichtgedrängte Masse der Soldaten auf dem Pier hinabrasen, erinnert „Dunkirk“ mehr an „Psycho“ denn an „Der Soldat James Ryan“.
Verstärkt wird die Anziehungskraft des Films durch Hans Zimmers eindrucksvollen Soundtrack. Der Oscar-Preisträger hat den Lärm des Krieges in Orchesterform gegossen. Am Beginn des Soundtracks sei die Tonaufnahme gestanden, die er von einer seiner Uhren gemacht habe, sagte Nolan: „Die habe ich Hans Zimmer gegeben, und er hat dann, aufbauend auf diesem Ticken, diese treibende Filmmusik komponiert“ - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Beliebt bei Kritikern und Publikum
Nicht nur die Kritiker zeigten sich von Nolans Film angetan. Bereits an seinem Eröffnungswochenende konnte „Dunkirk“ seine Produktionskosten annähernd einspielen. Neben Lob für den Regisseur gab es durchwegs positive Kritiken zu den Leistungen der Schauspieler. Neben den etablierten Gesichtern wie Rylance, Hardy, Cillian Murphy und Kenneth Branagh überzeugte auch Ex-Boyband-Star Harry Styles (One Direction), der in „Dunkirk“ sein Debüt als Schauspieler gab.
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