Gesetz an Ausschuss verwiesen
Die Verabschiedung der umstrittenen Justizreform in Polen ist einen Schritt näher gerückt. Die Abgeordneten des Sejm, des Unterhauses, verwiesen das Gesetz am Mittwoch zur weiteren Beratung an den Parlamentsausschuss. Am Vorabend hatte die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit ihren Verbündeten das Gesetz nach einer von Tumulten geprägten Sitzung in erster Lesung verabschiedet.
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Bei einer nächtlichen Debatte hatte es im Parlament Tumulte und wüste Beschimpfungen gegeben. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski stürmte außer der Reihe ans Rednerpult und nannte Oppositionspolitiker „Kanaillen“ und „Verräter“. Er reagierte mit seinem Wutausbruch auf Vorwürfe, er untergrabe die Gewaltenteilung und handle damit dem Willen seines verstorbenen Bruders, des Ex-Präsidenten Lech Kaczynski, zuwider.
Kaczynski beschimpft Opposition als Verräter
Kaczynski sagte: „Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn zerstört und ermordet“ - das in Anspielung auf Gerüchte, der Flugzeugabsturz des Staatsoberhaupts 2010 bei Smolensk sei ein Anschlag gewesen. Dabei waren Lech Kaczynski, seine Ehefrau und 94 weitere Insassen ums Leben gekommen. In Polen ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien um den Absturz.
Hintergrund des Streits sind PiS-Pläne zur Neuordnung des Obersten Gerichts sowie des Landesrichterrats (KRS) - eines Verfassungsorgans zur Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz. Mit den Reformen wolle sich die mit absoluter Mehrheit regierende Kaczynski-Partei die Justiz unterordnen, werfen Kritiker den Nationalkonservativen vor.
Parlamentsdebatte unterbrochen
Trotz des erbitterten Widerstands der Opposition wollte die PiS nach der Sitzung sofort die zweite und entscheidende Lesung ansetzen. Dem hatte sich Parlamentsvizepräsident Joachim Brudzinski widersetzt und die Debatte auf Mittwochfrüh vertagt. Präsident Andrzej Duda hatte sich in den Streit eingeschaltet und eigene Änderungen eingebracht. Er hatte mit seinem Veto gedroht, sollte die Vorlage nicht geändert werden. Auch diese sei verfassungswidrig, sagte Landesrichterrat-Sprecher Waldemar Zurek im Radio.
Proteste und Kritik im In- und Ausland
Die Reform sorgt seit Wochen für Kritik im In- und Ausland. Kritiker monieren, mit der Reform werde die Gewaltenteilung untergraben. Der Abgeordnete Borys Budka von der oppositionellen Bürgerplattform warf der PiS vor, an der Macht zu kleben. Mit der Reform könne die Partei unliebsame Wahlergebnisse kassieren, sagte er in seiner Rede. Am Dienstag forderten Demonstranten vor dem von Sicherheitskräften abgeschirmten Gebäude die Volksvertreter auf, gegen das Gesetz zu stimmen.

APA/AP/Alik Keplicz
In Warschau formierten sich am Dienstagabend zum Protest Lichterketten
Bereits am Sonntag hatten Tausende Polen gegen das Gesetz protestiert. Auch EU-Parlamentarier sahen die Demokratie in dem ostmitteleuropäischen Land durch die Pläne in höchster Gefahr. Sollten die entsprechenden Gesetze in Kraft treten, müsse das Konsequenzen haben, appellierten fünf Fraktionschefs an die EU-Kommission und forderten ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen.
EU-Kommission droht mit neuem Verfahren
Die EU-Kommission drohte Polen am Mittwoch mit einem neuen Verfahren. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans sagte, die Behörde hege schwere Bedenken gegen das Vorhaben der polnischen Regierung. Sollten die Reformgesetze in der gegenwärtigen Form umgesetzt werden, würde das sehr schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Gerichte haben, sagte Timmermans.
„Diese Gesetze verstärken die systemischen Bedrohungen für die Herrschaft des Rechts.“ Zusammengenommen würden sie die verbliebene juristische Unabhängigkeit gänzlich aufheben und die Justiz unter die vollständige politische Kontrolle der Regierung stellen, sagte Timmermans. Er rief die polnische Regierung auf, ihre Reformpläne zu stoppen.
Die EU-Kommission werde sich in der kommenden Woche erneut mit dem Thema befassen. Zu den Optionen, die diskutiert würden, gehöre ein neues Verfahren gegen das EU-Mitglied Polen. Die EU-Kommission stehe kurz davor, Artikel sieben des Vertrags von Lissabon anzuwenden, sagte Timmermans. Danach ist eine Suspendierung der EU-Stimmrechte eines Staates möglich, wenn dieser in schwerwiegender Weise die Grundwerte der EU verletzt, darunter Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte.
Entzug von Fördergeld droht
EU-Justizkommissarin Vera Jourova hatte zuletzt in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) mit einer Streichung von Fördermitteln für Polen gedroht. Sie könne sich „nicht vorstellen, dass etwa deutsche oder schwedische Steuerzahler für die Errichtung einer Art von Diktatur in einem anderen EU-Land bezahlen wollen“, sagte Jourova.
Zur Sprache kommen müsse nun die „Einhaltung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien als Bedingungen dafür, dass ein EU-Staat Geld vom europäischen Steuerzahler bekommt“. Es gehe dabei nicht um laufende Gelder, sondern erst um die Mittel der nächsten Förderperiode, die im Jahr 2021 beginnt.
Aus für Machtgleichgewicht befürchtet
Jourova kritisierte die Maßnahmen der Regierung in Warschau im Justizbereich scharf: „Wir sehen eine systematische Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit in Polen, weil das Machtgleichgewicht zwischen Judikative und Exekutive zerstört wird.“ Da das von der EU-Kommission eingeleitete Rechtsstaatsverfahren voraussichtlich keine Sanktionen enthalten werde, müssten neue Druckmittel erwogen werden: „Der Entzug von Fördergeldern ist ein harter Schritt, aber wir müssen über harte Schritte nachdenken“, sagte Jourova.
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