Niedergedudelt und vernuschelt
Mit wiedervereinigten Bands ist es immer so eine Sache: Was in der Vergangenheit einmal ganz groß war, ist in der Gegenwart schnell einmal peinlich. Dennoch: Mit entsprechender Erwartungshaltung lässt sich auch viel ausblenden. So geschehen am Montag im Ernst-Happel-Stadion in Wien bei den Hardrock-Veteranen Guns N’ Roses.
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Da standen sie pünktlich um 19.30 Uhr auf der Bühne: Sänger Axl Rose, Gitarrist Slash und Bassist Duff McKagan - drei von der Originalbesetzung der US-Hardrock-Band. 55.000 Besucher waren gekommen. Und erlebten einen Regenguss nach einer halben Stunde als ersten Höhepunkt. Den Rest des Abends blieb das Stadion von den schweren Gewittern, die anderenorts niedergingen, einigermaßen verschont.

ORF.at/Dominique Hammer
Haare, Sonnenbrille, Zylinder: Slashs Gesicht blieb wie immer verborgen
Optisch zu viel von allem
„Welcome to the Jungle“ war ein Highlight in der ersten dahinplätschernden Stunde des Konzerts. Neben einem vor allem zu Beginn schwierigen Soundgemisch musste man sich zunächst optisch an das Dargebotene gewöhnen. Vor allem mit dem einst ranken und schlanken Axl Rose hat es die Zeit nicht so gut gemeint. Oder er mit sich: ein Gesicht, das nach sehr viel Botox aussieht, dazu eine Reihe zu vieler weißer Zähne aus der Hollywood-Einheitsgebissmanufaktur. Und wo ist der Hals? Die schlängelnden Tanzbewegungen von damals erinnern heute an den einen oder anderen Seelöwen aus Schönbrunn beim Fischfang.
Hallo, Stimme
Die schüttere Mähne wurde nach einer halben Stunde unter extrem albernen Hüten versteckt. Überhaupt sollte man sich nicht in alte Outfits pressen, wenn man 25 Jahre älter ist und mindestens ebenso viele Kilo mehr hat. Ja, Mode geht mit der Zeit. Kann man selbst auch zu Hause testen und im Zweifelsfall ehrliches Feedback von außen einholen.
Aber weil man ja nicht nur nach dem Äußeren gehen soll: Da passte auch ganz viel beim Gesang nicht. Fairerweise: Mit hohen Gesangslagen ist es bei dumpfem Rocksound im Stadion besonders schwer. Als Gastsänger von AC/DC ging das vergleichsweise da und dort besser, am Montag klappte das manchmal sehr gut, meistens halb, und einige Male war es extrem vernuschelt.
Darf es noch ein Gitarrensolo sein?
Eigentlicher Publikumsstar war ohnehin Gitarrist Slash. Der steht rein optisch auch gut im Saft, dürfte seine erhöhte Tagesfreizeit in den vergangenen Jahren aber auch mit Mucki-Pumpen und Eiweißeinnahme verbracht haben. Und natürlich mit ganz viel Gitarreüben. Wenn fast jeder Song ein minutenlanges Gitarrenintro oder –solo hat, hat das zwangsläufig Längen. Auf popkulturelle Referenzen zurückzugreifen - von Chuck Berry über Pink Floyd bis zum „Der Pate“-Thema - ist ja prinzipiell nett. Aber geht das auch kürzer?
Optischer Aufheller McKagan
Erstaunlich frisch wirkte Bassist McKagan, solide werkend und der einzige der alten drei, der optisch wie musikalisch im Hier und Jetzt angekommen zu sein scheint. Der Vollständigkeit halber: An der zweiten Gitarre darf auch Richard Fortus, optisch angelehnt an Ron Wood, dabei vergleichsweise ein Jungspund, viel zu oft solieren. Am Schlagzeug unauffällig Frank Ferrer, an den Keyboards schon ziemlich lange dabei ist Dizzy Reed und recht frisch Melissa Reese.

