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„Gravierende irreparable Schädigung“

Die EU-Kommission hat am Donnerstag Polen wegen des verstärkten Holzeinschlags im Bialowieza-Wald vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt. Es handelt sich um ein geschütztes Natura-2000-Gebiet. Die Brüsseler Behörde beantragte auch eine einstweilige Anordnung zur Einstellung der Schlägerung in einem der letzten Urwälder Europas.

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Die polnischen Behörden erließen am 25. März 2016 einen Beschluss, der eine Verdreifachung des Holzeinschlags im Bialowieza-Wald sowie Schlägerungen auch in Gebieten gestattet, die bis dahin von Eingriffen jeglicher Art ausgeschlossen waren. Diese Maßnahmen, die auch die Entfernung jahrhundertealter Bäume umfassen, stellen eine erhebliche Bedrohung für die Integrität dieses Natura-2000-Gebiets dar. Das Natura-2000-Gebiet bietet Schutz für Arten und Lebensräume, die auf Altholzbestände, einschließlich Totholz, angewiesen sind. Für einige dieser Arten ist der Bialowieza-Wald das wichtigste oder das letzte verbleibende Gebiet in Polen.

EU warnte vor „irreparabler Schädigung“

Die Kommission hatte Warschau schon Ende April mit einem Verfahren in der Causa gedroht. Da die Abholzung bereits begonnen habe, bei der „unter anderem hundertjährige und noch ältere Bäume gefällt“ werden, drohe eine „gravierende irreparable Schädigung“, betonte damals die EU-Behörde. Der polnische Umweltminister Jan Szyszko zeigte sich dagegen unbeeindruckt und sagte, sein Land habe „keine Angst, den Streit vor dem Europäischen Gerichtshof auszutragen“.

Eindruck aus dem Urwald in Bialowieza

Greenpeace/Adam Lawnik

Bereits im Mittelalter war der Wald ein Jagdrevier für die polnischen Könige, später für die russischen Zaren. Außer von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg, die massiv schlägerten, wurden in Bialowieza kaum Bäume gefällt.

Polen liefert sich derzeit an mehreren Fronten mit der EU ein politisches Tauziehen. Vor allem Reformen im Justizbereich der Regierungspartei PiS haben aus Sicht der EU-Wächter das polnische Verfassungsgericht als Kontrollorgan eingeschränkt und den Rechtsstaat in Gefahr gebracht. Die Kommission leitete daher - erstmals in der EU-Geschichte - ein Rechtsstaatsverfahren ein, das die Einhaltung grundlegender demokratischer Vorgaben prüft und im Extremfall auch Sanktionen vorsieht.

150.000 Hektar fast unberührte Natur

Der Wald von Bialowieza erstreckt sich über 150.000 Hektar entlang der Grenze zwischen Polen und Weißrussland. Ein Teil der Wälder ist Schutzgebiet und zählt zum Weltnaturerbe und Biosphärenreservat der UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Menschliche Eingriffe sind dort nur sehr eingeschränkt erlaubt, Besucher dürfen sich nur auf bestimmten Routen bewegen.

Bisons im Urwald in Bialowieza

APA/AFP/Janek Skarzynski

Auch Wisente sind in den Bialowieza-Wäldern noch zu finden

Einzigartige Flora und Fauna

Die Artenvielfalt von Flora wie Fauna ist in dem polnisch-weißrussischen Waldgebiet einzigartig und erinnert laut der Website des deutschen Wissenschaftsmagazins Spektrum „beinahe an den tropischen Regenwald“. Auf einen einzigen Baumriesen würden mehr als 200 weitere Pflanzenarten kommen. Etwa 3.500 Pilzarten hätten Wissenschaftler in dem Urwald gezählt.

Eindruck aus dem Urwald in Bialowieza

Greenpeace/Adam Wajrak

In Bialowieza können Bäume noch auf natürliche Weise sterben und zahlreichen Tieren als Behausung und Futter dienen

Viele von ihnen seien auf Totholz spezialisiert. Insgesamt ist der Wald Heimat für mehr als 20.000 Tierarten – wegen des Wisents ist der Wald schon seit Langem geschützt. Neben Wildschweinen und Elchen leben auch Bären, Wölfe und Luchse in dem weitläufigen Gebiet. Dazu kommen 150 Vogelarten, darunter alle acht in Mitteleuropa heimischen Spechtarten.

Entwässerung als Problem

Der letzte in dieser Größe erhaltene Urwald in Europa ist aber auch von anderer Seite in Gefahr. Im Osten, auf der weißrussischen Seite, wurde bereits in den 1970er Jahren damit begonnen, die an den Wald angrenzenden Niedermoore trockenzulegen. Dazu wurden laut „Spektrum“ schnurgerade Entwässerungsgräben gezogen. Die Flächen dienen heute als Kuhweiden - die Milch wird nach Russland geliefert. Die Nachfrage ist aufgrund der EU-Sanktionen entsprechend hoch. Dabei würden Experten bereits beobachten, dass wegen der Austrocknung etwa statt Eichen vor allem Hainbuchen wachsen - und sich in der Folge auch die Fauna verändere.

Füchse im Urwald in Bialowieza

Greenpeace/Adam Wajrak

Für Tiere ist das riesige, naturbelassene Waldgebiet ein Paradies

In Weißrussland versucht man nun bereits, mittels Verschluss der langen Kanäle die Entwässerung zu verhindern und eine langsame Rückkehr der Niedermoore zu erreichen und die weitere Absenkung des Grundwasserspiegels zu stoppen.

Mühsamen Kompromiss aufgekündigt

Auf der polnischen Seite sind laut „Spektrum“ von 630 Quadratkilometern nur 105 streng geschützt. Der Rest sei bisher aber sehr zurückhaltend genutzt worden. Im Jahr 2012 wurde - von der EU vermittelt - ein Plan für die langfristige nachhaltige Nutzung der Wälder fixiert. Bei dem mühsam ausverhandelten Kompromiss wurde vereinbart, dass bis 2023 maximal 63.400 Festmeter Holz geschlägert werden dürfen.

Karte zeigt den Bialowieza-Nationalpark in Polen

Map Resources/ORF.at

Die Zustimmung dazu war auch Voraussetzung für den Erhalt des UNESCO-Weltnaturerbestatus. Die 2016 in die Regierung gewählte PiS schlug sich aber im Ringen zwischen Naturschützern und Waldnutzern auf die Seite Letzterer und verdreifachte die Quote. Auch deshalb, weil die Quote bereits im Vorjahr fast aufgebraucht war. Vor allem erlaubt die neue Regelung auch, nicht nur einzelne Bäume zu fällen, sondern ganze Flächen zu schlägern. Zudem darf nun auch der Waldboden gepflügt und können darauf Jungbäume aus der Baumschule gepflanzt werden.

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