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Wenn ein Fluss zum Politikum wird

Mehr als 26 Jahre haben Slowenien und Kroatien um einen Berggipfel gerungen. Beide Länder sahen sich als rechtmäßige Besitzer von Sveta Gera (Trdinov vrh) direkt an der Grenze. Laut Grundbuch gehört er Kroatien, doch Slowenien sieht sich im Recht und hat dort auf einem ehemaligen Posten der jugoslawischen Volksarmee Soldaten stationiert. Ende Juni sprach ein Tribunal Kroatien offiziell den Gipfel zu. Er ist kein Einzelfall. Ein Vierteljahrhundert nach dem Zerfall Jugoslawiens streiten die Nachfolgestaaten weiter über ihre Grenzen.

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Ob Sveta Gera, die Bucht von Piran in Slowenien oder die Gebiete an den Ufern der Donau zwischen Kroatien und Serbien: An so gut wie allen Landesgrenzen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gibt es Plätze, die von zwei Staaten beansprucht werden. Die Wurzeln für diese Konflikte liegen in der Vergangenheit. Als Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien, Mazedonien und das Kosovo noch Teilrepubliken von Jugoslawien waren, war eine strikte Trennung nicht notwendig - man gehörte ohnehin zum selben Land.

Kroatien im Streit mit allen Nachbarn

Bei den nachgefolgten souveränen Nationalstaaten sorgen die „weichen“ Grenzen aber bis heute für Kopfzerbrechen und mal mehr, mal weniger aggressive diplomatische Rangeleien. Unumstößlich anerkannte Grenzen gibt es nur in Mazedonien. Ganz anders sieht es bei Kroatien aus: Es gibt keinen einzigen ex-jugoslawischen Nachbarstaat, mit dem Zagreb nicht über strittige Orte im Clinch liegt. Sogar an der nur 20 Kilometer langen Grenze mit Montenegro gibt es Streit um Prevlaka, eine winzige, aber strategisch wichtige Halbinsel mit möglichen Erdölvorkommen.

Karte zeigt den ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien und die umstrittenen Grenzgebiete

Grafik: APA/ORF.at

Besonders intensiv ist die Auseinandersetzung um die Bucht von Piran, die kürzlich Slowenien zugesprochen wurde. Sie ist der größte, aber bei Weitem nicht der einzige Zankapfel zwischen Slowenien und Kroatien. Seit die beiden Staaten 1991 fast gleichzeitig ihre Unabhängigkeit erklärt haben, streiten sie über die Grenze. Gleich 53 umstrittene Orte fand eine Kommission 1992. Die meisten Konflikte konnten im Laufe der Jahre gelöst werden - nicht aber der Zwist um die Seegrenze.

Bucht von Piran

APA/AFP/Jure Makovec

Die Bucht von Piran ist Sloweniens einziger Meerzugang. Umso härter wird er verteidigt.

Auf dem Höhepunkt im Zerwürfnis um die Bucht von Piran drohten kroatische Fischer im Jahr 2002 sogar damit, die Gewässer zum Schutz vor ihren slowenischen Kollegen zu verminen. Erst als sich Kroatien in Beitrittsgesprächen mit der EU befand und Slowenien ein Veto einlegte, einigten sich die Länder auf ein Schiedsgericht. Dieses sprach nun Slowenien einen Großteil der Bucht von Piran sowie einen Korridor in internationale Gewässer zu. Damit ist der Konflikt aber noch lange nicht beigelegt - denn Kroatien hat angekündigt, das Urteil nicht respektieren zu wollen.

Acht Kilometer zerschneiden ein Land

Die Grenzen sorgen nicht nur für diplomatischen Streit, sondern auch für praktische Probleme. Ein Beispiel ist die 5.000-Seelen-Gemeinde Neum, die der einzige Seezugang des Landes ist. Das Problem: Die Gemeinde durchtrennt auf acht Kilometern das kroatische Staatsgebiet. Durch sie kommt es etwa beim Grenzübergang immer wieder zu gravierenden Problemen. Als Lösung soll eine Brücke, die den Landstreifen umgeht, gebaut werden.

