Viele Hürden für Afrikas Bürger
Für Europäer ist der freie Personenverkehr mittlerweile eine Selbstverständlichkeit: Wer in der EU reisen will, nimmt seinen Pass mit, ein Visum ist nicht vonnöten. In Afrika ist oft das Gegenteil der Fall, auch für Reisen ins Nachbarland müssen Reisende durch das Prozedere des Visaantrags.
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Einem Plan der Afrikanischen Union (AU) zufolge sollen diese Hürden bald Geschichte sein, ein einheitlicher Pass soll Reisen innerhalb Afrikas erheblich erleichtern. Bis 2020 sollen Bürger von Marokko bis Südafrika visafrei durch ihren Kontinent reisen können. Das Ziel der AU ist Teil einer langfristigen Strategie, der Agenda 2063, die auch ein panafrikanisches Schienennetz und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum vorsieht.
Afrikanischer Pass als Elitenprojekt?
Als Erste erhielten den Pass im Vorjahr Ruandas Präsident Paul Kagame und der Staatschef des Tschad, Idriss Deby. Bisher wird er nur an Staatschefs und offizielle Mitarbeiter der AU ausgegeben. Wann gewöhnliche Staatsbürger einen solchen Pass bekommen, ist noch unklar, die AU setzt aber nach eigenen Angaben alles daran, alle Reisehindernisse zu beheben.
Die Afrikanische Union (AU)
Die AU trat 2002 die Nachfolge der Organisation für Afrikanische Einheit an. Alle Staaten Afrikas sind Mitglied, auch der international nicht anerkannte Staat Westsahara. Nach Vorbild der EU gibt es ein Parlament, eine Zentralbank und einen Gerichtshof. Auch einen Sicherheitsrat mit Interventionsrecht und gemeinsame Soldaten gibt es.
Fraglich ist auch, ob die Schaffung eines afrikanischen Passes für die Erleichterung der Reisefreiheit ausreicht. Kritikern zufolge wäre es einfacher, die restriktive Visapolitik vieler Staaten zu lockern, um die Mobilität der Menschen zu erhöhen. Derzeit brauchen Afrikaner laut „Visa Openness Index“ der African Development Bank im Durchschnitt für über die Hälfte der afrikanischen Länder vorab eine Visagenehmigung. Für Bürger westlicher Staaten ist das Reisen innerhalb des Kontinents einfacher als für Bürger afrikanischer Staaten.
Grenzpolitik als wirtschaftlicher Hemmschuh
Adams Bodomo, Leiter des Afrikanistik-Instituts der Universität Wien, kennt das Problem. „Als Inhaber eines ghanaischen Passes muss ich für Reisen zu Konferenzen in Afrika oft ein Visum vorab beantragen“, sagt er zu ORF.at. Wann der afrikanische Pass Realität werden könnte, kann Bodomo nicht sagen. Nur so viel: „Für das ökonomische Fortkommen Afrikas wäre das ein wichtiger Schritt.“

chinaafricaproject.com
Bodomo leitet seit 2013 das Afrikanistik-Institut der Uni Wien
Tatsächlich kam die Weltbank 2015 zu dem Schluss, dass die strenge Zoll- und Visapolitik eines der großen Hemmnisse für die afrikanische Wirtschaft ist. Laut der Organisation kostet der Handel innerhalb Afrikas mehr als in jeder anderen Region der Welt. Besonders die hohen Zölle würden es Unternehmen schwermachen, Waren über die innerafrikanischen Grenzen zu handeln.
„Schwache“ Pässe
Ein Blick auf den „Passport Index“ zeigt die Benachteiligung der afrikanischen Länder bei der Reisefreiheit. Während man mit dem österreichischen Pass in 155 Länder reisen kann, ohne vorab ein Visum beantragen zu müssen, kommen Besitzer eines algerischen Passes nur auf 46 Staaten. Äthiopier können in 39 Länder ohne Visum reisen, Bürger des Staates Angola ist das in 47 Ländern erlaubt.

Grafik: ORF.at; Quelle: passportindex.org
Etwas leichter haben es Bürger der ECOWAS-Staaten. Der Wirtschaftsbund aus Ländern wie Burkina Faso, Gambia, Guinea, Mali und anderen westafrikanischen Staaten hat bereits einen ECOWAS-Pass, der es den Bürgern erlaubt, innerhalb der 15 Länder visafrei zu reisen.
Nicht alle für panafrikanischen Pass
Das Vorhaben der AU, die 55 afrikanischen Länder näher zusammenrücken zu lassen, stößt nicht nur auf Begeisterung. Die wirtschaftliche und politische Integration wird nur von einer Minderheit unterstützt, wie Umfragen von Afrobarometer zeigen. So befürworten nur 34 Prozent der Befragten, dass sich ihr Staat für freie Wahlen und die Einhaltung der Menschenrechte in Nachbarländern engagieren sollte. 58 Prozent pochen hingegen auf die nationale Souveränität jedes einzelnen Staates.
Die Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung (56 Prozent) spricht sich jedoch für Reisefreiheit aus. Am stärksten ist das Bedürfnis nach einem Kontinent ohne hindernde Schlagbäume in Ost- und Westafrika, am schwächsten in Nordafrika. Auch Bodomo streicht die Notwendigkeit eines vereinten Kontinents heraus und geht noch einen Schritt weiter: „Wir sollten in Richtung einer Bundesrepublik Afrika arbeiten.“
Vision vom vereinten Afrika
„How good and how pleasant it would be/before God and man, yeah/to see the unification/ of all Africans, yeah!“, sang Bob Marley in dem 1979 erschienenen Lied „Africa Unite“. Er schloss damit an die Ziele des Panafrikanismus an, die schon einige Jahrzehnte zuvor von Vordenkern dieser Richtung klar formuliert wurden: Befreiung von der Kolonialherrschaft, Ende der Versklavung schwarzer Menschen und eine Auflösung der von den Kolonialmächten oktroyierten nationalstaatlichen Grenzen.
Die Fackelträgerin der panafrikanischen Idee ist heute die AU. Mit der 2013 beschlossenen „Agenda 2063“ setzte sich die AU ehrgeizige Ziele. So soll es bis dahin eine kontinentale Freihandelzone, ein afrikanisches Raumfahrtprogramm, ein panafrikanisches Schienennetz und ein flächendeckendes Stromnetz geben.
Steiniger Weg
Die Umsetzung dieser Pläne ist jedoch nicht einfach: Die afrikanischen Länder kämpfen mit unterschiedlichen grenzüberschreitenden Konflikten, etwa mit der dschihadistischen Miliz Boko Haram. In manchen Ländern herrschen nach wie vor bürgerkriegsähnliche Zustände. Auch die Ländergrenzen - die meist noch aus der Kolonialzeit stammen - und die Verteilung der verschiedenen ethnischen Gruppen sind ungelöste Probleme.
Ob die AU schaffen wird, woran die Vorgängerorganisation Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) vier Jahrzehnte lang scheiterte, steht in den Sternen. Die EU, das Vorbild der AU, hat für die Einigung des Kontinents über 50 Jahre gebraucht. Die Ausgangssituation in Afrika ist wirtschaftlich eine völlig andere: Viele Menschen fliehen vor ökonomischer Perspektivlosigkeit und Krieg nach Europa. Trotzdem ruhen die Hoffnungen Afrikas auf der AU, die als internationales Sprachrohr des Kontinents fungiert, zuletzt etwa auf dem G-20-Gipfel in Hamburg.
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David Tiefenthaler, für ORF.at