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Deutsche Wirtschaft scheut Türkei

In der jüngsten diplomatischen Krise zwischen Deutschland und der Türkei hat die Regierung in Berlin nun Maßnahmen gesetzt. Deutschland wolle seine komplette Türkei-Politik neu ausrichten, sagte Außenminister Sigmar Gabriel am Donnerstag. Dazu gehörten angepasste Reisehinweise, aber es soll auch die Absicherung der in der Türkei dringend benötigten Importe überprüft werden.

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Die deutsche Wirtschaft müsse sich nun auf höhere Risiken für Geschäfte mit der Türkei und Investitionen in dem Land einstellen. Die Absicherung von Geschäften und Exporten über Hermes-Bürgschaften, Investitionskredite, Wirtschaftshilfe: Alles wird auf den Prüfstand gehoben.

„In die Nähe von Terroristen gerückt“

Zu der Verschlechterung der Lage hatten die jüngsten Verhaftungen in der Türkei geführt. Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner war zusammen mit anderen am Dienstag inhaftiert worden. Die Verhaftungen hatten international große Empörung ausgelöst. Die türkische Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, eine „bewaffnete Terrororganisation“ zu unterstützen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Menschenrechtler in die Nähe von Putschisten gerückt.

„Man kann niemandem zu Investitionen in ein Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar Unternehmen, völlig unbescholtene Unternehmen, in die Nähe von Terroristen gerückt werden“, sagte Gabriel.

„Ich sehe deshalb nicht, wie wir als Bundesregierung weiter deutsche Unternehmensinvestitionen in der Türkei garantieren können, wenn - wie geschehen - willkürliche Enteignungen aus politischen Motiven nicht nur drohen, sondern schon erfolgt sind.“

Wirtschaft verunsichert

Es müsse daher darüber geredet werden, wie der Hermes-Bürgschaftsrahmen entwickelt werde und wie mit Investitionskrediten und mit Wirtschaftshilfe umgegangen werde. Mit Hermes-Bürgschaften sichert der Staat Auslandsgeschäfte deutscher Unternehmen gegen wirtschaftlich und politisch bedingte Zahlungsausfälle ab.

Die deutsche Wirtschaft reagierte besorgt. Sie erwartet zusätzliche Verunsicherung und noch mehr Zurückhaltung bei Investitionen in der Türkei und im Handel. Deutschland ist nach Angaben der deutschen Außenwirtschaftsagentur wichtigster Abnehmer türkischer Produkte und nach China zweitgrößter Lieferant.

Handel sinkt schon seit einem Jahr

Schon zuletzt haben deutsche Unternehmen Risiken im Geschäft mit der Türkei gescheut. Nach Darstellung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sind viele deutsche Unternehmen seit dem gescheiterten Putschversuch verunsichert. „In einem solchen Umfeld ist an Neuinvestitionen deutscher Unternehmen in der Türkei kaum zu denken“, sagte Außenwirtschaftschef Volker Treier. Die Einschränkung von Exportabsicherungen und Investitionsgarantien werde die Zurückhaltung noch bestärken.

Der Handel mit der Türkei sinke seit Mitte 2016. Infolge der Zuspitzung der Spannungen ist mit einem Rückgang von mehr als zehn Prozent zu rechnen. „Die ökonomischen Auswirkungen sind umso bedauerlicher, da die Türkei zur Modernisierung ihres Landes dringend auf Technologie aus dem Ausland angewiesen ist“, so Treier.

„Chronisches Defizit“ im Außenhandel

In den ersten fünf Monaten 2017 brachen die deutschen Exporte in das Schwellenland um 9,5 Prozent auf 8,6 Milliarden Euro ein, obwohl die deutschen Ausfuhren weltweit um mehr als sieben Prozent zunahmen.

Die Türkei ist auch dringend auf Importe angewiesen. Die deutsche Außenhandelsagentur GTAI sprach von einem „chronischen Defizit“ des türkischen Außenhandels. Insgesamt hat die Türkei zuletzt (2016) Waren im Wert von knapp 199 Milliarden Dollar eingeführt, in den Jahren zuvor waren es mit bis zu 252 Milliarden Dollar (2013) zum Teil noch deutlich mehr. Dagegen stehen (2016) Ausfuhren von lediglich 142 Milliarden Dollar.

