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Urteil gefallen, Konsequenzen ungewiss

Der größte Teil der Adria-Bucht von Piran gehört zu Slowenien: Das entschied Ende Juni ein Schiedsgericht, das eingesetzt worden war, um den Konflikt zwischen Slowenien und Kroatien um Landes- und Seegrenzen beizulegen. Die beiden früheren jugoslawischen Teilrepubliken streiten seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1991 um den Grenzverlauf, der im gemeinsamen Staat nicht im Detail festgelegt war.

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Kroatien wollte von dem Gericht eine Teilung der Piran-Bucht erreichen. Auf der anderen Seite bekam Slowenien nicht, wie es wollte, den eigenen freien Zugang zu internationalen Gewässern. Stattdessen soll ein 2,5 Seemeilen breiter Korridor in kroatischen Hoheitsgewässern eingerichtet werden. „Dort müssen alle Schiffe und Flugzeuge Sloweniens ungehindert Zugang haben“, sagte der Präsident des Tribunals, der Franzose Gilbert Guillaume.

Karte von der Bucht von Piran

Grafik: ORF.at; Quelle: APA

Slowenien wolle den Schiedsspruch nach dem Sommer umsetzen, wie Parlamentspräsident Milan Brglez im Interview mit dem „Standard“ ankündigte. Zuvor müssten rechtliche Fragen geklärt werden. Insgesamt seien bis zu 50 rechtliche Schritte notwendig. Die endgültige Umsetzung des Urteils erfordere aber die Kooperation Kroatiens - und diese ist alles andere als gewiss.

„Kroatien hat Möglichkeiten, Gebiet zu verteidigen“

Zagreb hatte schon im Vorfeld erklärt, den Schiedsspruch ignorieren zu wollen. Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic und Ministerpräsident Andrej Plenkovic hatten mehrfach betont, dass das Verfahren für Kroatien nicht mehr existiere. Am Donnerstag wiederholte Plenkovic, Kroatien habe keinerlei Verpflichtung, den Inhalt des Schiedsurteils umzusetzen. Er rief Slowenien auf, „keine einseitigen Schritte zu setzen“. „Kroatien hat Möglichkeiten, sein Staatsgebiet und seine Interessen zu verteidigen.“

Auch ein Treffen der beiden Staaten vor dem Westbalkan-Gipfel am Mittwoch in Triest brachte keine Annäherung. Sloweniens Ministerpräsident Miro Cerar sagte nach dem Gespräch in Ljubljana, dass der Schiedsspruch umzusetzen sei. Plenkovic bekräftigte, dass dieser Zagreb nicht verpflichte. Cerar habe zudem um Unterstützung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel gebeten und diese nach eigenen Angaben auch erhalten: „Frau Merkel hat mir gesagt, dass sie absolut den Standpunkt unterstützt, dass man den Schiedsspruch (im Grenzstreit) respektieren und implementieren muss“, so Cerar.

Slowenien sieht historische Entscheidung

Slowenien hatte den Schiedsspruch begrüßt. Cerar wertete die Entscheidung des Haager Tribunals als „historischen Augenblick für Slowenien“. Der Spruch sei „endgültig und für beide Staaten verbindlich“, sagte Cerar. Auch wenn nicht alle slowenischen Erwartungen erfüllt worden seien, wolle er sich für eine „einheitliche Umsetzung“ starkmachen, sagte er in Anspielung auf die Vorbehalte der konservativen Opposition.

Slowenien werde nun sukzessive Gesetze und andere Rechtsakte ändern, um sie in Einklang mit dem Schiedsspruch zu bringen, sagte Cerar. Als Ministerpräsident werde er sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass „bei der Umsetzung des Schiedsspruchs eine gemeinsame Sprache mit Vertretern der Republik Kroatien gefunden wird, zum Nutzen unserer weiteren gutnachbarschaftlichen Beziehungen und aller Menschen sowie der kommenden Generationen, denen wir die Last dieser bisher ungelösten Grenzfrage nehmen müssen“.

