Outdoor als Lebensgefühl
Zur Jahrtausendwende schien die große Zeit des Campings endgültig vorüber. Doch seit ein paar Jahren erleben die Urlaube mit Wohnwagen und Zelt ein kräftiges Comeback: Knapp sechs Millionen Nächtigungen zählten die 601 Campingplätze Österreichs 2016. Das war der höchste Wert seit 1994 und um fast neun Prozent mehr als im Jahr zuvor. Nicht nur bei jungen Neueinsteigern, auch bei den arrivierten Campern ist das Urlauben im Freien so beliebt wie nie.
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Camping sei nicht bloß eine Form, Urlaub zu machen - „Es ist ein Lebensgefühl“, sagt Daniel Kunc vom Österreichischen Camping Club (ÖCC) im Gespräch mit ORF.at. „Ich bin ein Camper“, sei ein Satz, der etwas bedeute, so der Experte. „Es verbindet Menschen.“ Dass Urlauben im Freien wieder im Trend ist, spüre man auch bei der größten Interessenvertretung der Camper in Österreich. Mehr als 12.000 Mitglieder verzeichnet der ÖCC – und laut eigenen Angaben werden es stetig mehr. „Der Juni“, sagt Kunc, „war der stärkste Monat seit sehr langer Zeit.“

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Der Wissenschaftler Matthias Badura beschreibt das klassische Campen als „verkleinerte Spielwelt“ ohne Alltagszwänge
Politische Lage verstärkt Trend
Für den neuen Boom sieht der Experte mehrere Gründe: „Zum einen hat es natürlich mit der aktuellen politischen Lage zu tun.“ Die Urlauber verzichteten verstärkt auf Fernreisen in die sonst beliebten Urlaubsländer wie etwa Türkei und Tunesien. Laut Erwin Oberascher, Inhaber des Reiseportals Camping.info, spielt der Sicherheitsaspekt beim Reisen vor allem jenen Urlaubsformen in die Hände, „die quasi jederzeit verschiebbar sind“.
Wildes Campen in Österreich
Wie in fast allen Ländern Europas ist das Wildcampen in Österreich prinzipiell verboten, einmaliges Übernachten auf der Durchreise ist erlaubt - außer in Wien, Tirol und in Nationalparks. Dabei ist das Aufstellen von Stühlen im Freien untersagt. Wer beim Wildcampen erwischt wird, muss mit einer Strafe von bis zu 14.500 Euro rechnen.
Die zeitliche und örtliche Ungebundenheit sei auch das, was viele Urlauber am Camping schätzten. In der Hauptsaison werde zwar immer mehr gebucht, sagt Oberascher gegenüber ORF.at, aber vielfach gelte das Motto: einfach einmal losfahren und weiterziehen, wann immer man will. „Pensionisten sagen oft, sie fahren so lange Richtung Süden, bis das Wetter schön ist.“
Mehr Angebot, höherer Standard
Zum anderen, so Kunc vom ÖCC, habe sich der Standard auf Campingplätzen stark verbessert, und auch das Angebot sei vielfältiger geworden. „Das beginnt beim klassischen Zeltcampen und reicht bis zum jungen Trend des Glamping.“ Das englische Kunstwort, zusammengesetzt aus den Wörtern „glamorous“ („glamourös“) und „camping“, beschreibt das besonders luxuriöse Wohnen im Freien.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/www.camping.info/Statistik Austria
Wer keine Lust auf die Anreise mit Wohnwagen oder die Unannehmlichkeiten im Zelt hat, kann inzwischen vielerorts komfortable Lodges, Safarizelte, mobile Hütten und luxuriöse Baumhäuser mieten. Während Glamping in Österreich noch in seinen Anfängen steckt, hat es etwa in Frankreich, Spanien, Italien und Kroatien bereits Hochkonjunktur.
Wohnmobilvermittlung wie bei Airbnb
Dass die Branche wieder ein Markt mit Zukunft ist, zeigen auch Firmen wie Paul Camper. Mit solchen Onlinedienstleistern ist die Sharing Economy in die Campingindustrie vorgedrungen. Nach dem Prinzip des bekannten Wohnungsvermittlers Airbnb vermittelt das deutsche Unternehmen via Internet Wohnmobile von Privatpersonen an Privatpersonen.

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Auch in der Hauptstadt wird gecampt: 250 Stellplätze stehen auf dem Campingplatz Neue Donau in Wien bereit
Auf Paulcamper.de stehen seit der Gründung des Start-ups 2013 in etwa 1.200 Reisemobile und Wohnwagen bereit. Doch die Nachfrage ist bereits größer als das Angebot: Derzeit sind rund 10.000 Mieter auf der Website registriert, seit Anfang des Jahres ist der Dienst auch in Österreich verfügbar. Von Investoren hat Paul Camper bereits Kapital in Millionenhöhe erhalten.
Mehr Reisemobile und Wohnwagen
Die starke Nachfrage zeigt sich auch an den Zulassungszahlen: 2016 erhöhte sich die Zahl der zugelassenen Reisemobile gegenüber dem Jahr davor um 4,8 Prozent auf fast 25.000 und jene der Wohnwagen um 1,2 Prozent auf rund 37.300.