ORF.at/Dominique Hammer
McKagan als Fels in der Brandung
Dass die Highlights vor allem in der ersten Stunde eher dünn gesät waren, kommt nicht von ungefähr. Denn eigentlich kann die Band auf kein besonders großes Oeuvre zurückgreifen: 1987 erschien „Appetite for Destruction“, doch erst im Jahr darauf zündete die Platte.
Das Bubenzimmer ist ein Dschungel
Heavy Metal war damals die Waffe der Wahl im Mittelschichtbubenzimmer beim Kampf gegen die Erziehungsberechtigten. Breitenwirkung kam mit dem 1981 gegründeten Musiksender MTV, der in den frühen Jahren vor allem auf Hardrock setzte. Und nach Glam-Metal-Knalltüten wie Mötley Crüe und Twisted Sister wurde es irgendwann Zeit, den härteren Stoff auszupacken.
"It gets worse here everyday/You learn to live like an animal/In the jungle where we play“, heißt es in „Welcome to the Jungle“. Ein brauchbarer Ansatz, wenn es darum ging, den elterlichen Wünschen nach einem ordentlichen Kinderzimmer zu widersprechen. Die Rebellion konnte beginnen. Allerdings: Es sich mit Mutti ganz verscherzen war auch nicht gut. Irgendwer musste ja diese ganzen Bandaufnäher auf die Jeansjacke nähen.
Frauen? Frauen!
Freiheit, Alkohol, Sex – die großen Versprechen des Rock ’n’ Roll, kaum eine Band verkörperte Randale und Skandale besser als Guns N’ Roses. Ende 1988 kam mit „G N’ R Lies“ das eher dünne zweite Album. Der Hit: „Patience“ - die damals unvermeidbare Hardrock-Ballade, eigentlich ein groteskes Genre, mit der Hauptaufgabe zu zeigen, dass die wilden Kerle auch Gefühle haben. Also vor allem solche, die dadurch ausgelöst werden, dass die Frauen urböse zu ihnen sind, sie selbst aber fast nichts dafür können, denn als wilder Kerl ist man halt so. Das erweiterte dennoch den Kundenkreis in Richtung Frauen.
Und dann waren da noch Bon Jovi, die mit einer etwas leichteren Spielart des Hardrock eher im Frauenpool fischten – mit dem Startvorteil, dass Sänger Jon Bon Jovi sich früh die am Strafrecht kratzende Lockenpracht schneiden ließ und sein „Knackarsch“ (Originalzitat) bei Frauen ganz besonders gut ankam. Jedenfalls wurde Hardrock aus der Testosteronecke zwar nicht herausgeholt, aber um weibliche Fans erweitert.
Ganz oben und schnell wieder unten
Guns N’ Roses veröffentlichten jedenfalls im September 1991 gleichzeitig zwei neue Alben: „Use Your Illusion I“ und „Use Your Illusion II“. Dem Höhepunkt folgte der rasche Verfall. Izzy Stradlin verließ als Gitarrist und maßgeblicher Songschreiber die Band, weil ihm alles eine Spur zu ungesund wurde, Drummer Steven Adler hatte schon zuvor in Sachen Drogenkonsum die Nase ganz vorne gehabt und aufgegeben. 1993 erschien noch „The Spaghetti Incident“, ein Unfall von einem Album mit Coverversionen: Spätestens danach zerstritt sich die Band und verfiel in sonstige Untiefen.
Die Revolution frisst die Rebellion
Doch nicht nur Drogen und persönliche Animositäten waren der Grund für die Versenkung: Guns N’ Roses wurden von der Zeit vernascht – und das schon sehr früh. Gerade eine Woche nach dem „Use Your Illusion“-Doppelschlag erschien zunächst viel weniger wahrgenommen eine andere Platte: „Nevermind“ von Nirvana.
Gerader, härter, textlich am Leben und ohne Firlefanz. Wer braucht Rebellion, wenn er die Revolution haben kann? Grunge wischte den Hardrock weg, und dann ließen auch noch Industrial und diverse härtere Metal-Varianten alles Vorhergehende ziemlich alt aussehen. Die Fragmentierung und Nischenbildung des Rock hatte eingesetzt. Und das Bubenvolk, das da nicht hinwollte, wurde später von Rap und Gangsterrap bestens für die Schlacht, die sich Pubertät nennt, versorgt.