Grenzziehung anhand des Mittellinienprinzips

Gemäß der Internationalen Seerechtskonvention wird in Meeresbuchten die Grenze anhand des Mittellinienprinzips festgelegt: Zwischen beiden Kaps wird im gleichen Abstand gedanklich eine Linie gezogen. So wurde es bisher auch vor Piran gehandhabt - was für Slowenien bedeutete, dass es keinen eigenen Zugang zu internationalen Gewässern hatte. Immer wenn Schiffe den Hafen Koper anliefen, mussten sie durch kroatisches oder italienisches Hoheitsgebiet. Ljubljana lag aber an einem eigenen Zugang zur Hohen See.

Im Jahr 2008 gipfelte der Konflikt in einer mehrmonatigen Blockade der EU-Beitrittsverhandlungen Kroatiens durch Slowenien. Unter EU-Vermittlung wurde im November 2009 das Schiedsverfahren vereinbart. Die beiden Länder verpflichteten sich damals in einem bilateralen Abkommen, einem fünfköpfigen Tribunal die Entscheidung über den Grenzverlauf zu überlassen. Drei Tribunalsmitglieder wurden auf EU-Vorschlag ernannt, Slowenien und Kroatien stellten je einen weiteren Schiedsrichter. Kroatien trat im Juli 2013 der EU bei, ein Jahr später nahm das Schiedsgericht seine Arbeit auf.

Einseitiger Rückzug aus dem Schiedsverfahren

Vor zwei Jahren zog sich Kroatien aber aus dem Schiedsverfahren zurück - es war zu unerlaubten Absprachen zwischen dem slowenischen Schiedsrichter Jernej Sekolec und einer Diplomatin in Ljubljana gekommen. Das fünfköpfige Schiedsgericht, in dem auf EU-Vorschlag ernannte Richter die Mehrheit haben, rügte zwar Slowenien. Entgegen dem Ersuchen Kroatiens setzte es seine Arbeit aber fort, sowohl der slowenische als auch der kroatische Richter wurden durch internationale Rechtsexperten ersetzt.

Lankarte vom Grenzverlauf zwischen Slowenien und Kroatien

Grafik: ORF.at; Quelle: APA

Bei den Landesgrenzen gab es bei dem Schiedsspruch am Donnerstag keine Überraschungen. Das Tribunal erklärte in den meisten Streitpunkten die Katastergrenzen für maßgeblich - etwa entlang der Grenzen an den Flüssen Mur und Sotla (kroatisch: Sutla). So wurde auch der bisher von Slowenien kontrollierte Berggipfel Trdinov vrh (kroatisch: Sveta Gera) Kroatien zugesprochen. Die Landesgrenze auf der Halbinsel Istrien folgt laut dem Schiedsspruch dem Dragonja-Fluss und endet in der Mitte des Sveti-Odorik-Kanals.

Furcht vor Eskalation

Sollte Slowenien nun den Schiedsspruch gegen den Widerstand Kroatiens umsetzen, drohen die Spannungen an der Grenze zu eskalieren. Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte, die Kommission werde den Schiedsspruch analysieren und am 4. Juli diskutieren. Österreich sieht den Schiedsspruch als „entscheidenden Schritt“ bei der Lösung des Grenzkonflikts zwischen den beiden Nachbarstaaten an. Allerdings ruft das Außenministerium die beiden Parteien nicht explizit dazu auf, den Schiedsspruch umzusetzen.

Slowenien kritisierte das Zögern der Kommission nach dem Urteil. Die Ankündigung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den Spruch erst durchlesen zu wollen, sei „ungewöhnlich und gereicht der Kommission nicht zur Ehre“, sagte Cerar. „Europa kann es sich nicht leisten zu sagen, dass in diesem Fall das Völkerrecht nicht respektiert werden muss. Wenn zwei Mitgliedsländer so eine Entscheidung nicht respektieren können, dann hat die EU keine Zukunft, geschweige denn der Balkan, weil das auch ein Muster für die Lösung künftiger Fragen ist“, sagte er mit Blick auf die vielen Grenzstreitigkeiten in der Region.

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