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So schlimm wie seit 1945 nicht

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hat kaum noch Hoffnung, global bis 2030 den Hunger zu beseitigen. „Es gibt null Chancen für null Hunger bis 2030, wenn wir nicht die von Menschen verursachten Konflikte beenden“, sagte WFP-Direktor David Beasley am Dienstag im Vorfeld des Gipfels der 20 reichsten Industrie- und Schwellenländer (G-20).

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Zehn der 13 Länder, die die meiste Hilfe vom WFP erhielten, seien von einem kriegerischen Konflikt betroffen, so Beasley gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe). Die Lage sei äußerst kritisch, aufgrund der Konflikte könne das WFP viele Gebiete gar nicht erreichen.

„Wir erleben momentan die schlimmste globale humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Situation verschlechtert sich noch“, sagte Beasley der Zeitung. Im Jemen, dem Südsudan, in Somalia und Nigeria drohe eine Hungersnot. „Etwa 30 Millionen Menschen finden dort kaum Nahrung, 20 Millionen sind von der Hungersnot bedroht, davon 5,7 Millionen Kinder. 600.000 Kinder sind allein in diesen vier Staaten kurz davor zu sterben, wenn wir nicht die Finanzierung bekommen, die für die kommenden vier Monate notwendig ist.“

Hunger als Waffe

Nach Angaben Beasleys nutzen vielerorts die kämpfenden Parteien den Hunger als Waffe. „Wenn Menschen etwa in Somalia, Syrien oder Jemen über lange Zeit keine Nahrung erhalten, schürt das den Konflikt, extremistische Gruppen erhalten Zulauf“, sagte Beasley. „Wenn wir einen Zugang für unsere Hilfe erhalten, lindert das den Konflikt, verringert die Migration, aber auch den Extremismus.“

Karte zeigt Hungersnot-Gebiete in Afrika

Grafik: Map Resources/ORF.at; Quelle: Global Nutrition Cluster

Gewalt zwingt eine Million im Südsudan zur Flucht

Ein am Dienstag präsentierter Bericht von Amnesty International über die Lage im Südsudan bestätigt genau diese Dynamik: Gewaltexzesse, Hunger und Angst im kriegerischen Konflikt führten laut der Menschenrechtsorganisation zur Vertreibung Hunderttausender Menschen aus der fruchtbaren Region Äquatoria. Die Lage in der Region beschreibt Amnesty in einem am Dienstag veröffentlichten Kurzbericht. „Die Eskalation der Kampfhandlungen in der Region Äquatoria hat zu brutalen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung geführt“, sagte Amnesty-Mitarbeiterin Donatella Rovera bei dessen Vorstellung.

„Männer, Frauen und Kinder werden erschossen, mit Macheten zerhackt und in ihren Häusern bei lebendigem Leib verbrannt. Frauen und Mädchen sind ständig in Gefahr, entführt und vergewaltigt zu werden“, sagte Rovera. Häuser, Schulen, medizinische Einrichtungen und humanitäre Organisationen würden geplündert oder verwüstet.

Kriegsverbrechen dokumentiert

Amnesty-Vertreter waren im Juni in die Region gereist und hatten gravierende Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverstöße dokumentiert, wie Kriegsverbrechen, insbesondere durch Regierungstruppen, aber auch durch bewaffnete oppositionelle Gruppen. Knapp eine Million Menschen sind demnach vor der Gewalt in das Nachbarland Uganda geflohen.

Immer wieder komme es zu Massakern: So berichteten laut Amnesty zahlreiche Augenzeugen in Dörfern rund um die Stadt Yei, dass Regierungstruppen und ihre verbündeten Milizen vorsätzlich und rücksichtslos Zivilisten töteten. Menschen, die diesen Massakern selbst entkommen seien, bestätigten diese Aussagen. Amnesty dokumentierte zudem einen starken Anstieg an Fällen von Entführung und Vergewaltigung von Frauen und Mädchen in der Region Äquatoria, seit die Kämpfe im Jahr 2016 eskalierten.

Truppen schneiden Versorgungswege ab

Hunger werde ebenfalls als Waffe eingesetzt, heißt es in dem Bericht weiter. Die Zivilbevölkerung habe nur noch äußerst eingeschränkten Zugang zu Lebensmitteln. Sowohl Regierungs- als auch Oppositionstruppen schnitten die Nahrungsmittelversorgung in bestimmten Gebiete ab, plünderten systematisch Lebensmittelmärkte und Häuser und nähmen Zivilpersonen ins Visier, die auch nur kleinste Nahrungsmittelmengen über die Kampflinien transportierten. Ziel sei es, den Feind und seine Unterstützer auszuhungern.

Kornkammer wird zu „Schlachtfeld“

„Die grausame Ironie dieses bewaffneten Konflikts ist, dass er die Kornkammer des Südsudan - eine Region, die vor einem Jahr noch Millionen Menschen versorgen konnte - in ein mörderisches Schlachtfeld verwandelt und fast eine Million Menschen zur Flucht gezwungen hat“, sagte Joanne Mariner, Beraterin für Krisenarbeit bei Amnesty. Alle Konfliktparteien müssten „unverzüglich aufhören“, gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. „Alle Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Die Gewalteskalation müsse beendet werden.

Afrika fordert mehr Solidarität

Der Präsident der Kommission der Afrikanischen Union (AU), Moussa Faki Mahamat, hatte am Montag die Staatengemeinschaft angesichts der Dürre in mehreren afrikanischen Ländern scharf kritisiert und mehr Solidarität gefordert. Faki sagte bei dem halbjährlichen AU-Gipfel im äthiopischen Addis Abeba, er könne seine „Frustration“ nicht verhehlen, dass die afrikanischen Staaten trotz Hungersnöten in Somalia, Nigeria und im Südsudan unsolidarisch seien.

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass 20 Millionen Menschen derzeit in Afrika Hunger leiden. Erst zu Wochenbeginn hatte die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gewarnt, dass die Zahl der Hungerleidenden nach Jahren des Fortschritts wieder zunimmt.

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