Eher erfolglose Beschäftigungen zwischendurch
Rose störte das alles nicht, er ritt das tote Pferd Stadionrock in wechselnden Besetzungen weiter. Einigermaßen bezeichnend war 2000 die Verpflichtung eines Herrn Buckethead an der Leadgitarre. Der trat mit weißer Maske und Kentucky-Fried-Chicken-Pappkübel auf dem Kopf auf und veröffentlichte nach seinem Ausstieg 2004 alleine im Jahr 2015 gezählte 181 Soloalben.
Rose wiederum brachte 2008 das jahrelang angekündigte Album „Chinese Democracy“ heraus, ein Megaflop angesichts horrender Produktionskosten. Slash und McKagan widmeten sich derweil ihrem Projekt Velvet Revolver, das allerdings 2008 einschlief und 2015 mit dem alles andere als überraschenden Drogentod von Sänger Scott Weiland, ursprünglich bei Stone Temple Pilots, sowieso sein Ende fand.
Wollen sie wirklich nur spielen?
Die Gründe für eine Reunion sind zwar spekulativ, liegen aber auf der Hand: Nach vier von acht Tranchen der Welttournee liegt der Umsatz - noch vor den Europakonzerten - bei rund 240 Millionen US-Dollar. Damit kann schon ein Lebensabend finanziert werden, wenn man nicht ganz so fahrlässig mit dem Einkommen umgeht wie - hoppla - Rockstars. Also demnächst vielleicht wieder?
Wobei: Auf der Bühne mieden einander Gockl Rose und Gockl Slash so weit wie möglich, zeitweise erinnerte das an die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea - lediglich zur Verabschiedung stand man Arm in Arm.
Ein bisschen Licht und „Black Hole Sun“
Und so spielte man zuvor eher gegeneinander als miteinander: Der eine darf viel singen, der andere viel solieren. Echte Highlights blieben in der Minderzahl. Die Paul-McCartney-Nummer „Live And Let Die“ etwa und später Bob Dylans „Knockin On Heaven’s Door“, wie überhaupt die Coverversionendichte für eine Nicht-Schülerband extrem hoch war. Auch „Sweet Child of Mine“ begeisterte nach einem Endlosintro das Publikum.
Auf der anderen Seite: Das zu Ehren des verstorbenen Soundgarden-Sängers Chris Cornell gespielte „Black Hole Sun“ verdeutliche Not und Elend einer Hardrock-Band, die eine gerade Nummer verwäscht und vernudelt. Nicht viel anders verhielt es sich mit „Patience“ und der Bombastballade „November Rain“, die normalerweise zwischen großen Gefühl und großem Kitsch laviert und hier einfach nur abstank. Selbst „Paradise City“, eine kaum totzukriegende Nummer, wurde als letzte Zugabe nicht ganz ausgereizt.
Echokammer Happel-Stadion
Und das Publikum: eh zufrieden. Dass das Happel-Stadion für Konzerte so semigeeignet ist, ist ein alter Hut. Sicht auf das Bühnengeschehen bieten in diesem Konzertmaßstab ohnehin nur große LED-Wände. Dass die Bilder mit dem Sound extrem asynchron sind, ist dann schon irritierend.
Einmal mehr wurde das Wiener Stadion aber zur Echokammer in doppelten Sinn. Nicht nur, dass in Teilen der Plätze nicht ganz klar war, ob der Sound jetzt von vorne kam oder irgendwoher reflektiert wurde. Es war auch die „moderne“ Echokammer der in ihrer Blase Gleichgesinnten, die das alles gut finden mussten - die Zeitreise in die eigene Vergangenheit, in der scheinbar alles einfacher war. Und Eintrittspreise beginnend mit mehr als hundert Euro machen es ohnehin leichter zu sagen, dass er gut gewesen sein muss. Aber mit dem Gedanken in die Nacht entlassen zu werden, dass irgendetwas in einem immer 16 bleibt, war das schon wert. Der Gedanke müsste halt nicht unbedingt bei Guns N’ Roses kommen.
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