Ansicht von Neum

Getty Images/stockinasia

Neum hat für den bosnischen Sommertourismus große Bedeutung

Zusätzlich beansprucht Kroatien zwei winzige Inseln in der Nähe von Neum für sich - Bosnien will diese aber behalten, um noch mehr Seezugang zu haben. Dieses Beispiel zeigt, dass es bei den Konflikten oft nur um sehr kleine Gebiete geht, die Symbolkraft aber enorm ist. Die Streitereien sind oft symptomatisch für einen Nationalismus, der den Balkan bis heute plagt. Verstärkt werden Konflikte durch den politischen Ehrgeiz, kein Stück Land an die Nachbarn verlieren zu wollen.

Donau als Unruhestifter

Auch an der 325 Kilometer langen und im Kroatien-Krieg besonders hart umkämpften Grenze zu Serbien steht Zagreb mit dem Nachbarn auf rund 145 Kilometern im Streit. Der Grund dafür liegt unter anderem in der Natur. Als Jugoslawien noch existierte, wurden die Grenzen zwischen den Teilrepubliken oft durch die Landschaft, etwa Flüsse und Gebirge, bestimmt. Das hat heikle Folgen - denn ein Fluss, der seinen Lauf ändert, kann in so einem Fall leicht zum Politikum werden.

Blick aus dem durch den Krieg zerstörten Wasserturm auf Vukova am Donauufer

Getty Images/Wolfsburg1984

Kroatisch-serbisches Grenzgebiet nahe der Stadt Vukovar

Das passierte auch im Fall der beiden Staaten, welche die Donau trennt. Diese floss vor einigen Jahrzehnten noch ganz anders als heute. Damit fallen fruchtbare Gebiete, die eigentlich zu Kroatien gehören, in serbisches Gebiet und vice versa. Welche Grenzziehung gilt, darauf können sich die beiden Nachbarstaaten nicht einigen. Serbien verlangt 3.000 Hektar Ackerland auf der derzeit kroatischen Seite. Zagreb wiederum fordert 10.000 Hektar auf der serbischen Seite. Ebenfalls umstritten sind zwei Inseln in der Donau. Dort befindet sich übrigens auch Niemandsland, das weder die eine noch die andere Seite will: An dieser Stelle gründete 2015 der tschechischen Politiker Vit Jedlicka die Scheinrepublik „Liberland“.

Tränengas im Parlament

Dass sich nicht nur über Flüsse, sondern auch Berge trefflich streiten lässt, zeigt nicht nur das Beispiel Sveta Gera. Verbissen verlief auch ein Grenzstreit im Gebirge zwischen Montenegro und dem Kosovo. 2015 wurde in Wien für die Visaliberalisierung für das Kosovo ein Grenzabkommen zwischen den beiden Staaten unterzeichnet, das wegen Protests der kosovarischen Opposition aber bis heute nicht umgesetzt wurde. Diese behauptet, dass das Kosovo damit rund 8.000 Hektar Weideland verlieren würde. Der Streit um das Abkommen stürzte die Regierung ins Chaos, wochenlang wurde die Parlamentsarbeit mit dem Einsatz von Tränengas in den Sitzungssälen blockiert.

Polizist in einem Helikopter blickt auf den Fernsehmast auf dem Berg Sveta Gera

Reuters/Srdjan Zivulovic

Auf Sveta Gera befindet sich auch ein Sendeturm des slowenischen Rundfunks

Das Kosovo ist auch Hauptakteur im wohl gravierendsten Grenzstreit im Raum des ehemaligen Jugoslawien. Das Land, vormals eine Teilrepublik Serbiens, hat 2008 seine Unabhängigkeit erklärt. Doch im Gegensatz zu den meisten Staaten erkennt Belgrad diese bis heute nicht an. Zwar gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Fortschritte in der Zusammenarbeit, aber auch erhebliche Provokationen - etwa einen serbischen Zug, der Anfang des Jahres mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ bis an die Grenze fuhr. Sollten sich diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern nicht nachhaltig entspannen, könnten sie noch zum Pulverfass für die Region werden.

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