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Zwischen Nutzen und Idealen

Sie bilden die Basis jeder Partei: die zahlenden Mitglieder. Zwar ist die Blütezeit der Parteibücher in Österreich schon länger vorbei. Doch noch immer sind rund 850.000 Menschen Mitglied in einer Partei - zumindest laut den Angaben der Parteien selbst. Was haben die Parteien davon - und was die Mitglieder?

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Nein, leben können Parteien von ihren Mitgliedern nicht mehr. Zu Beginn der zweiten Republik waren Mitgliedsbeiträge noch eine der wichtigsten Einnahmequellen. Inzwischen sind es zu großen Teilen die Förderungen von Bund und Ländern, mit denen Österreichs Parteien ihre Tätigkeit finanzieren. Das bedeutet aber nicht, dass Mitglieder für ihre Parteien nur noch einen symbolischen Wert hätten.

Helfende Hände für den Wahlkampf

Da ist zum einen die ganz praktische Komponente: Beim Wahlkampf auf der Straße könnten Parteien auf ihre Mitglieder zurückgreifen, sagt die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit ORF.at. Je mehr Mitglieder eine Partei hat, desto mehr potenzielle hilfreiche Hände stehen ihr zu Verfügung - zumindest theoretisch.

Das gilt auch abseits des klassischen Wahlkampfs. „Wenn Menschen im eigenen und sozialen Umfeld erklären, warum sie Mitglied der Partei sind. Das ist vielleicht am wichtigsten“, sagt der Politikwissenschaftler Gerd Valchars gegenüber ORF.at. Stainer-Hämmerle spricht von einem „Netzwerk“. Und sie weist darauf hin, dass das im Idealfall in beide Richtungen funktioniere. Parteien könnten über Mitglieder nicht nur ihre Positionen verbreiten, sondern sich zugleich ein „Stimmungsbild holen“.

Zahlen als Sache der Parteien

Und dann ist da noch die Sache mit der Außenwirkung. Je mehr Mitglieder eine Partei hat, desto „mächtiger“ könne sie auftreten, sagt Stainer-Hämmerle. Wer viele Mitglieder habe, könne leichter die Vertretungsmacht für bestimmte Interessen beanspruchen, so die Politologin. Bei den Mitgliederzahlen ist die Öffentlichkeit allerdings auf die Angaben der Parteien angewiesen. Und nicht immer gibt es ganz genaue Zahlen, wie eine aktuelle Umfrage von ORF.at zeigt.

Horizontale Säulengrafik über die Mitglieder der Parteien

Grafik: ORF.at; Quelle: ORF.at (auf Nachfrage)

Als klarer Spitzenreiter präsentierte sich darin die ÖVP: 600.000 Mitglieder zähle die Partei zurzeit, so Bundespressesprecher Jochen Prüller. Das ist sogar noch eine Steigerung zu den 500.000, welche die ÖVP in den vergangenen Jahren regelmäßig nannte. Allerdings rechnet die Volkspartei für die Gesamtzahl die Mitgliedschaften in ihren Bünden und Teilorganisationen zusammen. Da diese wieder je eigene Landesorganisationen mit eigenen Mitgliedslisten haben, macht das die Zählung nicht ganz einfach.

Viele Mitglieder - wenig Geld an die Partei

Ein bisschen ins Zweifeln könnte etwa kommen, wer die Mitgliederzahl mit den Mitgliedsbeiträgen vergleicht, wie sie die ÖVP in ihrem jährlichen Rechenschaftsbericht ausweist. 490.075 Euro nahm die Bundespartei laut dem jüngsten Bericht von 2015 durch Mitgliedsbeiträge ein. Noch einmal fast so viel, nämlich 428.850 Euro, bekamen die neun Landesparteien. Insgesamt ergibt das etwas über 900.000 Euro.

Nun zahlen fast alle ÖVP-Mitglieder ihre Mitgliedsbeiträge nicht direkt an die Partei, sondern an die jeweilige Teilorganisation – mit teils deutlichen Preisunterschieden. Bei der Jungen ÖVP (JVP) ist man etwa für zehn Euro dabei. Beim Wirtschaftsbund startet eine Mitgliedschaft bei 60 Euro. Wer ein großes Unternehmen besitzt, zahlt aber schon einmal einen vierstelligen Betrag.

Im Parteistatut der ÖVP ist jedenfalls festgelegt, dass alle Mitgliedsbeiträge zwischen Partei und Teilorganisation aufgeteilt werden. Nimmt man die damals kolportierten 500.000 Mitglieder her, hieße das, dass pro Mitglied im Schnitt gerade einmal rund 1,8 Euro an Bundespartei und Landesorganisationen fließen. Das erscheint schon fast verwunderlich wenig.

Jahrzehntelanges Schrumpfen

Zum Vergleich: Die SPÖ nahm im Jahr 2014 (der Rechenschaftsbericht 2015 wurde bisher durch den Rechnungshof noch nicht freigegeben) durch Mitgliedsbeiträge rund das Zehnfache der Volkspartei ein – bei offiziell nicht einmal einem Drittel der Mitglieder. 180.000 Personen hätten eine SPÖ-Mitgliedschaft, sagt Pressesprecher Hannes Uhl.

Parteimitglieder der SPÖ

APA/Herbert P. Oczeret

Jahrelang verlor die SPÖ Mitglieder - in den vergangene Monaten haben sich die Zahlen laut Partei aber stabilisiert

Verglichen mit der Hochblüte der Mitgliedschaften ist das nur noch ein Bruchteil. Ende der 1970er Jahre hatten noch über 720.000 Personen ein Parteibuch der SPÖ. 1990 war die Zahl bereits auf rund 620.000 geschrumpft, und in den folgenden 15 Jahren fielen noch einmal zwei Drittel weg.

