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Unbeugsam für mehr Demokratie

Der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo ist am Donnerstag im Alter von 61 Jahren in einer Klinik in Shenyang verstorben. Das teilte die Justizbehörde der Stadt mit. Der bekannte Kritiker des kommunistischen Regimes in China litt an einer unheilbaren Leberkrebserkrankung und wurde seit Ende Juni in dem Krankenhaus behandelt. Dort stand er unter strengem Hausarrest und durfte bis zuletzt keinen Kontakt zu seiner Familie aufnehmen.

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Das Nobelpreiskomitee gab den chinesischen Behörden eine erhebliche Mitverantwortung am Tod des Friedensnobelpreisträgers . „Wir finden es zutiefst verstörend, dass Liu Xiaobo nicht in eine Einrichtung verlegt wurde, in der er eine angemessene medizinische Behandlung hätte bekommen können, bevor das Endstadium seiner Krankheit begann“, erklärte die Präsidentin des Komitees, Berit Reiss-Andersen, am Donnerstag in Oslo.

„Die chinesische Regierung trägt eine schwere Verantwortung für seinen vorzeitigen Tod“, fügte sie hinzu. Berlin hatte wiederholt eine Behandlung Lius in Deutschland angeboten, auch er selbst hatte diesen Wunsch geäußert. Die chinesischen Behörden lehnten seine Behandlung im Ausland jedoch ab. Seine Ärzte im nordostchineschen Shenyang erklärten ihn für nicht transportfähig.

Freilassung von Witwe gefordert

„Die Menschenrechtsbewegung in China und der ganzen Welt hat einen prinzipientreuen Meister verloren“, sagte der UNO-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein der gleichzeitig eine von China garantierte Bewegungsfreiheit für Lius Witwe einforderte.

Die Freilassung von Lius Witwe forderten auch die USA. Die chinesischen Behörden sollten Liu Xia aus dem Hausarrest entlassen und ihr entsprechend ihren Wünschen die Ausreise erlauben, verlangte US-Außenminister Rex Tillerson am Donnerstag in Washington. Die an China gerichtete Forderung, alle politischen Gefangenen freizulassen, findet sich zudem in einem von EU-Ratspräsident Donald Tusk via Twitter veröffentlichten Kondolenzschreiben.

„Das war politischer Mord“

Die ehemaligen Studentenführer der Proteste auf dem Tian’anmen-Platz, Wang Dan und Wuer Kaixi, griffen Chinas Regierung nach Lius Tod scharf an. "Ich hoffe, dass sich die Welt für immer erinnern wird, wie die Kommunistische Partei Chinas, diese neue Nazi-Bande, Liu Xiaobo brutal zu Tode gefoltert hat", schrieb Wang auf Facebook. „Das war ein politischer Mord“, fügte er hinzu. Wuer schrieb: „Jetzt haben wir ein weiteres Datum, das uns an Zerstörung, Wut, Ekel, Verzweiflung erinnert - und an Freiheit, Träume und Hoffnungen für China.“

NGO sieht Parallele zu 1938

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erklärte in New York, Lius Tod offenbare die „Schonungslosigkeit der chinesischen Regierung gegenüber friedlichen Befürwortern von Menschenrechten und Demokratie“. Der bisher letzte Nobelpreisträger, der in staatlichem Gewahrsam gestorben sei, sei 1938 während der Nazi-Herrschaft der deutsche Pazifist Carl von Ossietzky gewesen.

Trotz seiner fortschreitenden Krankheit sei Liu isoliert worden und habe nicht frei über seine medizinische Behandlung entscheiden können, sagte die HRW-Direktorin für China, Sophie Richardson. „Die Arroganz, Grausamkeit und Herzlosigkeit der chinesischen Regierung sind schockierend - aber Lius Kampf für ein rechtsstaatliches demokratisches China wird weitergehen.“

Wegen „Charta 08“ verhaftet

Liu wurde am 10. Dezember 2009, kurz nach der Veröffentlichung der regierungs- und sozialkritischen Manifests „Charta 08“, wegen Untergrabung der Staatsgewalt verhaftet. Er hatte das Dokument mitverfasst, das anlässlich des 60. Jahrestages der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der UNO mehr Demokratie, Meinungsfreiheit und Achtung der Menschenrechte in China fordert.