Reisehinweise angepasst

Für Reisende wurden in Österreich und Deutschland am Donnerstag die Reisehinweise angepasst. Das Außenamt in Wien behalte es sich vor, die Sicherheitsstufe zu erhöhen, von einer Verschärfung sei derzeit nicht die Rede, teilte ein Sprecher des Außenministeriums mit. Die aktuelle Version weist - ähnlich wie in Deutschland - darauf hin, dass österreichische Vertretungsbehörden in der Türkei bei Festnahmen österreichischer Staatsangehöriger nicht immer rechtzeitig informiert werden. Auch der Zugang für konsularische Betreuung könne nicht sichergestellt werden, heißt in dem am Donnerstag aktualisierten Hinweis.

Das Außenministerium empfiehlt Türkei-Reisenden, sich bei der Botschaft oder Konsulaten registrieren zu lassen. Zudem wolle man die Sicherheitssituation „nicht über einen Kamm scheren“. So würden unterschiedliche Sicherheitsstufen in verschiedenen Gebieten in der Türkei festgelegt. Demnach gelte eine Reisewarnung an der syrischen Grenze sowie ein hohes Sicherheitsrisiko in Antalya.

Touristen bleiben fern

Viele Touristen meiden das Land inzwischen. Beim Ranking der beliebtesten Reiseziele der Österreicherinnen und Österreicher belegt die Türkei nur noch einen der hinteren Plätze. Lag sie 2007 noch auf Platz fünf bei den Umfrageergebnissen der Statistik Austria, gab im Vorjahr nur noch ein Drittel an, in der Türkei Urlaub zu machen - damit liegt das Land weit abgeschlagen auf Rang zehn. Auch die Deutschen fahren lieber woandershin: 2015 kamen noch 5,6 Millionen deutsche Besucher, 2016 waren es nur noch vier Millionen. Die Tourismusbranche ist für die Türkei sehr wichtig. Sie sorgte 2015 für rund 13 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Brüssel: Nur gemeinsame Entscheidung

Auch die Zahlungen der EU an die Türkei wurden am Donnerstag von Gabriel zur Debatte gestellt. Aus Brüssel gab es dafür allerdings zunächst eine Absage: „Alle Finanzierungsentscheidungen werden gemeinsam von den Mitgliedsstaaten getroffen“, sagte ein Sprecher in Brüssel. Schon heute würden EU-Finanzhilfen lediglich in sorgfältig ausgesuchte Bereiche fließen.

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hatte die EU-Kommission bereits vor Längerem damit begonnen, die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen vorgesehene Unterstützung für die Türkei zurückzufahren. EU-Kommissar Johannes Hahn bestätigte schon im März, dass bestimmte Programme eingestellt worden seien. Von den 4,45 Milliarden Euro, die für den Zeitraum 2014 bis 2020 für die Türkei zur Verfügung standen, seien gerade einmal 167,3 Millionen Euro ausbezahlt worden, sagte Hahn damals in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Nach ursprünglichen Plänen sollten allein im vergangenen Jahr 630,8 Millionen Euro fließen, und in diesem Jahr 636,4 Millionen Euro.

Kontrollbank plant keine Überprüfung

Um die Vorbeitrittshilfen rechtlich legitim komplett einfrieren zu können, müssten nach Kommissionsangaben die 2005 gestarteten EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei offiziell gestoppt werden.

In Österreich ist im Gegensatz zu Deutschland noch keine Überprüfung der Absicherung von Exportgeschäften in die Türkei geplant. „Die aktuellen Entwicklungen beobachten wir mit großer Sorgfalt, um gegebenenfalls entsprechende Schritte zu setzen. Derzeit sind diese allerdings nicht geplant“, hieß es am Donnerstag aus der für Exportgarantien zuständigen Kontrollbank (OeKB).

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