Wachstum im kleinen Rahmen

Im Vergleich zu den restlichen Parlamentsparteien sind die Sozialdemokraten - zumindest mit Blick auf die Mitglieder - aber noch immer eine Großpartei. Die FPÖ reagierte nicht auf die Anfragen von ORF.at. Gegenüber dem „Kurier“ nannte die Partei im März allerdings die Zahl von 60.000 Mitgliedern. Das sind rund 10.000 mehr als noch vor vier Jahren. Auch die Grünen haben ihre Parteibasis laut eigenen Angaben in dieser Zeit erweitert – von 6.500 im Jahr 2013 auf nun rund 7.000.

FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache

APA/Manfred Fesl

Gemessen an der Zahl der Parteimitglieder landet die FPÖ in Österreich auf Rang drei

Ein kleines Wachstum verzeichnete auch NEOS. 2.700 Mitglieder zählt die Partei mittlerweile laut ihrem Generalsekretär Nick Donig. Das bedeutet 400 Mitglieder mehr in vier Jahren - und damit zumindest 36.000 Euro mehr pro Jahr für die Partei. 90 Euro kostet eine NEOS-Mitgliedschaft im Jahr. Bei der SPÖ ist man um 72 Euro jährlich dabei, während die Grünen je nach Bundesland unterschiedlich hohe Beiträge einheben. In Oberösterreich macht der Mitgliedsbeitrag etwa 40 Euro aus, während er in Wien „mindestens 25, höchstens jedoch 1.000 Euro“ jährlich beträgt.

Veränderte Motive für Parteieintritt

Und was bekommen die Parteimitglieder dafür? Früher ließ sich diese Frage noch leichter beantworten. Politologe Valchars spricht von „friends with benefits“. Wer ein Parteibuch von einer der beiden damaligen Großparteien besaß, konnte sich im Gegenzug handfeste Vorteile erwarten. Eine Wohnung zum Beispiel oder einen Job. Parteibücher gibt es mittlerweile ohnehin nicht mehr. Und die Parteien hätten „nicht mehr in dem Ausmaß“ Möglichkeiten, sagt Valchars.

Irmgard Griss bei einer NEOS-Veranstaltung

APA/Herbert P. Oczeret

Man muss kein Parteimitglied sein, um für NEOS zu kandidieren - siehe Irmgard Griss

In staatsnahen Unternehmen, oder wenn es etwa um den Direktorenposten für eine Schule geht, mag eine Parteimitgliedschaft noch eine Rolle spielen. Aber „einem mäßig interessiertem Staatsbürger bringt eine Parteimitgliedschaft nicht mehr viel“, sagt Stainer-Hämmerle. Wer heute einer Partei beitrete, der wolle etwas bewegen oder verändern, so die Politologin.

Bundeskongress der Grünen

APA/fotokerschi.at/Kerschbaummayr

Eine Mitgliedschaft bei den Grünen bedeutet auch eine ganze Reihe an parteiinternen Stimmrechten

Den Wunsch, ein Anliegen zu unterstützen, sieht auch Valchars - neben einer angestrebten politische Karriere - als Hauptmotivation für einen Parteibeitritt. Diese Unterstützung könne aber zeitlich begrenzt sein, sagt der Politologe. Wer Parteimitglied wird, tut das nicht mehr zwingend mit der Perspektive, es ein Leben lang zu bleiben.

Gastmitglieder und E-Mail-Adressen

Vielleicht auch deshalb hat die SPÖ vor wenigen Monaten Gastmitgliedschaften eingeführt: 750 Personen haben laut SPÖ-Pressesprecher Uhl inzwischen davon Gebrauch gemacht. Ein Jahr lang können sie am internen Leben der Partei teilnehmen – ohne einen Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Dafür haben sie aber kein Stimmrecht in den Gremien. „Teil einer politischen Bewegung werden“, lautet eines der Argumente für eine Gastmitgliedschaft auf der SPÖ-Homepage.

Sebastian Kurz beim ÖVP-Parteitag

APA/Hans Punz

Kurz sucht nach Unterstützern auch abseits der Partei - kann zugleich aber auf einen großen Parteiapparat zurückgreifen

Die Bewegung noch größer auf die Fahnen geschrieben hat sich die ÖVP unter ihrem neuen Obmann Sebastian Kurz. Ganz dezidiert sucht die „Neue Volkspartei“ auf ihrer Website nach Unterstützern abseits der klassischen Parteimitgliedschaft. Es reicht, die eigene E-Mail-Adresse einzutragen, um „Sebastian Kurz und die Bewegung für Österreich zu unterstützen“.

Eine Werbung für eine Parteimitgliedschaft findet sich dort allerdings nicht. Tatsächlich kann Kurz aber ohnehin auf den noch immer großen Parteiapparat der ÖVP zurückgreifen. Darüber hinaus könne ein gutes Adressenverzeichnis durchaus ein Ersatz für Parteimitglieder sein, sagt Stainer-Hämmerle.

Politik ganz ohne Mitglieder

Auf möglichst viele Kontakte von Unterstützern wird wohl auch Peter Pilz für seinen Wahlkampf hoffen, so er bei der kommenden Nationalratswahl mit einer eigenen Liste antritt. Denn auf Parteimitglieder wird er nicht zurückgreifen können. Allein deshalb, weil er bereits erklärte, auf keinen Fall eine Partei zu gründen.

Ganz ohne Parteimitglieder Politik machen? Wie das - zumindest in der Oppositionsrolle und nicht in Österreich - geht, zeigte in den vergangenen Jahren einer, mit dem Pilz sich vermutlich ungern vergleichen lässt. Die Partei für die Freiheit des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders hat genau ein Mitglied: Wilders selbst.

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