Die Regierung sah das als Umsturzversuch: Ausschlaggebend für die Verhaftung war der Aufruf, den Vorwurf der Subversion aus dem chinesischen Strafgesetzbuch zu streichen. „Wir sollten mit der Praxis brechen, Worte als Verbrechen anzusehen“, so die Autoren der „Charta 08“. Liu habe trotz der schweren Einschüchterungen immer wieder seine Meinung und Kritik an der chinesischen Politik kundgetan, so sein Anwalt Mo Shaoping.

Der leere Sessel in Oslo

Die Festnahme des Schriftstellers und promovierten Literaturwissenschaftlers Liu hatte international Proteste ausgelöst. 2010 wurde er in seiner Abwesenheit, da er bereits inhaftiert war, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Bei der Übergabezeremonie in Oslo blieb sein Sessel leer. Seine Frau Liu Xia lebt seit damals unter Hausarrest in ihrer Wohnung in Peking. Trotz internationaler Appelle hatte China es bis zuletzt abgelehnt, den kranken Bürgerrechtler zur medizinischen Behandlung ins Ausland reisen zu lassen.

Leerer Stuhl bei der Verleihung des Nobelpreises

APA/AFP/Heiko Junge

Bei der Verleihungszeremonie des Friedensnobelpreises blieb der Sessel des Preisträgers leer

Vermittlungsversuche bei Tiananmen-Protesten

Liu wurde am 28. Dezember 1955 in Changchun in Nordostchina geboren und gehörte jahrzehntelang der Demokratiebewegung in China an, die inzwischen stark dezimiert ist. Bereits während der Proteste auf dem Tiananmen-Platz (Platz des Himmlischen Friedens) versuchte er zusammen mit anderen Intellektuellen, zwischen der Demokratiebewegung und den Sicherheitskräften zu vermitteln.

Seine Bemühungen schlugen jedoch fehl, und die Proteste wurden am 4. Juni 1989 mit Tausenden Todesopfern niedergeschlagen. Liu, dessen Literaturkritiken und philosophische Schriften ihm zu Prominenz verhalfen, hatte die Studentenbewegung verteidigt und eine Aufklärung des Massakers gefordert. Das kostete ihn fast zwei Jahre Haft und den Verlust seiner Dozentenstelle an der Universität.

Drei Jahre in Umerziehungslager

Nach seiner Freilassung war er weiterhin in der Dissidentenszene aktiv und wurde 1996 drei Jahre in ein Umerziehungslager gesteckt. Ab 2003 stand er dem chinesischen Pen-Club unabhängiger Schriftsteller vor. In seinen eigenen Büchern, die nicht in China veröffentlicht wurden, setzte er sich für mehr Demokratie und Menschenrechte in China ein.

Demonstration in Hongkong

APA/AFP/Isaac Lawrence

Nach dem Bekanntwerden von Lius Gesundheitszustand forderten Anhänger die Freilassung des Dissidenten

Liu kritisierte zudem die Blockaden von Websites und die Verfolgung systemkritischer Internetautoren, wofür er 2004 mit dem Preis für Pressefreiheit durch die Organisation Reporter ohne Grenzen ausgezeichnet wurde. „Sogar mein Name ‚Liu Xiaobo‘ ist in den einheimischen Zeitungen, TV-Programmen und jenem Teil des Internets, den das chinesische Volk sehen darf, verboten“, schrieb Liu damals.

Gegen Boykott der Olympischen Spiele

Während der Olympischen Spiele 2008 in Peking sprach er trotz des Verbotes mit ausländischen Journalisten und kritisierte die Unterdrückung bürgerrechtlicher Bewegungen während der Spiele. Er war jedoch gegen den Boykott der Spiele und wies in einem Interview die Hoffnungen des Westens zurück, dass die Spiele mehr Demokratie in China bringen könnten. Im selben Jahr forderte Liu während der Unruhen in Tibet den Dialog der chinesischen Regierung mit dem Dalai Lama, um echte Religionsfreiheit in Tibet zu erreichen.

Der Probleme und Gefahren, denen sich Liu aussetzte, war er sich bewusst: „Wenn ich meine Artikel schreibe, gerate ich zwangsläufig mit der Regierung in Konflikt. Aber das ist meine Wahl. Ich werde den Preis dafür zahlen.“

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