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Raus aus der Schmuddelecke
„Camping hatte früher ein eher schmuddeliges Image“, sagt Oberascher. Es implizierte, dass man sich keinen teureren Urlaub leisten könne. „Heute wird man nicht mehr bemitleidet, wenn man sagt: Ich gehe Campen.“ Das Ansehen des Urlaubs im Freien habe sich spürbar verändert. „Camping“, sagt Oberascher, „ist wieder salonfähig geworden.“
Was Campen kostet
Eine Übernachtung für zwei Erwachsene, inklusive Stellplatz und Strom kostet in Österreich laut Statistik Austria im Schnitt 28,8 Euro. Innerhalb Europas kommt Campen in der Schweiz mit 36,2 Euro am teuersten. In Italien sind es 35,4, in Kroatien 32,7 und in Spanien 31,8 Euro. Am billigsten ist Campen in Albanien mit im Schnitt 13,4 Euro.
Für viele Camper spiele der finanzielle Aspekt zwar nach wie vor eine Rolle, aber er stehe nicht mehr im Vordergrund. „Camping kann auch sehr teuer sein“, sagt Oberascher. Ein gut ausgestattetes Reisemobil kann mehrere hunderttausend Euro kosten. „Wenn Sie ein Reisemobil auf der Straße sehen, dann sitzt mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ein älteres Ehepaar aus Deutschland drinnen“, sagt der Experte. Vor allem im Nachbarland würden sich viele Menschen mit Beginn der Pension den Traum eines eigenen Reisemobils erfüllen.
Mehr Junge, aber keine Trendwende
Die neuen Mietmöglichkeiten und das größere Angebot lockten auch verstärkt junge Menschen und Familien an. Viele von ihnen wollten heute „nachhaltig urlauben“ und bewusst auf lange Flugzeiten verzichten, sagt Kunc vom ÖCC. Eine Trendwende will der Experte aber nicht ausmachen. „Bei den Älteren ist es noch immer populär. Die hören ja deswegen nicht auf, nur weil es auch mehr Junge machen.“

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Laut Tourismusforschung der Österreich Werbung ist der typische Camper in Österreich nach wie vor etwas älter als der Durchschnitt, überwiegend männlich – und kommt aus Deutschland. 41 Prozent der Camper reisten 2016 aus dem Nachbarland an, ein Fünftel kam aus den Niederlanden und rund ein Viertel waren heimische Camper. Neben dem eigenen Land schlagen die Österreicher und Österreicherinnen ihre Zelte am liebsten in Italien und Kroatien auf.
Reisen mit dem eigenen Bett
Neben der Ungebundenheit, sagt Kunc, sei noch eine andere Sache für viele Camper attraktiv: das Gefühl, auf Reisen und trotzdem zu Hause zu sein. Wer durch heimische Campingplätze spaziert, wird vor vielen Reisemobilen ein provisorisches Wohnzimmer vorfinden: Esstische und Klappstühle, Regale und Kästen, Kochecken, Blumentöpfe, Gartenzwerge und anstatt einfacher Glühbirnen oft sogar richtige Lampenschirme. Traditionelle Camper verbringen häufig den ganzen Tag dort und beobachten das Treiben auf dem Platz.

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Kochtöpfe, Herdplatte, Gasgriller: Viele Urlauber bringen den halben Hausrat zum Camping mit
„Camping befriedigt das Bedürfnis nach zwei Dingen, die in der Alltagswelt eher verpönt sind“, schreibt der deutsche Kulturwissenschaftler Matthias Badura. „Dies sind die entspannte Untätigkeit sowie das Beobachten anderer Menschen.“ Um dem Urlaubsphänomen auf den Grund zu gehen, führte Badura über Jahre Feldstudien auf Campingplätzen durch und widmete dem Thema 2010 sogar seine Doktorarbeit mit dem Titel „Camping als Urlaubsform“. Sein Resümee: Camper imitieren nicht die heimische Häuslichkeit, wie ihnen oft unterstellt wird, sie erschaffen vielmehr eine „verkleinerte Spielwelt außerhalb der Alltagszwänge“ auf ein paar Quadratmetern und machen sie bewohnbar.

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Die Dusch- und Toilettenanlage auf dem Campingplatz gilt als kollektiver Treffpunkt in der Früh
Campingleben ist voller Rituale
Das Campingleben selbst ist laut Badura „hoch ritualisiert.“ Angefangen bei der Anreise, der Platzauswahl, dem Aufbau und Abbau, dem Kochen und Essen bis hin zum Waschgang, den der Wissenschaftler als ein „kollektives Erlebnis“ beschreibt. Banales und Alltägliches erhielten auf dem Campingplatz eine neue Qualität. Zudem gebe es wichtige Grundregeln: Geselligkeit und Kameradschaftsgeist sind genauso Camperrituale wie einander zu duzen. Das bestätigt auch Experte Oberascher: „Wenn ein Neuankömmling Probleme beim Aufbau hat, dann geht man dem zur Hand.“ Danach sitze man üblicherweise bei einem Glas Wein zusammen.

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Auf dem Campingplatz gelten unausgesprochene Benimmregeln. Wer sich nicht daran hält, gilt nicht als „echter Camper“.
Sorge um „Campingwerte“
Auf dem Campingplatz gebe es auch jene, die nicht am „Campingleben“ teilnähmen, schreibt Badura, Durchreisende etwa, die nur einen Schlafplatz für eine Nacht suchten. Dadurch verstärke sich aber die Selbstwahrnehmung derjenigen Camper, „die sich als sogenannte echte Camper bezeichnen“.
Jene „echten Camper“, sagt Oberascher von Camping.info, beklagten, dass die „Campingwerte“ mancherorts verloren gingen. Auf den Campingplätzen finden sich heute vermehrt Menschen, die nach einem individuellen Urlaubserlebnis suchen und für die das Camping eben tatsächlich nur eine Form des Urlaubs ist. „Aber viele leben dafür.“
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Christina Pausackl, ORF.at