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NGOs kritisieren „Abschottungsstrategie“

Nach der Drohung Italiens mit einer Hafenschließung für Bootsflüchtlinge haben die EU-Innenminister am Donnerstag bei ihrem Treffen in Estland intensiv nach Lösungen gesucht. Viele Länder lehnten zwar Roms Forderung nach einer Öffnung ihrer Häfen ab, unterstützten aber den Plan für strengere Regeln für Hilfsorganisationen, die mit eigenen Schiffen Menschen vor der libyschen Küste retten.

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Die Minister begrüßten das Vorhaben, ein „klares Regelwerk“ für die Rettungseinsätze in einem Verhaltenskodex festzuschreiben. Der Verhaltenskodex solle nun „dringend fertigstellt“ werden, hieß es nach dem Treffen in Tallinn. Das solle aber in Abstimmung mit der EU-Kommission und nach Konsultationen mit den betroffenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erfolgen.

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), der Österreich in Estland vertrat, unterstützte den Plan „vollkommen inhaltlich“. Die Mittelmeer-Route „muss endlich zu sein“, sagte er. Er erwarte rasche Auswirkungen vom EU-Mittelmeer-Plan. Italiens Innenminister Marco Minniti habe in Tallinn klargemacht, dass das „nicht eine Frage von Monaten, sondern von Tagen und Wochen“ sei, sagte Sobotka. „Das muss im Sommer intensiv angegangen werden.“

EU-Kommission will „jetzt sofort“ beginnen

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos erklärte, seine Behörde werde mit Italien „jetzt sofort“ die Arbeit an dem Verhaltenskodex beginnen. Das solle aber „im Dialog mit den Nichtregierungsorganisationen“ erfolgen. Avramopoulos sah als wichtiges Ergebnis des Treffens auch den Willen der EU-Länder, Abschiebungen und Rückführungen von abgelehnten Asylwerbern zu beschleunigen. Das sei „ein Schlüsselelement, um irreguläre Migration zu verhindern“, sagte er. Die Frage müsse nun „ohne Verzögerung“ angegangen werden.

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos

APA/AFP/Raigo Pajula

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos will „jetzt sofort“ mit der Ausarbeitung des Kodex beginnen

Estlands Innenminister Andres Anvelt, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sagte, Schlüssel zur Lösung des Problems seien schnellere Abschiebungen. „Wir müssen Menschen zurückschicken“, sagte er. Das sei „die wichtigste vorbeugende Maßnahme“. Die Flüchtlinge müssten „verstehen, dass es keinen Grund gibt zu kommen, wenn sie kein Recht dazu haben“.

Italien sieht sich an Kapazitätsgrenze

Die Lage in Italien hatte sich zuletzt so stark verschärft, dass sich das Land an der Kapazitätsgrenze sieht. Binnen einer Woche kamen dort mehr als 12.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer an. Seit Jahresbeginn sind es laut dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) inzwischen 84.885, fast ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum.

Italien will nun Hilfsorganisationen stärker überwachen. Rom drohte ihnen, die Einfahrt in Häfen zu verweigern, wenn sie einen von Italien ausgearbeiteten Verhaltenskodex nicht unterzeichnen. Der elf Punkte umfassende Plan enthält ein Verbot der Einfahrt in libysche Küstengewässer und untersagt jegliche Kommunikation mit Schleppern - auch über Lichtsignale Richtung Küste. Italien verlangt darin zudem, dass Hilfsorganisationen gerettete Flüchtlinge künftig selbst in sichere Häfen bringen und nicht an größere Schiffe abgeben.

Italien blitzt mit Forderung nach Häfenöffnung ab

Deutschland, aber auch Spanien und die Niederlande lehnten den noch am Wochenende von Italien geäußerten Wunsch ab, auch Häfen anderer EU-Staaten für Schiffe mit Flüchtlingen zu öffnen. „Das unterstützen wir nicht“, sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere. Anfang der Woche hatte bereits Frankreich, das mit seinen Mittelmeer-Häfen betroffen wäre, dieser Bitte eine Absage erteilt. Auch der niederländische Justizminister Stef Blok zeigte sich skeptisch. „Nur die Öffnung von mehr Häfen allein wird das Problem nicht lösen.“ Allerdings regte er an, Flüchtlinge in nordafrikanische Häfen zurückzubringen.

Belgiens Innenminister Theo Francken erwartete unterdessen keine Fortschritte im Streit über die Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien auf andere europäische Länder. Die Diskussion sei hier „immer noch blockiert“, sagte er. Mehrere osteuropäische Länder lehnen es ab, stark belasteten Ankunftsländern wie Italien Asylwerber abzunehmen.

Sobotka sprach sich in Tallin gegen ein neues EU-Programm zur Umverteilung aus. „Wir sind rechtstreu, was bisher unterschrieben wurde, aber für eine neue Relocation-Struktur haben wir kein Verständnis, weil es ganz einfach ein Anziehungsfaktor ist. Und Italien tut sich auch damit nichts Gutes, wenn man hier eine neue Umverteilung vornimmt in dieser Form. Zuerst muss der erste Schritt getan werden: Es müssen die Außengrenzen sicher sein“, sagte er.

Menschen sollen von Flucht abgehalten werden

In Rom tagten unterdessen die Außenminister mehrerer EU-Staaten und afrikanischer Länder. Schwerpunkt ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit afrikanischen Transit- und Herkunftsstaaten in der Flüchtlingskrise. Beraten wurde unter anderem über Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage in Libyen. „Auch südlich von Libyen müssen wir uns engagieren, damit Migranten Libyen erst gar nicht erreichen“, meinte der italienische Außenminister Angelino Alfano. Wichtig sind laut Alfano Kommunikationskampagnen, um bei der Bevölkerung das Bewusstsein für die mit der Migration verbundenen Risiken zu stärken.

Gruppenbild vom Gipfel

APA//Tiziana Fabi

Auf Einladung Italiens berieten Vertreter europäischer und afrikanischer Staaten über die Flüchtlingskrise

Auch brauche es Investitionen in die afrikanischen Herkunftsländer, um Zukunftsperspektiven zu schaffen und die Abfahrt in Richtung Europa zu bremsen. Italien plane zusätzliche Finanzierungen für afrikanische Länder. „Auch andere EU-Länder müssen jedoch ihren Teil leisten“, sagte Alfano. Er dankte Österreich ausdrücklich für die Aufstockung der Finanzierungen für Afrika.

Kurz verteidigt Brenner-Pläne

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bekräftigte in Rom erneut seine Forderung nach der Schließung der Mittelmeer-Route und verteidigte noch einmal die Pläne zur möglichen Einführung von Grenzkontrollen auf dem Brenner.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der auch für Migration zuständig ist, kritisierte sowohl die Brenner-Pläne als auch jene zur Schließung der Mittelmeer-Route scharf. „Mir graut vor Aussagen wie ‚Wir müssen die Mittelmeer-Route schließen‘“, sagte Asselborn. „Wir werden auch keine Lösung finden mit Panzern an den Grenzen und mit Hunderten von Soldaten. Das zeugt nicht gerade von europäischer Solidarität“, sagte Asselborn. Die EU-Staaten müssten Italien unterstützen und europäisch an die Sache herangehen.

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